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Die Sprache der Symbole

Die Sprache der Symbole

Von Oliver Wießmann

Beschäftigt man sich als Freimaurer allgemein mit Symbolik, findet man heute ein breites Spektrum: Von Science-Fiction bis zum nüchternen Zeichensatz. Die Unterhaltungsindustrie wie auch die Wissenschaft haben Symbole gleichermaßen für sich entdeckt. Die Forschung erklärt das Wirken von „Symbolen“ umfänglich und systematisiert die Zeichen allgemeingültig, doch nicht die Rolle von Symbolen in alten Traditionsbünden. Warum?

Bekannt ist der Ausspruch „Wo der Mensch ist, dort finden sich Symbole“. Das trifft im Besonderen auf Mysterienfeste zu, in deren Nachfolge auch die Freimaurerei zu sehen ist. Auf dem ersten Blick lassen ihre Rituale Wortbilder erkennen, die rational analysiert eine zusätzliche Kraft offenbaren (Wörter machen »Götter«). Der zweite Blick gilt daher ihrem symbolischen Charakter und der emotionalen Tiefe: Das Geheime (Heim) und inwendig Verborgene. Doch erst die Zusammenführung von rationaler und emotionaler Erkenntnis bringt – im Betrachter selbst – die wahre Entfaltung. Dies geschieht nonverbal im Reich der Weisheit – nur hier wird der Mensch zum „Menschen“. Dies zu lehren ist seit jeher der Kern der Mysterienschulung durch Symbole. Hermann Hesse schrieb in Siddharta: „Wissen ist vermittelbar, Weisheit jedoch nicht.“ Weisheit muss zwischen den Zeilen eines Textes herausgelesen werden – Symbole weisen auf diesen „Zwischenraum“ hin. Provokativ könnte es daher auch heißen, Wissen ist durch das Wort vermittelbar, Weisheit jedoch durch Symbole. Der bedeutende Linguist Noam Chomsky bestätigt, dass Sprache lückenhaft sei und und begrenzt. Was das Wort nicht leistet, vermag im Speziellen vielleicht das Symbol? Konfuzius soll gesagt haben, dass Zeichen und Symbole die Welt beherrschen, nicht Worte, noch Gesetze. Deshalb bilden Symbole noch heute als „heilige“ (von „ganz“) Zeichen den Mittelpunkt der Freimaurerei und sind von unschätzbarem Wert. Ihre Botschaft lautet: Symbole machen Menschen!

Noch im Mittelalter war eine alte „Sprache der Symbole“ bekannt, sichtbar noch heute im gotischen Kathedralbau. Während meiner Beschäftigung mit dem „Grünen Strahl“ auf der Münsterkanzel in Straßburg, ein Uhrwerk der Symbolik, habe ich auch die „Grüne Sprache“ entdeckt. Das Wissen um diese „Symbolsprache“ und deren Sinntiefe hielt sich noch einige Zeit unter „Alchemisten“, „verlor“ sich aber dann mit ihnen. Nicht aber die Faszination für Symbole im Allgemeinen.
Seit Dan Brown für „The Da Vinci Code“ (Sakrileg) den Professor für „Symbologie“ Robert Langdon erfand, weiß man, dass es keinen Lehrstuhl für Symbologie an einer Universität gibt. Langdon, der Browns Alter Ego ist, lehrt im Roman an der Harvard University religiöse Ikonologie und historische Symbolforschung. Dieses Spezialgebiet ist fiktiv und wurde eigens für die Unterhaltungsindustrie „erfunden“ – und erfolgreich verfilmt.

