Großloge der Alten Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland (AFuAMvD)

Das musivische Pflaster: ein Kontrast-Mittel

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Die Welt ist ein Schachbrett, Tag und Nacht geschrägt, wo das Schicksal Menschen hin und her bewegt. Sie umeinander schiebt, Schach bietet und schlägt, und nacheinander einzeln in die Kiste legt.

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Das musivische Pflaster: ein Kontrast-Mittel

Von Michael Krakow

So empfand es der persische Dichter Omar Chayyam im 11. Jahrhundert. Der Name Schach leitet sich ab vom persischen Wort „Schah“, was König bedeutet. Das königliche Spiel und die königliche Kunst, eine durch viele Parallelen facettenreiche Verbindung.

Natürlich: Es geht um unser musivisches Pflaster. Quer durch die Historie und Literatur taucht dieses Muster immer wieder auf. Weit vor der Entdeckung als Spielfläche, denn die Araber brachten das Schachspiel erst im 13. Jahrhundert von den Persern zu uns nach Europa. Aber bereits im Jahre 440 v. Chr. beschreibt Sophokles das musivische Muster in seinem Drama „Antigone“. Das früheste Auftauchen dieses geometrischen Stils wird in antiken griechischen und römischen Fußbodenmosaiken verortet. Ein Musivum bezeichnet nämlich ein „Bildwerk eingelegter Steine“ und ist der Wortstamm für das Wort Mosaik. Im Talmud bezeichnet der Begriff Mosaik eine Fläche, die „… die Grundfeste des Tempels deckt“. Somit haben wir hier die Verbindung von Musivum und Tempel. Es soll nicht die einzige bleiben. Im Evangelium des Johannes bildet das musivische Pflaster jenen Boden, auf dem die heute größte Weltreligion ihre Geburtsstunde erlebte. Der Thron, auf dem Pilatus sitzend den Jesus von Nazareth zum Tode am Kreuz verurteilte, trug den hebräischen Namen „Gabbatha“, was übersetzt „Hochpflaster“ bedeutet, ein Name, der damals dem Schachbrettmosaik zugeeignet war und eben auch für Throne verwendet wurde. In der Altstadt von Jerusalem nutzen Pilger bis heute das „Lithostrotos“, ebenfalls ein Musivum, um darauf zu beten. Und natürlich soll auch der Salomonische Tempel dergestalt musivisch ausgestattet gewesen sein. Dieses bicolorige Muster bildete dort mutmaßlich den Weg, den nur die Hohepriester beschritten. Die Freimaurer entnehmen diesen Umstand den Schriften des jüdischen Historikers Flavius Josephus. Von Beginn an umgab dieses Schachbrettmuster also ein besonderes Fluidum, sein Beschreiten war nur hochgestellten Personen vorbehalten. Und später Schachfiguren als Alter Ego. Vielleicht der Grund, weshalb wir unser musivisches Pflaster im Tempel würdevoll betreten, im Rahmen besonderer Rituale oder durch Brüder mit besonderen Aufgaben.

Ein Messinstrument der alten Baumeister?

Abseits von Spiritualität, Kultur und Literatur geht man heute davon aus, dass diese quadratischen Felder einfach eine sehr praktikable Messgröße der Baumeister gewesen sind. So wie in Japan die Tatami, die traditionellen Igusagrasmatten, die noch heute die Bezugsgröße für Flächenmaße in der Gebäudearchitektur sind. Die Arten, mit diesen Quadraten zu konstruieren, zu messen und zu kontrollieren, galt über eine sehr lange Zeit als Geheimnis der Baumeister. Wie wir wissen, beileibe nicht die einzigen Geheimnisse der Baumeister. Und noch immer messen wir in Quadratmetern und Quadratfüßen, machen wir es räumlich, wird es zu Kubik, was von Kubus stammt, dem dreidimensionalen Quadrat, dem Würfel. Kein Steinmetz-Zeichen, das sich nicht ableitete von dieser ewig gültigen Form.

Das Quadrat beinhaltet zwei bzw. vier Dreiecke, die Bedeutung der Primzahl 3 ist sowohl in der christlichen Religion (Dreifaltigkeit), in vielen spirituellen Mythen als auch in der Freimaurerei immens. Das Dreieck gilt als Urfigur, das jedem Quadrat zugrunde liegt. In den meisten alten Kirchen verdeutlicht dies ein Blick hoch an die Decke, das Kreuzgewölbe zerteilt die quadratische Fläche zwischen vier Säulen in Dreiecke. Der Satz des Pythagoras verbindet in der Euklidischen Geometrie das Dreieck im Zentrum mit drei Quadraten. Damit bildete er sogar das Lambdoma, die Grundstruktur der Harmonik, das als die Matrix der gesamten Schöpfung gilt. Die Welt ist Klang.

