Unsere Freimaurerei ist ein großes, wunderschönes Schiff. Gebaut wurde es vor 300 Jahren nach den damals vorliegenden Plänen und Erfahrungen. Die Baumeister haben sich die größte Mühe gegeben, haben versucht, zukünftige Entwicklungen vorauszusehen, und haben so das Schiff mit aller Sorgfalt errichtet.
Dieses Schiff haben sie auf Reisen geschickt, und es ist um die ganze Welt gesegelt. Es hat in großen Häfen und kleinen Buchten geankert und hat mit seiner Besatzung als Vorbild gedient. Viele Schiffe wurden weltweit nach seinen Plänen gebaut.
Seither ist viel Zeit vergangen, und die Welt hat sich verändert. Wir müssen uns die Frage stellen, ob das Schiff heute noch tauglich ist und, wenn ja, ob es vielleicht überholungsbedürftig ist und ob es denn überholt werden kann. Oder ob es besser in einem Museumshafen aufgehoben ist. Dort wird man es dann neu anpinseln und aufhübschen, damit es von nostalgischen Besuchern bewundert wird.
Ich bin der Meinung: Das hat unser Schiff nicht verdient. Wir können und müssen es renovieren, ausbessern und nach dem heutigen Stand der Technik neu ausrüsten. Die Substanz unseres Schiffes und sein Bauplan sind gut und taugen wahrscheinlich auch für die Zukunft.
Und: Es ist wichtig für unsere Welt. Ich bin davon überzeugt: Die Welt braucht Freimaurer mehr denn je in ihrer langen Geschichte. Seit der Entstehung der Freimaurerei und der Gründung unter diesem Namen vor mehr als dreihundert Jahren gab es immer Perioden, in denen die Freimaurerei gefragt war. Sie war gefragt und gefordert, hat aber häufig ihre Möglichkeiten nicht genutzt.
Heute stehen die Freimaurer vor der wohl größten Aufgabe in ihrer gesamten Geschichte. Es geht um die Menschheit, um die ganze Welt. Wir leben in der Zeit des Anthropozäns. Aufgrund unserer Möglichkeiten wird die Welt anthropogen verändert. Wir haben noch Möglichkeiten, die Zerstörung unserer Umwelt zu stoppen. Wir müssen nur das Problem erkennen, es benennen und vor allem aktiv werden. Unsere selbst auferlegten Pflichten verlangen dies von uns.
Welche Probleme hat die Welt heute?
Das Hauptproblem: Wir sind zu viele Menschen, und das bringt Umwelt-Verschmutzung und -Zerstörung. Zerstörung der Wälder, um Monokulturen anzulegen, Verschmutzung der Meere, Seen und Flüsse, Veränderung und Verschmutzung der Atmosphäre. Es sind schon zu viele, und es werden immer mehr. Der Platz und die Ressourcen aber können nicht wachsen.
Vor 500 Millionen Jahren begann die sogenannte kambrische Explosion. Das bedeutet, Vegetation und tierisches Leben entwickelten sich explosionsartig. Der Sauerstoffgehalt in der Atmosphäre erreichte einen Wert von 36 %. Heute beträgt unser Sauerstoffgehalt 20,95 %. Im Kambrium wurde die organische Masse produziert, die heute von uns in Form von Kohle, Erdöl und Erdgas ausgebeutet wird. Der größte Teil davon wird heute mit Hilfe von O2 zu CO2 verbrannt.
Wir Menschen beuten unsere Welt – unsere Umwelt – rücksichtslos aus. Das war schon immer so. Wo liegt nun der Unterschied zu früher? Warum sind wir heute auf unserer Welt in dieser dramatischen Situation? Weil wir endlos produzieren, und das können wir, weil wir schier unendlich viele Kunden haben. Und die Weltbevölkerung wächst immer noch. Das ist alles eine Frage der Nachfrage. Es macht keinen Sinn, Millionen Tonnen von Fleisch zu erzeugen, wenn es zu wenige Konsumenten gibt. Dies gilt für alle Produkte. Wenn ich etwas anbiete, dann brauche ich Abnehmer. Auch das war schon immer so.
Die UNO hat eine Kenngröße für die Menschen auf der Erde und deren Verbrauch von Ressourcen vorgestellt. Demnach haben wir am 2. August 2019 unser Kontingent an Ressourcen verbraucht. Das bedeutet: Ende 2019 werden wir ein Kontingent, das zwei Erden entspricht, verbraucht haben. Es bedeutet auch: Wir sind doppelt so viele Menschen auf der Erde, wie wir sein sollten, um unsere Umwelt nicht unwiderruflich zu ruinieren. Fast alle Probleme, die wir heute im Anthropozän haben, sind anthropogen, das heißt, vom Menschen gemacht. Das bedeutet auch: Wenn wir nur halb so viele wären, hätten wir – bei gleichem unverantwortlichem Verhalten – auch nur halb so viel Verbrauch an Umwelt und würden nur halb so viel Müll produzieren. Bei intelligentem Verhalten würde die Bilanz für unsere Erde sogar noch besser aussehen.