Der Bestsellerautor Brown nahm für seinen Helden reale Symbolforscher zum Vorbild. Im Namen des Protagonisten wurde der Professor für Typografie und Corporate Identity John Langdon verewigt. Der Grafikdesigner lehrte an der Drexel University in Philadelphia und machte sich in den 70er Jahren als Spezialist für Schriftkunst (Ambigramme) einen Namen. Dan Brown machte aus seinem Symbolforscher Langdon einen erfolgreichen Gelehrten und adaptierte die Züge des bedeutenden amerikanischen Literaturprofessors Joseph J. Campbell. Bis heute übt Campbell einen großen Einfluss auf die Populärkultur und das Verständnis von Wissenschaft aus. Mit seinem Hauptwerk „Der Heros in tausend Gestalten“ (1949) schuf er nahezu eine Typologie des Schöpferischen. Mittels Mythologie und vergleichender Religionswissenschaft legte er einen Grundstein für jeden, der sich heute ernsthaft mit Symbolik beschäftigt.

Wenn es auch den universitären Fachbereich eines fiktiven Robert Langdon so nicht gibt, findet sich dennoch eine besondere Wissenschaft an der Universität, die sich mit „Zeichen“ beschäftigt: Die Semiotik. Sie gilt als Hilfswissenschaft und stellt für alle Wissenschaften, seien es Natur- oder Geisteswissenschaften oder auch Technik oder Kunst eine methodische Disziplin dar. Semiotik behandelt Prozesse in Kultur und Natur, in denen Zeichen zur Anwendung kommen. Da sich alle Forschung für ihre theoretische Grundlage der Zeichen bedient (Symbole, Texte, Diagramme, Graphe, Statistiken etc.), mag man sich leicht das große Feld dieser Zeichenwissenschaft vorstellen.
Den gesellschaftlichen Umgang mit Zeichen erklärt die Semiotik in Theorien und veranschaulicht komplexe Kommunikationsprozesse. Doch was bedeutet das für eine Gemeinschaft, in deren Tradition Symbole den Mittelpunkt bilden? Anscheinend kann auch eine noch so verbreitete und moderne Disziplin wie die Semiotik die Faszination freimaurerischer Zeichen kaum entzaubern. Vielleicht weil diesen Symbolen ein persönliches, individuelles und initiatorisches Moment einer alten Kultur in die Wiege gelegt wurde und sie nur auf den Einzelnen zielen? Die Wissenschaft hingegen ist auf die Gesellschaft ausgerichtet und empirisch. Das Verhältnis von Freimaurerei und Symbolen ist auf keinen Fall „empirisch“. Jeder Maurer wirft mit eigenen Augen einen Blick auf „seine“ Symbole – das „Licht“ dazu wurde ihm gegeben! Waren es vor seiner Aufnahme in den Freimaurerbund noch „Zeichen“, werden sie nach der Initiation zu „Symbolen“. Sie beziehen sich nur auf den Betrachter und wirken reflexiv. Die Aufnahme in einen Freimaurerbund ist daher oft auch der Beginn einer Symbolforschung. Durch die Pflege der Tradition werden die alten Symbole immer wieder aufgeladen und gehaltvoll. Das Verhältnis eines Freimaurers zu seinen Symbolen würde ich daher gerne als „intellektuelle Intimität“ beschreiben.

Es lässt sich durchaus ableiten, dass die Sprache der Freimaurerei eine Symbolsprache ist – eine Sprache, die ohne das Wort auskommt und auf höhere Erkenntnisbereiche abzielt. Begibt sich ein Maurer auf seine Suche nach dem „verlorenen Wort“, dann wird er fündig im Symbol. Denn im Anfang war … das „Symbol“?

In der experimentellen Forschung mit archetypischen Symbolen spricht die sogenannte „Neue Homöopathie“ von einer „Ur-Sprache der Natur“. Etwas früher kam bereits eine andere Wissenschaft zu grundsätzlichen Erkenntnissen: Die „Seelenkunde“. Spätestens durch C.G. Jung kam der Symbolforschung in der Psychologie (Psychoanalyse) eine Schlüsselrolle zu. Doch waren diese Erkenntnisse wirklich „neu“?

