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Von Hajo J. Frerichs
Vorbemerkung
Auch wenn wir glauben, alle Abläufe in unseren Logen zu kennen, so haben uns die beiden Corona-Pandemie-Jahre gezeigt, dass wir hierbei einer Täuschung unterliegen. Die folgende Zeichnung stammt aus dem letzten „Vor-Corona-Jahr“. Im Schlusswort wurde Bezug auf Johann Wolfgang von Goethe genommen, dessen Feststellung lautet: „Alles verändert sich, aber dahinter ruht ein Ewiges.“. Dass sich tatsächlich für uns heutige Freimaurer alles ändern würde, konnte beim Johannisfest 2019 niemand ahnen.
Die Freimaurerei hat sich seit ihrer Entstehung stets verändert. Doch bis auf die Zeiten der Strikten Observanz, der Illuminaten und während der Nazidiktatur hat es so gravierende Veränderung des Logenlebens, des brüderlichen Miteinanders und der freimaurerischen Arbeit, wie während der Corona-Pandemie, noch nie gegeben.
Wir müssen leider davon ausgehen, dass sich unser freimaurerisches Leben so stark geändert hat, dass es ein „Same procedure as two years ago“ nicht geben wird. Während der Corona-Pandemie haben sich neue Formen des brüderlichen Beisammenseins und der freimaurerischen Arbeit entwickelt. Die auffälligste Veränderung liegt darin, dass sich eine „Digitale Freimaurerei“ etabliert hat. Zu Beginn der Corona-Pandemie wurde allerorts versichert, dass digitale Konferenzen ausschließlich den brüderlichen Kontakten dienen sollten. Doch bereits nach kurzer Zeit wurde das offene und ungeschützte Internet für Übertragungen von Instruktionen und freimaurerischen Arbeiten genutzt. Das Verschwiegenheitsgebot als eine der tragenden Säulen der „Alten Pflichten“ wurde hierbei außer Kraft gesetzt. Wir können zum jetzigen Zeitpunkt nicht abschätzen, wie und ob es die uns bekannte und gewohnte Freimaurerei in den einzelnen Logen auf der Grundlage der „Alten Pflichten“ in Zukunft überhaupt noch geben kann.
Alles verändert sich im Spannungsfeld von Entstehen, Sein und Vergehen. Es bleibt mit Spannung abzuwarten, ob sich in der „Nach-Corona-Zeit“ die Logen wieder zu Orten der Brüderlichkeit, der Vertraulichkeit und der verschwiegenen Rituale entwickeln können. Getragen von der Hoffnung, dass sich in allen Logenhäusern die Brüder im brüderlichen vertrauensvollen Miteinander wieder der Arbeit am eigenen rauen Stein widmen können. Lasst uns alles dafür tun, dass die Freimaurerei nicht zu einem medialen Spektakel der Selbstdarstellung im Internet verkommt und wir das Ende der traditionellen Freimaurerei erleben müssen.
„The same procedure as every year!“
Fast jeder von Euch kennt den Dialog:
„The same procedure as last year, Miss Sophie?“
„The same procedure as every year, James!“
Wenn wir uns der Johannisfeste der vergangenen Jahre und Jahrzehnte erinnern, so können wir feststellen, dass sie meist als „The same procedure as every year“ fast gleich abgelaufen sind. Selbst die Inhalte der Festzeichnung sind durch die fünf Aspekte des Johannisfestes weitgehend vorgegeben. In allen Jahren, in denen ich eine Johannisfestzeichnung auflegen durfte, stand ich stets vor der Frage: Auf welchen der fünf immer gleichen Aspekte des Johannisfestes soll ich den besonderen Schwerpunkt legen?
Soll ich erneut Bezug auf den Gründungstag der ersten Freimaurerloge in London am Johannistag des Jahres 1717 nehmen und abermals betonen, dass wir durch die Erinnerung an den Gründungstag darauf hingewiesen werden sollen, dass wir Freimaurer in der Verantwortung stehen, Jahr für Jahr unsere eigene Loge neu zu begründen, neu zu beleben und durch innere Wandlung zu verändern?
Oder befasse ich mich noch einmal mit der Legende von Johannis dem Täufer und ihrer Bedeutung für uns Freimaurer durch seine Mahnung: „Beginne neu – Wandle Dich!“, um hierbei zu verdeutlichen, dass jeder einzelne aufgefordert ist, sein Handeln immer wieder zu überprüfen und neu auszurichten?
Soll ich mich in diesem Jahr vielleicht erneut mit dem Johannistag, als dem Tag des höchsten Sonnenstandes und des hellsten Lichtes, befassen, um damit auf die Sonnensymbolik der Erkenntnisgewinnung und der Erleuchtung sowie auf die Symbolik der Unendlichkeit durch die ständige Wiederholung des Sonnenkreislaufes hinzuweisen?
