Großloge der Alten Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland (AFuAMvD)

Die Freiheit des Maurers

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Die Freiheit des Maurers

In den letzten Tagen und Wochen habe ich oft über das Thema Freiheit nachgedacht. Meine Gedanken bewegten sich zwischen den Polen äußere und innere Freiheit, und ich möchte sie mit Euch teilen.

Gelesen von Hasso Henke

Foto: © spaxlax / Adobe Stock

In den letzten Tagen und Wochen habe ich oft über das Thema Freiheit nachgedacht. Meine Gedanken bewegten sich zwischen den Polen äußere und innere Freiheit, und ich möchte sie mit Euch teilen.

Freiheit ist das höchste Gut – darin sind sich fast alle Menschen einig. Frei sein, wer will das nicht? Doch wo fängt Freiheit an, wo hört sie auf? Ich erinnere mich noch, wie erstaunt ich war, als ich feststellte, dass es in den Niederlanden verboten ist, eine Flasche Wein unverpackt aus dem Laden nach Hause zu tragen. Andere Länder, andere Sitten – bzw. eine andere Einschränkung der Freiheit.
Im erste Halbjahr 2020 haben viele Menschen – auch wir Brüder – die überraschende Erfahrung gemacht, wie es sich anfühlt, wenn gewohnte Freiheiten plötzlich beschnitten werden. Unsere liebgewordenen Treffen in der Loge, Werkabende, Tempelarbeiten etc. – das alles war von einem auf den anderen Moment verboten. Und wenn man sich unter Brüdern dennoch einmal begegnete: Der feste Händedruck, die freimaurerischen Griffe waren genauso unmöglich wie eine brüderliche Umarmung. Man sollte sich auf Distanz zu seinen Brüdern bewegen. Fremd fühlte sich das an! Ich gebe zu: die Pandemie-Einschränkungen haben mich am Anfang wirklich enorm gestört. Und auch wenn es schwache digitale Ersatzlösungen gab: Ich kann mir nun sehr gut vorstellen, wie sich die Brüder der vergangenen Jahrhunderte gefühlt haben, als Freimaurerei verboten wurde und man sich nur versteckt treffen konnte.

In Deutschland hat die Freimaurerei eine wechselvolle Geschichte erlebt. Zwischen den Extremen „vom Landesherren selbst betrieben“ und „bei Strafe verboten“ gab es viele Abstufungen. Zuletzt war die Freimaurerei seit 1933/35 verboten; sie wurde auch nach der Befreiung 1945 nicht wieder automatisch erlaubt. Erst nach und nach gestatteten einige Befehlshaber der Amerikaner und Briten wieder vorsichtig Treffen von einzelnen Logen. Die Neugründung der ersten deutschen Großloge nach dem Krieg geschah 1949 in Frankfurt am Main. Im Osten Deutschlands jedoch (wo ich aufwuchs) war die Freimaurerei nicht erlaubt, sie wurde aber auch nicht diskreditiert. Nach offizieller Sprachregelung war die Freimaurerei im Sozialismus „nicht mehr nötig“. Es wurde behauptet, die Partei der Arbeiterklasse – die SED – habe die progressive Funktion der Aufklärung übernommen, die früher in der bürgerlichen Gesellschaft die Freimaurerlogen ausübten. Das konnte natürlich nur behaupten, wer in Wahrheit keine Vorstellung davon hatte, was Freimaurerei ist! Die von den Nazis enteigneten Logenhäuser wurden in der DDR meist dem Gemeinwohl zugeführt, als Altenheime, Kindergärten usw. (In der Straße, in der ich aufwuchs, stand ein riesiges ehemaliges Logenhaus in einem Park, mit großem Saal, eigener Sternwarte und einer geheimnisvollen Ausstrahlung. Es war das „Pionierhaus“; „Junge Pioniere“ war der Name der staatlichen Kinderorganisation. Ein Pionierhaus gab es in jeder größeren Stadt, dort fanden Veranstaltungen statt und wir Kinder hatten die Möglichkeit, kostenfrei Kurse zu besuchen, etwa Kunst, Fotografie, Technik usw. Dass das Haus früher die Geraer Loge „Archimedes zum ewigen Bunde“ gewesen war, hatte mir nur meine Oma erzählt.)