Kern der modernen Freimaurerei bildet die Symbolik der „Alten Maurerei“, deren originale Zeugnisse noch immer zu studieren sind und zu einem fundierten Symbolverständnis beitragen: Das „Große Werk“ mittelalterlicher Bauhütten. Betrachtet man die Architektur, die fulminant wohl um 1140 in der Île-de-France (Paris und Umgebung) ihren Anfang nahm, im Hinblick auf den alten „Symbolismus“, entdeckt man eine wahre Schatzkammer. Der Anspruch einer Vermittlung von Wissen macht eine Kathedrale (lat. (Lehr-)Stuhl) zu einem monumentalen Wissensschrein. Dieser steht für die „Gotik“. Dass die Herleitung dieser Bezeichnung für die Kunstgeschichte nicht abschließend geklärt ist, scheint symptomatisch für die Epoche. Deren beeindruckende Formensprache ist heute noch kraftvoll und überzeugend. Dank bautechnischer Innovationen entstand ein spezieller Erlebnisraum, der eine Welt der Symbole inszeniert. Dies kennen wir bis dahin nur von Tempelanlagen und Begräbnisstätten der Antike. In der Gotik folgte nicht etwa die Form ihrer Funktion (form follows function), sondern die Form muss auf gleicher Ebene mit ihrem Inhalt betrachtet werden. Kunsthistorisch konnten nachfolgende Stilepochen die Ausgewogenheit dieser Symbiose aus technischem Wissen und „Spiritualität“ (lat. Geist) nicht mehr vereinen – vereinfacht gesagt überwog entweder die Kunstfertigkeit (L’art pour l’art) oder das Intellektuelle (Abstraktion und Reduzierung). Die Kategorie architektonisch erfahrbarer Symbole kann als Indikator für Hochkulturen angesehen werden.

Die Befruchtung des Okzidents durch den Orient manifestierte sich in besonderer Weise im Kathedralbau und schuf die Synthese aus Philosophie (weltlich) und „Religion“ (spirituell) im Symbolischen. Was bis dahin nur mündlich durch überlieferte Sprachbilder (Metaphern, Allegorien etc.) vermittelt wurde, fand plötzlich Ausdruck im szenischen Raumerleben. Biblisches wurde in den Kirchenschiffen bildhaft und plastisch (be)greifbar. Die Gotik entfaltet ein tiefes und weit über die Philosophie hinausreichendes Verständnis vom Menschsein in Bezug zum Kosmos.

Betrachtet man beispielsweise die Wirkung von Farbe im Mittelalter, so kannte man sie in der Natur zunächst nur aus den blühenden Jahreszeiten. Farbe galt als das Privileg der Mächtigen. Daher muss das Betreten einer Kathedrale einen sinnlichen Reiz besonders für das damalige Auge dargestellt haben. Prachtvolle Bildstöcke mit bunten Figuren vor einer lichtdurchfluteten Kulisse himmelwärts strebender Säulen verliehen dem Augenblick eine überirdische Aura. Die ansonsten unbelebte Materie Stein verwandelte sich an diesem Ort durch die florale Gestaltung zu vitalem Geäst und erwachte – so in Form gebracht – scheinbar zu neuem Leben. Diese „Wandlung“ – von totem Stein zu belebtem Holz – ist bereits ein tiefgreifender symbolischer Akt (Alchemie). Dem Freimaurer heute, der sich selbst als rauer Stein (reflexiv) begreift, bleibt die philosophische Tiefe dieser bildhaft-symbolischen Transformation nicht verborgen. Diese (alchemistische) Philosophie bildet konzeptionell das Fundament, auf dem die gesamte Gotik zu gründen scheint. Die heute noch monumental weithin sichtbaren Silhouetten der stolzen Türme stehen für die Transformation von toter Materie zu bewusstem Leben: Das Motiv des Paradiesgartens als Schöpfungswerk. Die Kathedralen waren für das Mittelalter ein gigantisches Symbol, das reflexiv betrachtet dem Menschen helfen sollte, sich selbst zu erkennen. Dies war ein ernstes Anliegen der damaligen Zeit – vor allem für die Bauhütten. Nur so ist zu erklären, weshalb Bauleute ihr gesamtes Leben in den Dienst eines solchen Bauwerks stellten, im vollen Bewusstsein, dass sie dessen Fertigstellung wahrscheinlich selbst nie erleben würden. (Heute undenkbar – sieht man vom Flughafen BER einmal ab.)