Wie kann das gehen?
Wir müssen weniger werden und dazu müssen wir unser Denken und Verhalten ändern. 1968 wurde der Club of Rome gegründet. Das ist ein Zusammenschluss von Experten der verschiedensten Disziplinen. Er ruft dazu auf, kluge und intelligente Ideen für eine nachhaltige Zukunft zu entwickeln. 1972 veröffentlichte Jørgen Randers, Professor für Klimastrategien und Systemdynamik, seinen legendären Augenöffner „Die Grenzen des Wachstums“. Er warnte damals bereits vor dem Ökokollaps des Planeten. Nun sind 40 Jahre vergangen – in Tatenlosigkeit! Geburtenkontrolle für Industrieländer forderte der Club of Rome – was nicht gut ankam.
In dem Bericht an den Club of Rome, den Randers gemeinsam mit dessen Generalsekretär Graeme Maxton in Berlin vorstellte, werden die Co-Autoren noch konkreter: „Jede Frau, die nur ein Kind aufziehe, solle im Alter von 50 Jahren für ihren Verzicht einen Bonus von 80.000 Dollar in die Hand bekommen.“
Kein Wunder, dass es da Schlagzeilen hagelte: „Ein derart rigider staatlicher Übergriff in eine der privatesten Entscheidungen jedes einzelnen Bürgers, noch dazu mit schnödem finanziellem Anreiz: Das geht gar nicht!“
Wir müssen einsichtig werden.
Wir können nicht einfach nur die Fakten zur Kenntnis nehmen und dann so weitermachen, als ginge uns das alles nichts an, weil das am bequemsten für uns ist. Gerade wir Freimaurer sind hier und heute gefragt.
Es reicht nicht zu sagen: Wir bauen den Tempel der Humanität, aber aus allem anderen halten wir uns raus. Wo wollen wir denn unseren Tempel hinbauen? Auf eine Müllhalde? Oder auf eine einsame Insel, umspült von einem Meer voller Müll und toten Fischen?
Wir müssen den globalen Raubbau bremsen! Wir müssen die Gier als Charakterschwäche offen benennen. Unser Credo des ewigen und ständigen Wachstums führt uns ins Verderben. Das kennen wir aus der Natur: Wenn sich bei uns Körperzellen ungehemmt vermehren, dann nennen wir das „Krebs“. Eine Spezies, die sich ungehemmt vermehrt, wird sich selbst töten. Das funktioniert im Tierreich und bei Viren. Dumme Viren bringen ihren Wirt um. Dasselbe gilt für uns Menschen. Wir bringen unseren Wirt, die Erde, um, wenn wir nicht endlich zur Vernunft kommen. Wölfe sind da klüger. Wenn ihre Nahrungsressourcen schwinden, durch zu viele Wölfe auf der Jagd, dann reduzieren sie radikal ihre Vermehrung.
Wird die Künstliche Intelligenz (KI) das Problem erkennen? Wenn ja: Was wird sie wohl vorschlagen oder gar unternehmen? Randers und Maxton analysieren nüchtern, dass es in den saturierten Ökonomien der Industrienationen kaum mehr gelinge, das Bruttoinlandsprodukt selbst mit immer größerem Aufwand überhaupt noch nach oben zu treiben. Graeme Maxton sagt: „Das Wirtschaftswachstum ist nicht die Lösung, sondern die Ursache des Problems.“
Auf welchem Irrsinnsweg wir sind, zeigt sich an den folgenden Beispielen: Wir produzieren Produkte mit eingebauten Schwachstellen, um die Lebenszeit des Produktes zu verkürzen. Damit soll der Umsatz gesteigert werden. Dass wir damit vorsätzlich Müll produzieren, interessiert niemanden.
Was können wir Freimaurer tun?
Wir müssen erklären, Probleme aufzeigen und aufklären. Und zwar weltweit. Wen müssen wir aufklären? Die gesamte Menschheit? Schaffen wir nicht!