Winkelgerechte Lebensführung auf dem Schachbrett und im Leben

Es folgt der zweite essentielle Umstand. Der rechte Winkel ist das Charakteristikum sowohl des gleichschenkligen Dreiecks als dadurch auch des Quadrates, und dieser Winkel ist uns Freimaurern sakrosankt. Ausschließlich im rechten Winkel bewegt sich der Springer auf den Schachfeldern, ebenso der Turm wie der König. Winkelgerechte Lebensführung, so nennen wir dies, daran versuchen wir unsere Orientierung. Viermal 90 Grad, aufrecht und aufeinander aufbauend, die Linien stützen sich gegenseitig, eine jede gleich lang, keine, welche herausragt oder geringer wäre. Fehlte eine der Linien, das Quadrat wäre keines mehr. Das Quadrat bleibt proportional, wird es in 3 x 3 vervielfältigt, so entsteht abermals ein Quadrat, aus neun kleineren Quadraten. Diese Reihe ließe sich beliebig fortsetzen, egal wie wie gigantisch. Sowohl äußere Form als auch kleinster Bestandteil: Es bleibt ein Quadrat. Das Schachbrett verfügt über 64 Felder, die zwei Farbtöne paritätisch verteilt. Zerteilt man das Brett gedanklich in vier Dreiecke, stehen sich in den Eckpunkten der Linien jeweils ein schwarzes und ein weißes Quadrat gegenüber, absolute Balance. Das führt, abseits aller abstrakten geometrischen und mathematischen Überlegungen, zur weiterführenden Frage: Was bedeutet dieser Schachbrettboden heute für uns, was macht uns das Musivische in der Moderne erklärbar?

Gegensätze ziehen sich an …

Dunkle und helle Felder wechseln einander absolut paritätisch ab, kein Dunkles berührt ein Helles und dennoch hängen beide Farbtöne zusammen und dergestalt voneinander ab. So bilden sie grandios komprimiert das universelle Spiel der Gegensätze. Nichts ist wirklich existent ohne seinen jeweiligen Konterpart, Wechselseitigkeit ist der Schlüssel für Ausgewogenheit. Das Messen der Kräfte, zwei Energien bedingen einander, halten sich im Gleichgewicht. Das, meine Brüder, ist die Winkelwaage, auf der einander zu begegnen wir uns am Ende einer jeden Tempelarbeit versprechen. Während der Aufseher dies auch wiederkehrend postulieren wird, steht er dabei sinnigerweise an oder auf einer Kante des musivischen Pflasters.

Für eine Waage braucht es zwei Positionen, beide Schalen sind unterschiedlich befüllt, benötigen aber gleiches Gewicht, um eine brauchbare Aussage zu treffen. Ausgewogen nennen wir dies.

Sowohl ein englischer Universalgelehrter als auch ein deutscher Physiker haben hierzu interessante Gedanken erarbeitet. Im Jahre 1660 sah Isaac Newton einen Apfel aus einem Baum fallen und fragte sich: Aus welchen Kräften heraus tut die Frucht dies und weshalb jetzt, nicht vorher oder später. Diese Überlegung brachte ihn direkt in das Spiel zweier miteinander ringender Energien. Die Kraft, die den Apfel am Zweig festhält, behauptet sich ununterbrochen gegen die Gravitation, die Schwerkraft, die den Apfel zu Boden, Richtung Erdmittelpunkt zieht. Durch diese beiden Kräfte hält das Obst lange seine Position, fällt nicht herunter, fliegt nicht davon. Dieses Gleichgewicht erst ermöglicht dem Apfel sein Wachstum! Irgendwann überschreitet seine Masse eine kritische Grenze, was den Sog nach unten gewinnen lässt. Wir betrachten einen Obstbaum und ahnen kaum, dass diese beiden faszinierenden Naturgesetze sich an seinen Ästen hundertfach permanent in Schach halten, womit sich auch sprachlich der Kreis schließt. Um nicht zu sagen, die Quadratur des Kreises. Ist es in unserem Inneren anders als beim Apfel? Halten sich auch in uns verschiedene Kräfte in Schach? Haben vielleicht auch wir schwarze und weiße Felder im Gemüt?

Vom dunklen und vom hellen Wolf

Eine alte Legende indianischen Ursprungs erklärt es mit zwei Wölfen, die in jedem von uns wohnen. Der dunkle Wolf verfügt über die Kräfte Zorn, Neid, Gier, Überheblichkeit, Vorurteile, Misstrauen, Gram, Stolz, das Ego. Der helle Wolf wird von Liebe angetrieben, von Hoffnung, Heiterkeit, Wohlwollen, Großzügigkeit, Zutrauen, dem Mitgefühl. Diese beiden Jäger ringen in unserer Seele unentwegt miteinander. Wer von beiden ist der stärkere? Die Antwort der Indianer lautet weise: Es ist jener Wolf, den Du fütterst.