Vor 30 Jahren habe ich dann den gesellschaftlichen Umbruch hautnah miterlebt, durch den Freimaurerei im Osten Deutschlands wieder möglich wurde. Die Freiheit des Reisens war ein wichtiges Thema! Die Menschen wollten nicht länger von einer unüberwindlichen Mauer eingesperrt sein.
Plötzlich mündiger Bürger in einem freien Land

Die sogenannte „Wende“ 1989/90 änderte zwangsläufig das ganze Wertesystem meiner Umgebung. Wo vorher der Staat das Leben des Einzelnen regelte (und ihn in gewissem Sinne auch behütete), war jetzt die Selbstverantwortung gefragt. Aus einer Gemeinwirtschaft, die gefühlt allen gehörte, wurde ein privatwirtschaftlich-kapitalistisches System mit Besitzern auf der einen und Arbeitnehmern auf der anderen Seite. Reihenweise schlossen Fabriken, nachdem sie vom neuen Staat mitunter für eine symbolische Mark an westdeutsche Konkurrenten verkauft worden waren. In den Läden konnte man jetzt Dinge kaufen, die man vorher nur aus dem TV kannte. Endlich gab es genug Autos und man konnte tatsächlich ungehindert reisen – zumindest, wenn man das nötige Geld dafür hatte. Der größte Gewinn aber war die Freiheit der Menschen in vielen Dingen.

Gerade noch beim Militär, wurde ich im Januar 1990 vorzeitig (nach knapp 17 Monaten) in eine ungewisse Zukunft entlassen. Ein Studienplatz war mir im alten System automatisch sicher gewesen – jetzt musste ich mich selber darum kümmern. Die aus dem gesellschaftlichen Umbruch gerade hervorgehende Freiheit musste ich mir persönlich erst mühsam Stück für Stück erarbeiten. Zum Glück war ich erst 20 Jahre alt, aber es dauerte trotzdem lange, bis ich die Möglichkeiten der neuen Gesellschaftsform verinnerlicht hatte und zu nutzen begann. Man konnte sehr vieles tun und hatte weitgehende Rechte. Das zu begreifen, kam nicht automatisch, wenn man anders aufgewachsen war. (Noch heute berührt es mich zum Beispiel unangenehm, wenn ich von der Polizei oder an der Grenze kontrolliert werde.) Ich lernte erst langsam, mich als mündiger Bürger in einem freien Land zu verstehen. Doch all die neu gewonnene Freiheit erzeugte auch ein Gefühl der Leere im Inneren. Zu Recht war die Utopie des „Sozialismus“ verschwunden, doch an ihre Stelle trat: Nichts. Das einzige Ziel schien zu sein, ein schönes Leben zu haben. In dem Maße, in dem das Kapital an Bedeutung gewann, verlor sich der soziale Zusammenhalt untereinander. Jahre vergingen, ich arrangierte mich damit.

Als ich 2009 schließlich Freimaurer wurde, war das etwas, das ich zutiefst genoss. Der „Hohe Hut“ ist in meiner Loge das Symbol der Freiheit und Gleichheit aller Brüder. Die Freimaurerei bot mir in einem geschützten Raum die Möglichkeit, Gedanken auf gleicher Ebene (auf der Winkelwaage) auszutauschen und wertvolle Freunde zu finden (sogar über Landesgrenzen hinweg). Hammerschlag für Hammerschlag erschloss ich mir die Inhalte der Maurerei. Begeistert besuchte ich Logen in nah und fern.

In welcher Freiheit wollen wir leben?

Die Freimaurerei erzieht Menschen zum freien, positiven Denken. Freimaurer sind mutige Menschen, die selbstständig (frei) denken und handeln. Denn die Freimaurerei trägt das Wort „frei“ in ihrem Eigennamen. Zwar zünden wir überall auf der Welt auf unseren Säulen die Lichter Weisheit, Stärke und Schönheit an und diese haben bei uns zu Recht eine sehr zentrale Bedeutung. Dennoch sind wir nicht Weismaurer, Starkmaurer oder Schönmaurer. Wir sind Freimaurer!

Ich finde, es lohnt sich, wenn wir uns fragen: Was machte das faktische Verbot der Logenarbeit heute mit uns und unseren Gedanken? Wie sollen wir als Freimaurer mit den Einschränkungen umgehen? Wie können wir aus der Situation etwas Konstruktives machen? Die Diskussion darüber gibt es aktuell kaum.