Ob eine damalige römische Kirche auch diesen Maßstab für sich anlegte? Sie gab sich jedenfalls an dem wirtschaftlichen Aspekt einer Kathedrale (Reliquienhandel, Pilgertum etc.) nicht uninteressiert und war bemüht, sich auch politisch zu etablieren. Heute sind wir es gewohnt, dass die Amtskirche beispielsweise Öffnungszeiten vorgibt. Damals stand das Kirchenschiff einer gotischen Kathedrale dem weltlichen Treiben offen und beherbergte allerlei Freud und Leid.

Bauern trieben sogar ihre Schweine durch die heiligen Hallen (z. B. in Straßburg). Volk und weltlicher Adel nutzten »ihr« Bauwerk gleichermaßen.
Was war geschehen, dass das Verständnis für die Symbolkraft der Gotik verschwunden ist? Und das scheinbar plötzlich mit dem Abschluss der Bautätigkeiten an den gotischen Kolossen? Mancherorts verwaisten halbfertige Steingerippe, wie in Bacharach am Rhein oder auch in Köln. Den nachfolgenden Generationen blieb nur noch das Staunen über die Eigenartigkeit der Ruinenstätten, auf denen der Zauber eines alten Symbolismus ruhte (vgl. Goethe, „Von deutscher Baukunst“, 1772). Was einst im Wissen um die Symbolkraft lag, wurde schließlich mit religiösem Eifer begründet, denn anders konnte die Allgemeinheit sich diese Bauwut nicht erklären. Der allgemeine Wissensschwund war die Folge des Rückgangs des Kathedralenbaus. Die Bauhütten (Kathedralenerbauer) wurden nicht mehr vor Ort benötigt. Sie wurden kleiner und verschwanden schließlich. Mit ihnen ging offensichtlich auch das Wissen um den alten Symbolismus dahin. Später findet er sich u.a. teilweise in der spekulativen (modernen) Freimaurerei wieder.

Jedenfalls machte mir die Beschäftigung mit dem „Grünen Strahl“ als Lichtsymbol deutlich, dass die Sprache der Symbolik und ihr Verständnis demnach keineswegs eine Entdeckung unserer Zeit sein mag. Vielmehr wird diese Sprache stets von einem feinen Schleier überdeckt, der von jeder Generation aufs Neue gelüftet werden möchte. Alte Folianten der Alchemie sind deshalb oftmals schwer verständlich, weil ihnen dieser Schleier aufliegt. Viele dieser Schriften beschreiben vordergründig keine Rezepturen zum Nachkochen für Chemielaboranten – wie oft fälschlich angenommen wird –, sondern tiefsinnige symbolische Handlungsanweisungen, die vom Adepten angewendet werden. Die geheime Symbolsprache, die im Inneren eines Verständigen Widerhall findet, bezeichneten Alchemisten als ihre „Grüne Sprache“.