Ich könnte natürlich auch noch einmal Bezug auf die Rosen in ihrer freimaurerischen Symbolik des ewigen Wandlungskreislaufes der Natur nehmen und auf das Naturgesetz des Werdens, des Wachsens, des Vergehens und des Wiederentstehens in einer neuen Existenzform eingehen.
Vielleicht könnte ich auch erneut das Johannisfest und seine Aspekte als Freudenfest durch die Betonung der Freude an der sommerlichen Natur und durch das Hervorheben des Vergnügens an der Geselligkeit und der Freundschaft zwischen uns Brüdern beschreiben?
Das Erkennen der Gesetzmäßigkeiten gibt uns Lebenssinn
Jeder dieser fünf Johannisfestaspekte ist von mir in den vergangenen zwölf Jahren aus verschiedenen Perspektiven mehrfach beleuchtet worden. Bei der Vorbereitung dieser Johannisfestzeichnung habe ich mich daher entschlossen, keinen der üblichen Johannisfestaspekte herauszustellen. Zu Beginn unseres neuen Maurerjahres möchte ich mich diesmal ausschließlich einer einzigen Frage widmen:
„Welches Gesetz des Großen Baumeisters aller Welten liegt seiner Konstruktion unseres irdischen Lebens zu Grunde?“ Als Freimaurer wissen wir, dass alle mit unserem Johannisfest verknüpften Symbole und Aspekte letztendlich im Begriff des dauerhaften und unabwendbaren Wandels kulminieren. Unser Johannisfest können wir daher auch als einen Tag zur Erinnerung an das uns durch den Großen Baumeister aller Welten gegebenen Gesetz des ewigen Wandels begreifen. Das Erkennen und das Vorhersehen von gleichförmig ablaufenden Wandlungsprozessen in der belebten aber auch in der unbelebten Natur gibt dem Menschen in seiner Existenz Struktur, Orientierung und Sicherheit. Das Erkennen und das Vorhersehen von Gesetzmäßigkeiten im permanenten Strom der Zeit ermöglicht uns Menschen die Auseinandersetzung mit den Grundfragen unserer Existenz und unterstützt den Glauben an einen Lebenssinn. Bereits in den frühesten Kulturen waren die Menschen bemüht, anhand der regelmäßig ablaufenden Naturprozesse ihre Fragen zum menschlichen Werden, zum menschlichen Sein und zum menschlichen Sterben zu beantworten.
Aus der griechischen Philosophie kennen wir Heraklits Erkenntnis:
„Man kann nicht zweimal
in den gleichen Fluss steigen.“
Ebenso ist uns Platons „Panta Rhei“ bekannt. Seine Erkenntnis lautet:
„Alles fließt und nichts bleibt;
es gibt nur ein ewiges Werden und Wandeln.“
Auch wir Menschen unterliegen den Naturgesetzen und sind lediglich zeitlich befristete Elemente im ewigen Werden und Wandeln.
Gesetze geben die Freiheit, Einfluss auf die Zukunft zu nehmen
Bei unseren rituellen Tempelarbeiten vernehmen wir bei der Einrichtung der Loge immer die Worte des Meisters vom Stuhl: „Nur das Gesetz kann uns Freiheit geben!“ Vordergründig kann man daraus schließen, dass es sich bei diesen Worten um den Hinweis auf ein freimaurerisches Gesetz handelt. Bei den Worten des Meisters vom Stuhl handelt es sich aber weder um den Hinweis auf die freimaurerischen „Alten Pflichten“ noch um eine Erinnerung an ein freimaurerisches Hausgesetz. In Wirklichkeit handelt es sich um überhaupt kein weltliches Gesetz, sondern es ist allein der Hinweis auf das uns vom Großen Baumeister aller Welten gegebene Naturgesetz des ewigen Wandels. Der in unser freimaurerisches Ritual aufgenommene Text „Nur das Gesetz kann uns Freiheit geben!“ stammt von unserem Bruder Johann Wolfgang von Goethe. In einem Gedicht positioniert er sich mit dieser Feststellung gegenüber Friedrich Schiller zur Frage der vom Menschen gestaltbaren Kultur und den Einschränkungen des Menschen durch das Naturgesetz.
