Im Sommer 2020 kündigte der Buchverlag Bastei Lübbe an, es würden in Kürze gleich zwei neue Romane des weltberühmten Thrillerautors Dan Brown erscheinen, die Verträge seien bereits unterzeichnet. Doch noch immer liegt der Erscheinungstermin der neuen Abenteuer um die fiktive Figur des Symbolkundlers Robert Langdon im Dunkeln. Die Branchenzeitschrift „buchreport“ fragte im Juni 2021 beim Verlagsleiter Marco Schneiders nach. Der gab sich bedeckt und meinte, die Arbeit am Buch schreite gut voran, doch aufgrund der Corona-Pandemie habe Dan Brown seine Recherchen unterbrechen müssen. Allerdings sei absehbar, dass nun bald die TV-Serie zum Freimaurer-Thriller „The Lost Symbol“ anlaufe, wenngleich auch hier der Zeitpunkt noch ungewiss sei. Bis jetzt ist nur der Trailer im Internet zu finden. Ein kurzer Blick darauf lässt nichts Gutes erahnen. Vielleicht gibt es aber auch ganz andere Gründe, warum Dan Brown offenbar Schwierigkeiten hat, seine Romanfigur Robert Langdon erneut zum Leben zu erwecken. Br. Gerd Scherm führte das satirische Protokoll.
Robert Langdon war sauer, frustriert und genervt. Wie kam sein Schöpfer Dan Brown dazu, ihn nach Oberbayern zu schreiben? Harvard, Paris oder Rom waren für ihn angemessene Aufenthaltsorte, aber doch nicht Ingolstadt an der Donau.
Sein Gesicht verzog sich, als hätte er in eine Zitrone gebissen. Natürlich sah er dabei unheimlich gut aus, wie es sich für eine Romanfigur gehört. Auf jeden Fall wesentlich besser als dieser Tom Hanks, der die Ehre hatte, Robert Langdon in „Da Vinci Code“ und „Illuminati“ spielen zu dürfen.
Stundenlang hatte sich Robert nun schon die Absätze seiner Gucci-Schuhe abgelaufen und außer einer Gedenktafel nichts gefunden. Wo in diesem verdammten Ort befand sich eine Inschrift, die nur er, der berühmteste Symbolkundler, der Schrecken aller Weltverschwörer, entziffern konnte? Erschöpft ließ er sich auf einen Stuhl in einem Kaffeehaus nieder, bestellte einen Cognac und griff zur Zeitung. Gedankenverloren blätterte er desinteressiert durch die Seiten, bis sein geschultes Auge auf einen kleinen Artikel fiel: Die Ingolstädter Freimaurerloge Theodor zur festen Burg lud zu einem Vortrag „Das Dan Brown Syndrom — Freimaurerei und Verschwörungstheorien“ ein, und das am morgigen Tag, dem Tag des Kinostarts von „Illuminati“, der Premiere seines Films!
Zweiter Tag, Mittwoch, 13. Mai 2009
Robert Langdon sah wieder aufregend gut aus. Aber leider sah er nicht aus wie Tom Hanks und deshalb erkannte ihn auch niemand, als er sich inmitten der Menschenmenge vor dem Eingang des Logenhauses drängte. Das Haus war eigentlich kein Haus, sondern eine martialische Torbefestigung in der alten Stadtmauer aus dem Jahr 1839, die das Herz jedes Verschwörungstheoretikers schneller schlagen ließ. Wo, wenn nicht hier offenbarte sich das ganze Ausmaß des Komplotts? Wenn das sein Schöpfer sehen könnte, dachte Robert und nach wenigen Augenblicken erleichterte es ihn, dass Dan Brown das imposante Bauwerk doch nicht kannte. Sonst würde der Autor am Ende einen ganzen Thriller hier platzieren und Robert säße einen Roman lang an der Donau fest.