Im Verborgenen trafen sich Alchemisten einst in Paris in der Notre Dame; sie studierten dort die alten Symbole. Das für die Alchemie wichtigste Buch war dabei die Bibel, weil das „Buch der Bücher“ in der Sprache der Symbole geschrieben ist. Daher plädierten noch die ersten Kirchenväter auf eine Auslegung der christlichen Bibel nach der Lehre des mehrfachen Schriftsinns (später lat. quatuor sensus scripturae). Die sogenannte „allegorische Lesart“ ist der eigentliche Zugang zum Verständnis des Symbolischen. Die Bezeichnung „Grüne Sprache“ deutet durch die Farbcodierung auf etwas, das dahinter liegt – etwas, das (noch) werden möchte. Der vom Menschen erfassbare Spektralbereich des Lichts erscheint in der Natur als Regenbogen und macht dort sichtbar, dass Grün als Farbe in der „Mitte“ liegt. Sie gilt symbolisch als „feinstoffliche“ Trennlinie zwischen oben (Rot) und unten (Blau/Violett), zwischen Himmel und Erde. Maria, die Königin der Engel, wurde zwar ab dem Spätmittelalter mit Blau assoziiert, ihr mystischer Aspekt hingegen mit der Farbe Grün – als „Mittlerin“. Es ist auch kein Zufall, dass die bekannte „Tabula Smaragdina“, die in alchimistischer Tradition dem Hermes Trismegistos zugesprochen wird, von grüner Farbe ist. Wen würde es da noch verwundern, wäre der „Stein der Weisen“ ebenfalls grün? Grün ist der Hinweis auf eine Einweihung, deren Weg in Bereiche des Nicht-mehr-Mitteilbaren führt – die Markierung des Wegs geschieht kraft des Symbols. Grün steht für das Verborgene, das sich (im „Werden“/Entwicklung) enthüllen wird. Viel gibt es zum Grün zu sagen, doch soll hier ein Verweis auf Goethes symbolisches „Märchen von der grünen Schlange und der schönen Lilie“ (1795) genügen.

In der Gotik war das Wissen um die Symbolsprache sehr lebendig. Im Alten Testament wird auf diese Sprache hingewiesen, beispielsweise im „Turmbau zu Babylon“ (Gen. 11, 1–9). Das Fortschreiten der erfolgreichen Bauarbeiten wurde vereitelt, als der Mensch überheblich wurde. Plötzlich konnte man sich untereinander nicht mehr verständigen, weil jeder eine andere Sprache sprach. Die sogenannte „babylonische Sprachverwirrung“ machte die Weiterführung des Bauwerks unmöglich. Richtet man jedoch den Blick auf den Beginn dieser Unternehmung, dann müsste man eine einheitliche Sprache voraussetzen. Offensichtlich waren die Bauleute vormals vereint in ein und derselben Sprache, die es ihnen ermöglichte, gemeinsam den Turm in die Höhe wachsen zu lassen. Diese Sprache war demnach die „Mutter aller Sprachen“. Für die Bauleute der Gotik lag sie sprichwörtlich auf der Hand (Handwerk): Es war die Sprache der Symbole, die „Grüne Sprache“ – keine Sprache zum „Palavern“, sondern zum inwendigen Evozieren. Nach Noam Chomsky bestünde die Funktion der Sprache ohnehin nicht darin zu „kommunizieren“, sondern eigene Gedanken auszudrücken – sie sei daher eine universelle, durch die Natur des Menschen gegebene Struktur. Spirituelle Menschen sprechen davon, dass Sprache dem Menschen zur „Verwirrung“ gegeben worden sei – die eigentliche Sprache der „Schöpfergötter“ seien die Emotionen. Diese Aussagen würden sich durch eine Art Symbolsprache vermitteln lassen – die Wahrheit liegt ohnehin immer in der Mitte (und die ist wie eben gesehen „grün“).

Die Symbolsprache hat mehrere Bezeichnungen in unterschiedlichen Kulturen erfahren. In der hermetischen Philosophie wird sie auch die „Sprache der Vögel“ genannt. Nach alter Überlieferung soll der legendäre König Salomo so weise gewesen sein, dass er auch mit Tieren sprechen konnte. Salomo erlernte diese Sprache einst vom Vater der legendären schwarzen Königin von Saba. Friedrich Rückert (1788 – 1866, Freimaurer) dichtete: „O du Kindermund, o du Kindermund, / Unbewußter Weisheit froh, / Vogelsprachekund, vogelsprachekund / Wie Salomo!“.