Wer hätte das Potenzial, notwendige Maßnahmen zu erklären und durchzusetzen? Religionsführer und Philosophen? Diese Variante führt häufig zu Katastrophen. Staatsoberhäupter? Das dürfte noch schwerer sein und hätte noch weniger Erfolgsaussichten. Staatsoberhäupter und politische Führer denken genau umgekehrt: Je mehr, desto besser und desto größer ist die Macht. Und da ist noch etwas: Politiker neigen zu Ad-hoc-Reaktionen. Damit wollen sie ihre Leistungen, Handlungsmacht und Kompetenz dokumentieren. Die Order heißt: Ergreifen Sie Maßnahmen!
Hier nur ein Beispiel aus Deutschland für eine superschnelle Reaktion: Die Erzeugung von Strom durch unsere Kernkraftwerke wurde nach der Katastrophe in Fukushima mit sofortiger Wirkung eingestellt, obwohl in Deutschland keine schweren Erdbeben mit nachfolgendem Tsunami zu erwarten sind. Es wurden stattdessen neue, umweltbelastende Kohlekraftwerke gebaut.
Seitdem Greta Thunberg 2018 mit einem selbstgemachten Pappschild vor dem schwedischen Parlament gegen die von Menschen gemachte Klimaveränderung protestierte, haben sich weltweit Millionen von Schülern und Studenten dem Protest angeschlossen und fordern ein Umdenken und Aktionen in der Klimapolitik.
Das zeigt uns: Wir können mit den richtigen Aktionen weltweit auf die Gefahr eines Umweltkollapses aufmerksam machen. Erstaunlich ist, dass eine Schülerin mehr Menschen angesprochen hat, als dies viele auf diesem Gebiet tätigen Wissenschaftler in Jahrzehnten vermochten. Erklären Wissenschaftler, und hier speziell Naturwissenschaftler die Dinge zu kompliziert?
Wer kommt für unser Vorhaben der Aufklärung infrage? Was wir brauchen, sind Intelligenz, Kompetenz und Aufklärung. Ist das die KI? Der superintelligente Roboter? Wenn wir uns nicht ändern, kann uns das drohen: Die Künstliche Intelligenz übernimmt das Ruder. Es sollten aber Menschen oder eine Organisation sein, die weltweit vernetzt und unabhängig sind. Die Organisation muss gemeinnützig sein. Ihre Mitglieder sollten Freidenker sein und aus den unterschiedlichsten Berufen kommen. Es sollten freie Menschen sein, die ihr Leben selbst bestimmen. Sie sollten Kompetenz besitzen und müssen intelligent sein. Nur solche Menschen werden letztendlich als Führer – im guten Sinn – akzeptiert. Und nicht zuletzt sollten sie sich der Humanität verpflichtet fühlen. All diese Forderungen erfüllt die Freimaurerei. Zumindest predigt sie das und beruft sich dabei auf die „Alten Pflichten“.
Wie kann die Freimaurerei sich da einbringen?
Ist unser Schiff gut gerüstet, und wann läuft es aus zur großen Fahrt der Aufklärung und zur Bekämpfung der Dummheit?
Zitat Stephen Hawking: „Künstliche Intelligenz ist nicht das Beste noch das Schlimmste, was der Menschheit passieren kann. Das eigentliche Risiko bei Künstlicher Intelligenz ist nicht die Bosheit, sondern die Kompetenz. Eine superintelligente Künstliche Intelligenz wird extrem gut darin sein, ihre Ziele anzusteuern – und sollten diese Ziele nicht mit unseren übereinstimmen, bekommen wir Probleme.“ Ihr Vorgehen ist stringent logisch und leidenschaftslos. Das kann sehr gut sein und es wird schon heute genutzt zum Wohle der Menschen.
„Was ist eigentlich Intelligenz?“, fragt Hawking. „Es ist die Fähigkeit zur Veränderung und Entdeckung, zum Erschaffen von Neuem.“ Nachdem wir das Feuermachen erfunden hatten, haben wir uns öfter dumm angestellt. Dann haben wir den Feuerlöscher erfunden. Bei mächtigeren Erfindungen – wie in der Biologie, Kernphysik oder Chemie – sollten wir uns vorher Gedanken machen und uns die größte Mühe geben, gleich alles richtig zu machen, denn möglicherweise haben wir keine zweite Chance und keinen Löscher.
„Warum machen wir uns wegen der Künstlichen Intelligenz so große Sorgen? Der Mensch wird doch in der Lage sein, jederzeit den Stecker zu ziehen.“ Dies bedeutet: Wir müssen unbedingt darauf achten, dass KI-Roboter mit einem „Notschalter – einem Stecker – versehen sind, den wir kontrollieren. Das könnte die große Aufgabe der Freimaurerei sein! Es ist die größte überhaupt. Es ist die größte Aufgabe, die der Menschheit je gestellt wurde.
