Großloge der Alten Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland (AFuAMvD)

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Der Feind steht rechts

Der Feind steht rechts!“ – dieses Zitat ist mir noch vor Augen als wesentlicher Auslöser meines Interesses an der jüngeren deutschen Geschichtsschreibung.

Gelesen von Hasso Henke

Foto: © spaxlax / Adobe Stock | Foto: adragan @ Adobe Stock

Nach jahrelanger, curricular verordneter Langeweile im Geschichtsunterricht am Gymnasium des beschaulichen Kurstädtchens Bad Kissingen bekam ich in der 10. Klasse plötzlich einen neuen und begnadeten Geschichtslehrer. Und zusätzlich ein überaus modern gestaltetes und didaktisch intelligent aufbereitetes Geschichtsbuch. „Weimarer Republik“ – so das übergeordnete Thema – und ich weiß noch, als wäre es erst gestern gewesen, wie mich der Stoff fesselte. Parteipolitisch war ich bereits aktiv getreu dem Motto von Franz Joseph Strauß, wonach konservativ sein heiße, an der Spitze des Fortschritts zu stehen. Mitglied der Schüler Union, später der Jungen Union, und dann fast unausweichlich der CSU.

„Der Feind steht rechts“. Heute, es ist der 5. März 2020, habe ich diese Formulierung wieder gehört – in einer Bundestagsdebatte aus Anlass des rassistischen Attentates eines Rechtsradikalen, dem 14 Tage zuvor neben seiner Mutter neun vermeintlich „Fremde“ in der hessischen Stadt Hanau zum Opfer gefallen waren. Es ist Ralph Brinkhaus, Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion, der dieses historische Zitat in das Rund des Deutschen Bundestages im Reichstag schmettert.

„Der Feind steht rechts!“ Ich bin mir nicht sicher, ob sich Ralph Brinkhaus im Augenblick dieser Aussage des historischen Musters bewusst war. Mir zumindest fiel unmittelbar jener Zusammenhang ein, in dem diese Aussage etwa 100 Jahre zuvor bereits getätigt wurde: „Der Feind steht rechts!“ Es war im gleichen Gebäude wie 2020, dem Deutschen Reichstag, am 25. Juni 1922, als Reichskanzler Joseph Wirth (1879–1956) den vortäglichen Mord an dem Juden, Industriellen und Reichsaußenminister Walther Rathenau im politischen Spektrum der Weimarer Republik eindeutig lokalisierte: „Der Feind steht rechts!“

Soweit die Einordnung zweier politischer Ereignisse mit gemeinsamem Nenner. Doch was sollen diese Ausführungen im Zusammenhang mit der Freimaurerei? War Walther Rathenau etwa Freimaurer? Oder Joseph Wirth? Oder ist es Ralph Brinkhaus?
Nein, es war ein Bruder, der mich darauf brachte, weil er behauptete, ihm sei von antimasonischen Umtrieben bei der politischen Rechten nichts bekannt: „Ich lese viel, Zeitungen und Internet, viel Politisches und und und – habe aber noch nirgends etwas davon gelesen, dass irgendwelche ‚Rechte‘ etwas gegen Freimaurer haben.“

Diese Aussage machte mich stutzig, denn: Entweder litt ich unter Verfolgungswahn oder aber dieser Bruder war auf einem – dem rechten Auge nämlich – ziemlich blind.

Beispiele gefällig?

Wolfgang Gedeon (AfD), Mitglied des Landtags von Baden-Württemberg, veröffentlichte mehrere antisemitische Schriften. Darin fragte er etwa, ob es nicht sein könne, dass „die Juden genügend Gründe für die ihnen entgegengebrachten Feindseligkeiten geliefert haben“. Gedeon glaubt an eine „freimaurerisch-zionistische“ Weltverschwörung. Die Alleinschuld Deutschlands am Zweiten Weltkrieg lehnt er ab – und auch „die Frage der Hauptschuld scheint mir nicht so eindeutig, wie es die offizielle, im Wesentlichen vom Zionismus diktierte Version vorgibt“. Gedeon bezog sich mehrfach auf die antisemitische Fälschung „Die Protokolle der Weisen von Zion“. Die Schrift ist seiner Einschätzung nach „mutmaßlich keine Fälschung“, wahrscheinlich handele es sich tatsächlich um die Mitschrift einer Geheimtagung. Das Parteiausschlussverfahren gegen ihn wurde eingestellt – nicht aus inhaltlichen Gründen, sondern weil Belege für Antisemitismus „nicht rechtzeitig vorgelegt“ worden seien.

