Großloge der Alten Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland (AFuAMvD)

Bin ich ein Gutmensch? Nein, aber ich wäre gerne einer.

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Bin ich ein Gutmensch? Nein, aber ich wäre gerne einer.

Von Michael Krakow

Was überhaupt ist ein Gutmensch? Wie immer half der Griff ins Bücherregal. Dort entdeckte ich als erstes das Wort „Neologismus“. Es bezeichnet (auch) einen in seiner ursprünglichen Bedeutung umgedrehten Begriff, eine Umdeutung. Die etymologische Erklärung lautet wie folgt: Als „Gutmenschen“ werden Personen in grob abwertender, verachtender Weise bezeichnet, die erkennbar an humanistischen Werten ihr Leben ausrichten. Das empfand ich als spannend. Gilt nicht genau das für uns Freimaurer?

Sind wir Freimaurer lächerlich?

Versuchen wir Brüder nicht, unser Leben, unser Sein, unser Handeln an Humanität auszurichten? Unser Großlogen-Magazin trägt das sogar als Titel. Demnach sind wir Freimaurer also inzwischen lächerlich geworden. Wenn es nämlich heute als albern gilt, ein guter Mensch sein zu wollen, was sagt das über uns Freimaurer aus? Was hat es grotesk erscheinen lassen, ein möglichst hilfreiches, nützliches, verträgliches Mitglied unserer Kulturgemeinschaft sein zu wollen, bestehende Verhältnisse und Verhalten verbessern zu möchten? Und wie stehen wir als Maurer dazu?

„Den guten Seemann zeigt erst das schlechte Wetter.“

Immer wieder stehen wir auf und lauschen den Worten von Weisheit, Stärke, Schönheit. Starke Begrifflichkeiten, für unsere Bruderschaft derart wichtig, dass wir sie bei jeder Tempelarbeit sogar buchstäblich auf eine jeweils eigene Säule bauen! Auf der Winkelwaage wollen wir uns begegnen. Nur wir uns oder auch die anderen? Schaffen wir Brüder den Spagat, hier im geschützten, gedeckten Rahmen unseren hohen Ansprüchen rituell zu huldigen, sie jedoch draußen in der profanen Welt zu verkleiden, zu verstecken, abzuschwächen? Die bessere Frage ist, weshalb sollten wir das überhaupt versuchen? Weil es Mühe kostet, weil wir dadurch allzu rasch als moralisierend wahrgenommen werden, als sperrig, altmodisch, altruistisch, aus der Zeit gefallen, durch kindlichen Glauben entrückt. Wieso ist eine humanistische, humanitäre Motivation im öffentlichen Diskurs zum Gegenstand von Häme geworden, ein gutes Dasein verwirklichen zu wollen neuerdings absurd?

Ein Analyseversuch durch Sprachforscher erbringt, dass Gutmenschen in ihrem Anspruch als anstrengend und belehrend gelten, weil sie den niederen Anspruch von Gesprächspartnern offenlegen, welche diese dann verbal in Abwertung flüchten lässt. Sollten wir also unser Gutmenschentum verbergen, um nicht aufzufallen?

In der politischen Rhetorik gilt Gutmensch seit Mitte der achtziger Jahre als sogenannter „Kampfbegriff“. Demnach wird das Gute als nicht mehr Anzustrebendes kommunikativ bekämpft. Es ist ein sehr altes Stilmittel, Inhalte, gegen die man wegen fehlender Widerlegungsmöglichkeiten kaum ankommt, durch Sarkasmus erodieren zu lassen, sie dadurch unverwendbar zu machen. „Frauenversteher“, „Gutmensch“. So gehen wir heute mit Menschen um: Wir verhöhnen ihre Intentionen, weil wir diese als naiv geringschätzen. „Die Vereinfachung der Begriffe ist die erste Tat aller Diktatoren“, schrieb einst Erich Maria Remarque. Zugespitzt? Bestimmt, aber in der Diktion deswegen alle andere als falsch. Das nämlich ist der Scheitelpunkt, an dem ein Freimaurer zu sein von jedem Bruder individuelle Haltung abverlangt. In Irland sagt man: „Den guten Seemann zeigt erst das schlechte Wetter.“ Den guten Freimaurer zeigt vielleicht erst eine kaltherzig gewordene Gesellschaft. In guten Zeiten ist es leicht, ein Bruder zu sein, sich zu hehren Zielen zu bekennen, es kostet kaum etwas. Heute aber erleben wir an jedem Tag, dass Zynismus, Sarkasmus, Kaltherzigkeit, Lug und Trug bis in höchste Kreise salonfähig geworden sind. Es ist cool geworden, alte Werte als obsolet zu betrachten. Wir Brüder aber sind nicht cool, wir sind warmherzig. Stellen wir uns dem entgegen, machen wir nicht mit, zeigen wir Flagge. Das Arkanprinzip ist gut, kann und soll und muss so bleiben, wie ist es ist. Doch alles andere sollte keine Burg sein, hinter dessen Tor wir erst klandestin unsere Rüstung der profanen Unsichtbarkeit anlegen. Unser Banner sollte sichtbar von den Zinnen wehen, unser Tempel kein luftdichtes Versteck werden. Uns nur innerhalb unserer Wände gegenseitig unseres Gutwerdenwollens zu versichern, ist nicht so notwendig, wie dies draußen zu tun. „Geht hinaus in die Welt und bewährt Euch als Freimaurer“, hören wir zu Recht als Auftrag und Mahnung. Es scheint die Zeit gekommen, wo wir auch außerhalb unserer Logentür für unsere Werte eintreten sollten, ihnen couragiert Schutz, Kraft und Verteidigung angedeihen lassen. Nicht als Dogmatismus, unsere Werte sind deckungsgleich mit unserem Grundgesetz, unserer gemeinsamen Basis.