Klar ist: Jede Form eines gesellschaftlichen Zusammenlebens muss an irgendeiner Stelle die Freiheit des Einzelnen beschneiden. Die seit März starken Einschränkungen der Freiheit etwa wurden in Deutschland offiziell mit dem Wunsch begründet, Leben zu schützen. Ein von Corona unversehrtes Leben wurde also höher bewertet als die Freiheit der Bewegung und die Freiheit der persönlichen Begegnung mit anderen Menschen. Bekanntlich bildet die Corona-Pandemie in dieser Hinsicht eine Ausnahme von den vielen anderen Bedrohungen, denen die Gesellschaft (oder einzelne Menschen) heute ausgesetzt ist. Wir werden als Gesellschaft auch in Zukunft immer wieder neu bewerten müssen, welche äußerlichen Freiheiten wir wofür beschneiden wollen, etwa wenn es um das Klima, die Wirtschaft oder die Gesundheit geht. Die Frage: „In welcher Freiheit wollen wir leben?“, wird vom Einzelnen meist anders beantwortet als von einer Gesellschaft; die Antwort kann daher niemals absolut sein.

Im Jahre 1941 definierte der US-Präsident Franklin Delano Roosevelt vier Freiheiten als Ziel einer zukünftigen Welt:

Freiheit der Rede
Freiheit der Verehrung Gottes – jeder auf seine Weise
Freiheit von Not
Freiheit von Furcht.

Diese Roosevelt‘sche Formel könnte auch heute noch als Grundvoraussetzung für das friedliche Zusammenleben von unterschiedlichsten Menschen gelten. Hat sich unsere Gesellschaft seit 1941 weiterentwickelt? Dieses anspruchsvolle Ziel haben wir noch lange nicht erreicht.
Durch die Arbeit am Ich mache ich mich zum Freimaurer

Gehen wir auf die Freimaurerei ein. Welche Hinweise gibt es hier auf die Freiheit? Im A.F.u.A.M.v.D.-Ritual des Lehrlingsgrades hebt der Meister nach der Öffnung der Loge mit beiden Händen das Logenschwert an, zeigt es den Brüdern, und indem er es auf die Bücher mit den Logengesetzen (das Hausgesetz der Loge, die „Freimaurerische Ordnung“ der Großloge und die „Alten Pflichten“) legt, spricht er den wichtigen Satz: „Das Gesetz nur kann uns Freiheit geben.“

Die meisten Brüder in Deutschland wissen, dass dieser Satz aus einem Gedicht von J. W. Goethe stammt. Es trägt den Titel „Natur und Kunst“. Bekanntlich war Goethe Freimaurer:

Natur und Kunst –
Sie scheinen sich zu fliehn
Und haben sich, eh man es denkt, gefunden
Der Widerwille ist auch mir verschwunden
Und beide scheinen gleich mich anzuziehn.
Es gilt wohl nur ein redliches Bemühn!
Und wenn wir einst, in abgemessnen Stunden
Mit Geist und Fleiß uns an die Kunst gebunden
Kann frei Natur im Herzen wieder glühn!
So ist’s mit aller Bildung auch beschaffen
Vergebens werden ungebundne Geister
Nach der Vollendung reiner Höhen streben.
Wer großes will, muss sich zusammenraffen
In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister
Und das Gesetz nur kann uns Freiheit geben.

Das Gedicht hat auf mich immer eine tiefe Wirkung gehabt. (Deshalb habe ich bei der Auflegung des Logenschwertes manchmal nicht nur den einen Satz zitiert, sondern das ganze Gedicht.) Zum Beginn der Tempelarbeit wird hier klar, dass die Freimaurerei mehr ist als ein beliebiger Verein. Wir sind kein Service- und kein Freundschaftsclub und keine Wohltätigkeitsorganisation (obwohl diese Elemente vorkommen). Freimaurerei ist eine spezielle westliche Einweihungsmystik. Sie will in den Brüdern besondere Erfahrungen erzeugen, die die Arbeit am Selbst unterstützen (vgl. dazu Jan Snoek: Einführung in die westliche Esoterik für Freimaurer, Zürich 2012). Ich mache mich durch die Arbeit am Ich selber zum Freimaurer. Auf mich kommt es an! Wir helfen in erster Linie uns selbst, ehe wir anderen Menschen Unterstützung geben können.