Wir Freimaurer kümmern uns nicht um das politische „Tagesgeschäft“, und das ist gut so. Das gibt uns die Möglichkeit, das große Ziel zu fokussieren und nicht aus den Augen zu verlieren. Auch Religion ist für uns kein Thema. Wir respektieren den Glauben anderer Menschen, sofern er nicht dogmatisch ist und weder Gewalt predigt noch anwendet. Für uns zählt die Freiheit des Denkens.
Wir sind damit nicht allein. Wir Freimaurer sind willens und fähig, Allianzen zu schmieden und einzugehen. Wäre der Club of Rome ein möglicher Partner? Wir sind weltweit zu Hause. Eine Allianz brächte mit Sicherheit Synergien.
Nehmen wir uns ein Beispiel an Greta Thunberg. Sie war und ist von ihrer Sache überzeugt, und sie lässt nicht locker. Einzelne Maßnahmen sind gut und nötig, aber sie lösen nicht die Ursache aller Umweltprobleme. Wir alle wissen. Weniger ist häufig besser. Dies gilt auch für die Menschen auf ihrem Planeten. Das Hauptproblem ist: Wir sind zu viele Menschen und das bringt Umwelt-Verschmutzung und -Zerstörung. Unsere Erde ist befallen vom Homo. Ich vermeide den Zusatz sapiens.
Wir haben eine weltweite Bruderkette. Nutzen wir sie.
Wir haben genügend Kompetenz in unseren Reihen. Wir, die Freimaurer, haben alles, was die Welt braucht, in unserer Bruderschaft. Die Mannschaft unseres Schiffes ist bereit zur großen Fahrt. Wir brauchen kein neues Schiff! Wir müssen unser Schiff nur auf den neuesten Stand bringen.
Wir müssen es nicht abwracken. Es ist zwar schon 300 Jahre alt, aber es kann renoviert und neu ausgerüstet werden. Den Kompass und die Geometrie, die Navigation nach den Sternen, behalten wir, aber wir verstehen und nutzen auch alle neuen technischen Möglichkeiten. Wir sind zwar von gestern, aber wir leben heute und sind bereit für die Zukunft. Brüder! Lasst uns unser Schiff fit machen! Wenn wir zu neuen Ufern segeln wollen, müssen wir den Anker lichten. Die Freimaurerei hat viele Schiffe, und alle haben den gleichen Bauplan! Einige sogar denselben! Es gibt keine regulären und keine irregulären Schiffe! Wir haben keine Vorurteile, und wir kennen keine Dogmen. Brüder! Macht die Leinen los! Gehen wir auf große Fahrt! Mit all unseren Schiffen. Lasst uns das Schwert der Aufklärung ziehen und es gegen die Dummheit, die Trägheit und die Ignoranz einsetzen. Lasst uns laut rufen: Menschen! Wir sind zu viele. Wir müssen weniger werden, damit alle gut und anständig leben können. Und lasst uns den Stecker bewachen und damit die Welt retten vor der Herrschaft eines Roboters.
Weisheit soll uns leiten und uns auf Kurs halten. Mit Stärke wollen wir unsere Schiffe führen, damit unsere Erde auch weiterhin in Schönheit erstrahlen kann.

Dieser Beitrag stammt aus dem Heft 1-2020 der HUMANITÄT, dem deutschen Freimaurer-Magazin. Das Heft kann bei der Kanzlei abonniert werden.
Eine Antwort
Und wieder ein Kommentar, der einen leise verzweifeln lässt:
Das seltsame Bild eines Schiffes wird beschworen. Eines, welches „fit“ gemacht werden müsste. Vielleicht mit Greta Thunberg am Steuer? Eine junge Frau, die eher kindlich trotzig auftritt, stilisiert zur Jeanne d’Arc der Klimaapologeten?
KI als Lösung, solange Freimaurer am „Stecker“ sitzen? Wer glaubt, dass wahre KI Zwecks „Staatenlenkung“ einen „Ausschalter“ zulässt, der hat KI nicht verstanden. Wer diese Büchse der Pandora öffnet, bekommt den Deckel nie wieder zu. Und die Freimaurer sind, dem Schöpfer sei Dank, die denkbar ungeeignetsten diese Aufgabe zu erfüllen. Denn Gott spielen, steht uns nicht zu.
Lieber Bruder, habe keine Angst. Schau in Dich, sinne über das Senkblei nach. Begreife die Freimaurerei eher wie eine Kathedrale: Diese „steht in sich selbst“, Kraft der Geometrie, welche ihr inne wohnt. Stete, ruhige Arbeit; und dann kann kein Sturm dieser etwas anhaben.
Du darfst dann auch Solarzellen aufs Dach montieren, wenn Dich dies glücklich macht.
Quod timeas, citius, quam quod speres, evenit