Das uns durch den Großen Baumeister aller Welten gegebene Gesetz des ewigen Wandels basiert auf drei Zeitdimensionen: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Allein die Gegenwart, der Existenzmoment zwischen der Vergangenheit und der Zukunft, ist für uns Menschen Realität. Die Vergangenheit ist nicht die Gegenwart und die Gegenwart ist nicht die Zukunft, aber die Zeit mit ihren Teildimensionen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft schafft die Gesamtheit der Natur. Im Zeitstrom des menschlichen Lebens beinhaltet das gegenwärtige Sein durch individuelle Erinnerungen und durch vom Menschen geschaffene Kulturprodukte einen Erkenntnis- und Wissensspeicher aus dem verflossenen geistigen Sein. Auf der Grundlage von Erfahrungen und Erkenntnissen aus der Vergangenheit und durch geistige Prozesse in der Gegenwart eröffnet der verlässliche permanente Wandel dem Menschen die Möglichkeit, über zukünftiges Handeln und Sein nachzudenken. Erfahrungen aus der Vergangenheit und Erkenntnisse im Jetzt ermöglichen dem Menschen durch rationale Verhaltensentscheidungen Einfluss auf das zukünftige Sein zu nehmen. Oder mit anderen Worten: Durch das Gesetz des ewig gleichförmigen Ablaufes der Natur wird jedem Menschen die Möglichkeit eröffnet, durch reflektierte Verhaltensentscheidungen in seinem Jetzt Einfluss auf sein zukünftiges Sein nehmen zu können. Das Gesetz des permanenten Wandels bietet dem Menschen somit die Voraussetzung, um sich im zukünftigen Sein auf der Grundlage eigener Entscheidungen anders als bisher verhalten zu können. Nur, wer das Gesetz des ewigen Wandels erkannt hat und wer diese Erkenntnis bewusst nutzt, hat die Freiheit, über sein zukünftiges Verhalten selbst zu entscheiden. Die Summe der in den bisherigen Existenzpunkten des Lebens getroffenen Entscheidungen macht den einzelnen Menschen zu dem, was er ist. Durch die Möglichkeit, über das eigene zukünftige Handeln entscheiden zu können, kann der Mensch zu dem werden, was er sein möchte
Freimaurerisch leben heißt, niemals nachzulassen
Nur das Gesetz des ewigen Wandels ermöglicht uns Freimaurern überhaupt am Rauen Stein zu arbeiten. Arbeit am Rauen Stein heißt, das uns vom Großen Baumeister aller Welten gegebene Gesetz des ewigen Wandels zur persönlichen Veränderung und zur Gestaltung einer humaneren Zukunft zu nutzen. Die Kriterien zur Entscheidung, auf welche Weise wir zukünftig handeln sollen und handeln wollen, finden wir in unseren freimaurerischen Werkzeugsymbolen. Freimaurerisch zu leben, heißt daher, niemals im Bemühen um das Erkennen und Verstehen unserer freimaurerischen Symbole zur Verbesserung der Entscheidungs- und Handlungskompetenz für eine geistige und moralische Vervollkommnung nachzulassen. Vom Maurer zum Freimaurer kann letztendlich nur der Bruder werden, dem es dauerhaft gelingt, sich in zwischenmenschlichen Situationen bereits in seinen spontanen Reaktionen bewusst auf der Grundlage unserer freimaurerischen Ethik und Moral zwischen Verhaltensalternativen zu entscheiden und seine Zukunft damit freimaurerisch zu gestalten.
Den Gedanken, dass die Grundlage des Freimaurertums das vom Großen Baumeisters aller Welten geschaffene Gesetz des ewigen Wandels ist und der Gedanke, dass das Ziel unserer Arbeit im Bemühen um eine bewusste moralische und ethische Vervollkommnung besteht, finden wir ebenfalls von unserem Bruder Johann Wolfgang von Goethe beschrieben. In seinem Gedicht „Selige Sehnsucht“ heißt es in der letzten Strophe:
„Und so lang du das nicht hast,
dieses: Stirb und Werde!,
bist du nur ein trüber Gast
auf der dunklen Erde.“
In dieser Strophe formuliert Goethe eine klare Forderung an jeden Freimaurer: Wer im Einklang mit der Natur leben und wer zu den Weisen und Verständigen gehören möchte, muss das Prinzip der Welt im unaufhörlichen Wandel, das Gesetz der stetigen Veränderung und die Realität permanenter Erneuerung erkennen. Wer nicht nur ein trüber Gast auf der dunklen Erde bleiben will, sondern wer zu den Weisen und Verständigen gehören möchte, muss das Gesetz des Großen Baumeisters aller Welten akzeptieren und sein Leben danach ausrichten. Bei unserer Arbeit am Rauen Stein sind wir Freimaurer daher aufgefordert, auf der Grundlage bewusster Entscheidungen entweder aktiv zur Humanisierung der zukünftigen Welt beizutragen oder durch bewusstes Nichthandeln inhumane Veränderungen im Zwischenmenschlichen oder im Gesellschaftlichen zu verhindern.
Den permanenten Wandel auch im neuen Maurerjahr nutzen
Ich möchte abschließend die Frage meiner Johannisfestzeichnung: „Welches Gesetz des Großen Baumeisters aller Welten liegt seiner Konstruktion unseres irdischen Lebens zu Grunde?“, noch einmal mit Worten von Johann Wolfgang von Goethe beantworten. In einem Brief an Katharina Fabricius schreibt er:
„Alles verändert sich,
aber dahinter ruht ein Ewiges.“
Lasst uns auch in dem vor uns liegenden Maurerjahr den permanenten Wandel zur positiven Weiterentwicklung unserer Loge, zur Veredelung von uns Brüdern und zur Humanisierung unserer Welt nutzen und erleben!