Müssen wir demnach also den dunklen Wolf verdammen, den hellen dagegen erheben? Ich glaube nicht, diese Logik wäre zu simpel, das Leben ist komplexer. Denn was wären die hellen Flächen des Schachbretts ohne die dunklen, die weißen Figuren ohne die schwarzen? Dieses Spiel funktioniert nur deshalb, weil es beide gibt. Das mag die Botschaft sein, die uns das musivische Pflaster zu unseren Füßen stumm vor Augen hält. Was tragen Menschen zu meiner Entwicklung bei, die meiner Meinung sind, die mir sehr ähnlich sind, die es mir leicht machen, sie zu mögen, ihnen zu folgen? Weitaus mehr lernen kann ich von den anderen, auch über mich selbst. Jene, die mir anstrengend erscheinen, bei denen mir die Interaktion etwas abverlangt. Schwarz und weiß bedingen einander, erst ihr Kontrast zueinander verschafft uns Orientierung, Räumlichkeit und die Möglichkeit zu Aktion und Wachstum. Und er bietet uns an jedem Tag die Chance, ja sogar den Druck, uns wieder neu zu entscheiden, auf welchem Feld wir selber stehen wollen. Das ist die Matrix unseres Daseins, wie viele Romane, Geschichten und Filme handeln genau davon, vom immerwährenden Duell hell gegen dunkel? Es ist eine bewusste, immer wieder neu zu treffende Entscheidung, die auch und gerade der Antrieb für uns Maurer ist. Das bekannte Symbol des Daoismus, Yin und Yang, bildet dies semiotisch perfekt ab. Im Kreis umfließen einander nicht nur die schwarze und die weiße Fläche gleichmäßig viskos, sondern sie tragen zudem einen Punkt des anderen in ihrem Zentrum. In einem Lied heißt es an einer Stelle: „Das Weiße im Auge des Feindes zu sehen, bedeutet nichts als geduldig vorm Spiegel zu stehen.“ Die Polarität ist unser System, die Dualität unsere Struktur. Anziehung gibt es nur zwischen Plus und Minus, dem Prinzip des Magnetismus. Alles möglichst in Balance zu halten ist der Kern der Natur, die natürliche Ordnung, Sturm ist physikalisch der Ausdruck von sich ausgleichenden Luftdrücken. Wie töricht, das Anderssein zu verteufeln, wie es gegenwärtig wieder in Mode kommt, obgleich bereits überwunden geglaubt. Albert Einstein erkannte einst genial: „Ein Apfel allein besitzt überhaupt keine Eigenschaften.“ Erst das Erscheinen eines zweiten Apfels lässt diesen ersten groß oder klein, rund oder kantig, lecker oder weniger schmackhaft, farbig oder blass sein.

Erkenne Deine Position auf dem Schachbrett!

Zur Bestimmung von uns und von allem brauchen wir den Vergleich, benötigen wir das Andere. Das Schwarz-Weiß-Denken ist uns als Ausdruck geläufig, zwischen diesen Polen aber sind sämtliche Farben zuhause, zwischen den Extremen also ist der Durchgang, zwischen Berg und Abgrund liegt der Mittelweg, der uns Ausgeglichenheit verheißt. Zwischen den Maximalpositionen liegen im Diskurs und jeder Verhandlung die Möglichkeiten! Zwischen heiß und kalt liegt die angenehme Temperatur. Dort hat das Leben seine Heimat, im Mittelpunkt, dort, wo unser musivisches Pflaster liegt. Schwarz und Weiß sind nur die Leitplanken, die äußeren Begrenzungen im Denken. Um Gutes tun zu können, braucht es das Erkennen des Antipoden. Zuvörderst bei sich selbst, in sich selbst, der andere inspiriert uns dann dazu, wenn wir es zulassen.

Und da sind wir beim Grundprinzip der Maurer: Erkenne Dich selbst! Ich möchte hier erweitern: Erkenne auch Deine Position auf dem Brett. Jeder von uns trägt beide Quadrate in sich, beide Wölfe leben in uns, Helles wie auch Dunkles. Das musivische Pflaster vermag als Abbild unseres Seins zu dienen. Und so wie das musivische Pflaster ist auch unsere Kleidung als Freimaurer: schwarz und weiß. Und das macht uns Maurer aus, eine Schar aus unterschiedlichsten Männern, die sich wie die Schachfiguren wöchentlich ein gemeinsames Spielfeld teilen. Die königliche Kunst und das königliche Spiel. Möge uns beides stetig daran erinnern, dass unsere Stärke in der Vielfalt liegt. Den Kontrast aufzugeben, kann nicht wirklich unser Ziel sein, denn Schwarz und Weiß einfach nur vermischt ergibt Grau. Wollen wir wirklich grau sein? Wenn alle identisch sind, ist Harmonie billig zu haben, somit fast ohne Wert. Und schrecklich öde. Auf dem Schachbrett. Im Leben. Und in der Loge.