Peter Boehringer (AfD), Mitglied im Deutschen Bundestag, glaubt an die Existenz geheimer, global operierender Eliten, die im Hintergrund an einer sogenannten „New World Order“ (NWO) arbeiten – einer neuen Weltordnung. Die Gesellschaft solle dabei so verändert werden, dass die Eliten sie besser kontrollieren können. Auf Facebook erklärte Boehringer, in Deutschland steuere die NWO bereits die Bundesregierung, habe aber auch die evangelische Kirche, die Bahn, die CSU, die Grünen in Baden-Württemberg, diverse Hilfsorganisationen sowie die Deutsche Feuerwehr-Gewerkschaft infiltriert. Die Vereinten Nationen seien ebenfalls von der NWO gesteuert – dort seien allerdings auch die Freimaurer aktiv. Er glaubt außerdem, die Flüchtlinge aus dem Nahen Osten seien Teil einer gesteuerten Invasion. Sie erhielten für die Überfahrt nach Europa Geld, etwa aus Saudi-Arabien. Ziel sei es, Europa zu islamisieren. Boehringer bestreitet, behauptet zu haben, die „Merkelnutte“ lasse zu, dass der deutsche „Volkskörper“ durch Flüchtlinge „gewaltsam penetriert“ werde. Allenfalls habe er solche Formulierungen in einer Mail an einen kleinen Personenkreis benutzt.

Beide Beispiele sind fast im Wortlaut der Online-Berichterstattung des „Berliner Tagesspiegels“ vom 6. Januar 2019 entnommen.

Dabei könnte man es nun auch bewenden lassen, hätten nicht seit vergangenem Sommer „Rechte“ gleich serienweise ihnen missliebige Mitmenschen ermordet: So am 2. Juni 2019 den Regierungspräsidenten von Kassel, Walter Lübcke, so am 9. Oktober 2019 zwei Menschen in Halle, und so am 19. Februar neun Menschen in Hanau.

Und machen wir uns bitte nichts vor: Auch wir Freimaurer befinden uns – entgegen der Wahrnehmung des oben zitierten Bruders – wieder oder immer noch im Fadenkreuz rechtslastiger Aufmerksamkeit: Ein mir befreundeter Journalist, der um meine Logenmitgliedschaft weiß, machte mich kürzlich auf eine von ihm verfasste Reportage über das sächsische Städtchen Sebnitz aufmerksam („Fremder, kommst Du nach Sebnitz“, von Fabian von Poser, „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“, 16.11.2016), bei deren Recherche er auf einschlägige „Informationsblätter“ gestoßen war, die in mehreren Sebnitzer Geschäften offen auslagen, und in denen das Bemühen von Angela Merkel um die Errichtung einer „Neuen Weltordnung“ beschrieben wurde. Danach sei „Bundeskanzlerin Angela Merkel Mitglied der drei ultrageheimen Freimaurer-Ur-Logen ‚Golden Eurasia‘, ‚Parsival‘ und ‚Valhalla‘“ und habe auf dem 33. [!] Evangelischen Kirchentag in Dresden den Weg zu einer „Neuen Weltordnung“ aufgezeigt.

Das jüngste Beispiel für dieses erneute Aufkommen rechtslastiger Verschwörungstheorien gegen die Freimaurerei ist mir in einem Beitrag von „Spiegel TV“ vom 4. März 2020 vor die Augen und Ohren gekommen, in dem Adrian Altmayer „Bizarre Verschwörungstheorien. Klimawandel-Leugner und ihre ‚Anti-Greta‘“ dokumentiert. Danach seien die Machenschaften von und um Greta Thunberg nicht weiter verwunderlich, stamme diese doch aus „einer Freimaurer-Dynastie“.

Ich bitte, mich jetzt nicht falsch zu verstehen: Weder habe ich für mich als Person und Freimaurer Angst vor rechter Idiotie, wie sie in den zitierten, und – pars pro toto – in unzähligen anderen Quellen zum Ausdruck kommt. Die Autoren und auch die Gläubiger solchen Unsinns entlarven sich ja selbst als geistig ausreichend minderbemittelt, als dass ich sie besonders ernst nehmen könnte.

Nein, Sorge bereiten mir weniger diese Dummköpfe selbst, als vielmehr eine in unserem Bund bisweilen vorhandene Abneigung, den uns umgebenden Hohlköpfen entgegenzutreten, oder aber zumindest die Existenz und die Verlautbarungen solcher Schwachmaten überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Diese Realitätsverweigerung mag geeignet sein, sich im heimeligen Klima des Logenhauses und der freundlich-brüderlichen Atmosphäre des Bundes behaglich zu fühlen, doch mit dem wahren Leben um uns herum hat das wenig zu tun.

Statt sich der Realität zu verweigern, fordere ich uns Brüder auf, laut zu sein. Zu widersprechen. Die Verschwörungstheoretiker zu entlarven. Jeder an seinem Platz, und jeder im Rahmen seiner Möglich- und Fähigkeiten. So wie jeder von uns aufgefordert ist – als mündiger Bürger ebenso wie als Mitglied unseres Bundes – Angriffen gegenüber Minderheiten in der Gesellschaft mutig entgegenzutreten, ebenso kann von jedem Bruder erwartet werden, dass er den Feinden von Freiheit, von Demokratie und von Rechtstaatlichkeit mutig entgegentritt. Seid dabei eingedenk: „Der Feind steht rechts!“

Dieser Beitrag stammt aus dem Heft 3-2020 der HUMANITÄT, dem deutschen Freimaurer-Magazin. Das Heft kann bei der Kanzlei abonniert werden.

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