Die Süddeutsche Zeitung und der Donaukurier waren an diesem Tag voll mit Artikeln über die Freimaurer und die Illuminaten. Der Gipfel dabei war ein großes, farbiges Bild vom Tempel der Loge Theodor zur festen Burg, auf dem der Meister vom Stuhl Georg Ott im Kerzenlicht diabolisch die Betrachter anfunkelte. Von wegen — „Georg Ott“, dachte Robert. Man kürze nur den Vornamen in „G“ ab und was erhält man dann? Richtig: GOtt! Einem Verschwörungs-Experten wie Robert Langdon konnte man eben nichts vormachen.
Die Massen strömten zur Veranstaltung in das ehemalige Festungstor. Viele wohl auch deswegen, weil man ihnen die seltene Gelegenheit bot, in das sonst hermetisch verschlossene Gebäude zu gelangen und einen Blick in die Räume der Freimaurer zu werfen. Robert Langdon setzte sich in eine der hinteren Reihen, von einer Säule etwas verdeckt, so dass er zwar Blick auf das Rednerpult hatte, sich selbst aber jederzeit den Blicken anderer entziehen konnte. Als jahrelange Hauptfigur in Verschwörungsthrillern verfügte er inzwischen über eine ebenso ausgeprägte wie liebgewonnene Paranoia, von der er auf keinen Fall lassen wollte.
Und dann brach Robert Langdons Weltbild Stück für Stück zusammen.
Der Referent, ein gewisser Gerd Scherm, stellte sich dem Publikum mit den Worten vor, dass er „Ein Robert Langdon in echt sei“, nämlich Kultursoziologe, Kunsthistoriker, Symbolforscher und mehr. Roberts papierenes Ego erblasste. Mühsam unterdrückte er das Bedürfnis, aufzuspringen und zu rufen „Ich bin doch der Echte! Seht her! Ich bin es wirklich — Robert Langdon! Hier stehe ich, wie Dan Brown mich schuf und nach Ingolstadt schrieb.“
Doch je länger er über die Sache nachdachte, desto deprimierter wurde er. Alles was er angeblich war, stand nur in den Büchern von Dan Brown. Robert konnte sich keine einzige Vorlesung ins Gedächtnis rufen, die er gehört oder selbst gehalten hatte. Ja nicht einmal an ein einziges von ihm gelesenes Buch konnte er sich erinnern. Und er erkannte, dass all die Symbole, die angeblich der Harvard-Professor Robert Langdon als einziger auf der ganzen Welt zu entziffern vermochte, an Banalität und Offenkundigkeit nicht zu übertreffen waren. Dass all seine ach so gescheiten Interpretationen oberflächliche Basisinformationen waren, die jedes Schulkind mit zwei Klicks im Internet abrufen konnte. Robert wurde schlecht und leise verließ er den Ort seiner vernichtenden Niederlage. Gnädig umfing ihn die Ingolstädter Nacht und der Nieselregen kaschierte seine Tränen. Die Illuminaten hatten ihn in ihrer uralten Heimatstadt besiegt.
Dritter Tag, Donnerstag, 14. Mai 2009
Die Männer des Technischen Hilfswerks zogen eine männliche Leiche aus der Donau.
„Echt oder Fernsehen?“, fragte der Kommissar.
„Weder noch“, antwortete sein Assistent. „Eine Romanfigur. Ziemlich prominent, aber Literatur würde ich das nicht gerade nennen. Es ist der Robert Langdon von Da Vinci Code und Illuminati.“
„Hab’ mir nach dem gestrigen Abend schon gedacht, dass der bei uns auftaucht. Pack ihn zu den anderen ins Archiv.“
Kopfschüttelnd sah der Kommissar in das Gesicht der Romanfigur. Irgendwie wirkte es, als würde sie lächeln. „Immer der Ärger mit den Illuminaten. Und ich hab’ die ganze Schreiberei am Hals.

Dieser Beitrag stammt aus dem Heft 5-2020 der HUMANITÄT, dem deutschen Freimaurer-Magazin. Das Heft kann bei der Kanzlei abonniert werden.