Selbstdisziplin ist dabei eine gute Übung. Im Tempel gilt es, das Ego vollkommen zurückzustellen. Wir ordnen uns dem Hammerschlag des Meisters unter. Denn das Gesetz nur kann uns Freiheit geben. Für mich weist das Gedicht (in einer seiner vielen Ebenen) klar darauf hin, dass wir Brüder die Natur in uns meistern müssen, um wahrhaft frei zu sein. Es verbindet die Mystik der Freimaurerei mit dem täglichen Leben.

Werde der, der Du bist!

Das freimaurerische Ritual hat mystische Quellen und mystische Inhalte – auch wenn nicht alle Brüder das so sehen. Unser Ritual zeigt, dass wir Teil der großen Natur, Teil der unbegreiflichen Schöpfung sind. Bei der Einweihung hört der Kandidat vom 2. Aufseher diese beeindruckenden Worte:
„Vergessen Sie nicht, dass Ihr Körper Wohnsitz und Werkzeug eines unsterblichen Geistes ist.“

Unser Mensch-Sein vereinigt Geist und Materie. Viele Menschen sind sich dessen nicht bewusst! Die Freimaurerei hilft uns dabei, das wahrzunehmen. Sie hilft uns, geistig und emotional zu erwachen und uns selber zu meistern. Der Freimaurer begreift sich selbst nicht nur als Baustein am Tempel, sondern er versteht sich selber auch als das größte seiner Werkzeuge. Alles was im Tempel an Symbolik erscheint, bezieht sich daher auf unser Inneres. Wie könnten wir mit einem mächtigen Werkzeug arbeiten, wenn wir dieses Werkzeug nicht beherrschen? Werde der, der Du bist!

So betrachtet, kommen wir hinsichtlich der Freiheit zu ganz anderen Überlegungen. Das Erreichen von Freiheit ist ein wesentliches Ziel für die Arbeit am Ich. Aber welche Freiheit kann damit gemeint sein? Im A.F.u.A.M.-Ritual sagt der Meister zum Kandidaten während der Reisen: „Unbeirrt vom Lärm der Welt geht der Maurer seinen Weg, ruhig und sicher, furchtlos in Gefahren, hohe Ziele vor Augen.“

Und wenig später: „Lernen Sie, sich über das Unabwendbare zu erheben. Bewahren Sie sich auch in den Stürmen des Lebens die Freiheit und Unabhängigkeit Ihres Geistes.“

Innerlich frei zu sein – das ist das große Ziel des Freimaurers. Jede äußere Freiheit ist nämlich in Wahrheit viel geringer, als es zunächst den Anschein hat. Selbst Tyrannen und Despoten sind in ein Geflecht von Zwängen und Abhängigkeiten eingebaut. Selbst vermeintlich absolut freie Menschen müssen den Bedürfnissen ihres Körpers nachkommen, und für uns alle gilt: Ungefragt werden wir geboren, ungefragt leben wir und ungefragt müssen wir eines Tages sterben – ob wir wollen oder nicht. Vollkomme Freiheit können wir daher nicht im äußeren Leben erreichen, aber für das Innere anstreben. „Unberührt vom Lärm der Welt“ ist jemand, der in sich ruht. Wir brauchen Resilienz und innere Ruhe. „Stürme des Lebens“, das bezeichnet schwankende äußere Umstände, aber auch schwankende innere Haltungen und Gefühlsstürme. Wer in jeder Situation die Freiheit und Unabhängigkeit seines Geistes bewahrt, der ist innerlich frei. Er hat sich selber gemeistert. Das bedeutet nicht, keine Emotionen zu haben. Es bedeutet, sich selber zu erkennen und mit dem erlangten Wissen praktisch umgehen zu können.

Einschränkungen der äußeren Freiheit, wie wir sie erlebt haben und erleben, können die Freimaurerei daher nicht berühren. Das sollte uns bewusst werden. Denn Freimaurerei lässt sich weder auf geselliges Beisammensein, noch auf Einübungsethik oder auf Tradition reduzieren. Freimaurerei ist Arbeit, stete Arbeit am Ich. Und sie wirft – ernst betrieben – immer neue Fragen auf. Das weiß jeder engagierte Bruder Freimaurer.

Dieser Beitrag stammt aus dem Heft 5-2020 der HUMANITÄT, dem deutschen Freimaurer-Magazin. Das Heft kann bei der Kanzlei abonniert werden.