Nehmen wir die Bezeichnung „Gutmenschen“ ganz selbstverständlich für uns an

Und mit der Sprache fängt es an. Es ist nicht einer gesellschaftlichen Gruppe vorbehalten, Worten ihre Bedeutungen zu verleihen, zu verändern, zu verdrehen. Wir sollten das nicht unkommentiert zulassen, es den gesellschaftlichen Zynikern nicht durchgehen lassen, nur weil es gerade en vogue ist. Freimaurerei ist allen Moden erhaben, bewegt sich außerhalb von kurzzeitigem Gebahren, verpflichtet sich auf ewig universellen, unveräußerlichen Grundwerten. Haben wir als Freimaurer den Mut, die Bezeichnung „Gutmensch“, wo immer sie uns entgegengebracht wird, als Prädikat anzunehmen, uns dazu zu bekennen, ja, es sichtbar als Wappen auf unsere Schilde zu malen. Menschen folgen integren Vorbildern. Verweigern wir uns der verachtenden Neudeutung und entlarven sie durch Annahme ihres dünnen und törichten Gehaltes. Tun wir Brüder es wie der Junge in dem Märchen, der als einziger in der johlenden Menge ruft: „Der Kaiser ist ja nackt!“.

Wir sind nicht gute Menschen, weil wir Freimaurer sind, dass wäre zu einfach, zu leicht. Sondern weil wir es werden wollen, weil wir daran arbeiten und weil jegliche Arbeit ein postuliertes Ziel benötigt. Den Rauen Stein zu glätten, der wir sind, heißt letztlich nichts anderes, als gut werden zu wollen, wo wir es noch nicht sind. Die ganze Welt können wir dadurch vielleicht nicht verändern, doch die kleine Welt in uns. Und damit unsere kleine Welt direkt vor dem Logentor ganz sicher. Durch unser Vorbild, durch den täglichen Versuch, gut zu sein. Oder durch bequeme Unterlassung, durch Schweigen und Wegducken im Mainstream unserer Tradition ihr Feuer nehmen. Wie wir uns auch entscheiden, es hat Auswirkungen. Entscheiden wir uns also besser für das Gute. Denn das Gegenteil von „Gutmensch“ wäre zwangsläufig ein „Schlechtmensch“, und wenn wir den als erstrebenswertes, larmoyantes Ideal aus Trägheit anerkennen, ist unsere Bruderkette geborsten. Ihr Metall durch möglichst gutes Denken und Tun solide zu halten, ist unabdingbare Aufgabe jedes einzelnen Kettengliedes, das schulden wir uns selbst, unserem Versprechen bei der Aufnahme und all jenen Brüdern, die uns in den ewigen Osten vorausgingen.

In einem Popsong heißt es: „Es ist nicht Deine Schuld, dass die Welt ist, wie sie ist. Doch es wär’ Deine Schuld, wenn sie so bleibt.“

Dem eingangs erwähnten Freund schrieb ich später Folgendes: „Bin ich ein Gutmensch? Ganz sicher nicht. Aber ich wäre gern einer. Deshalb bin ich (auch) Freimaurer. Um mich wie Sisyphos an einem Berggipfel abzumühen, den ich nie erklimmen werde. Doch der stete Versuch ist für mich der einzig gangbare Weg. Sich dafür verlachen zu lassen, verrät mehr über den Spötter als über mich. Er hat verloren, was ich noch nicht verloren geben will, den Glauben an das Gute. Und der kommt irgendwann auch wieder in Mode.“

Dieser Beitrag stammt aus dem Heft 5-2020 der HUMANITÄT, dem deutschen Freimaurer-Magazin. Das Heft kann bei der Kanzlei abonniert werden.

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