Franz von Assisi soll ebenfalls der „Sprache der Vögel“ mächtig gewesen sein, die ihm tieferen Zugang zur heiligen Schrift ermöglichte. Seine ihm nachfolgenden und durch ihn gelehrten Glaubensbrüder wiesen in der Legende von der „Vogelpredigt“ mit Nachdruck auf diese Fähigkeit ihres Ordenspatrons hin. Der heilige Franziskus wurde durch die „Vogelpredigt“ als ein Kundiger der „Sprache der Vögel“ ausgewiesen. Gezielt ließ man die Legende mit der verdeckten Botschaft coram publico den Schriftgelehrten christlicher Klöster zutragen. Dadurch sollte die Selbstständigkeit in der Schriftauslegung betont werden mit dem Ziel, den eigenen Orden (Franziskaner) zu gründen. Die Legende von der „Vogelpredigt“ lässt sich demnach nicht buchstäblich als konkrete historische Aussage verstehen, sondern darf zunächst als Hinweis auf die geheime Symbolsprache verstanden werden.

Neben der Vermittelbarkeit von Weisheit war auch die Merkfähigkeit durch das „Symbolhafte“ bedeutend. Die Schriftkunde war nur wenigen vorbehalten und entfaltete kaum eine mediale „Massentauglichkeit“, wie wir sie heute kennen. Üblich war vielmehr die mündliche Weitergabe. Man griff also auf Lehrgedichte zurück, die durch gezielte Schlüsselbilder gut merkfähig waren. Eine Technik, wie sie beispielsweise Rhetoriker der Antike kannten. Lange Reden stellten sie sich „räumlich“ vor, die dadurch gut erinnert werden konnten. Die Menschheit überlieferte sich in den Jahrtausenden mythisches Wissen durch Erzählen von Märchen, in denen sie didaktisch Symbole verankerte. Die funktionale Verwendung von Bildhaftem ist eng mit unserem Denken verknüpft. Unser Gehirn scheint in erster Linie bildhaft und räumlich seine Umwelt zu begreifen. Deshalb kann die „Symbolsprache“ als „Mutter der Sprachen“ angesehen werden. Deutlich wird das beim Träumen. Erlebtes verarbeitet das Gehirn im Schlaf (un-)bewusst. Das Symbolhafte ist als Bildsprache im Menschen tief verwurzelt. Das Symbolische kann als ursprünglichste Kommunikation im Menschen angesehen werden. Seit jeher drücken die Weisen und Erleuchteten in sämtlichen Kulturen ihre eigentümlichen Offenbarungen in Symbolik aus. Nur auf diese Weise tragen sie Kunde vom Transzendenten im Nonverbalen.
Salopp gesagt, waren Sigmund Freud und C. G. Jung demnach keineswegs die Ersten, die die geheime Symbolsprache des Menschen entdeckten. Wenn auch das „Symbol“ zum empirischen Gegenstand einer semiotischen Forschung gehört, so führt doch das Symbol des Freimaurers ein Eigenleben. Das Verborgene, auf das die Symbole zielen (Erkenntnis des Höheren), kann in diesem Sinne naturgemäß nicht empirisch oder allgemeingültig ans Licht gebracht werden. Dies kann nur in dialektischer Weise (Ratio + Emotio = Weisheit) durch den Einzelnen in ihm selbst widerhallen.

Auch wenn heute eine akademische Betrachtungsweise zur notwendigen Objektivität und zum Verständnis unserer Welt beiträgt, befähigt sie allein kaum, dem Aufruf des „Erkenne Dich selbst“ gerecht zu werden. Hierzu bedarf es der Subjektivität und der Toleranz. Der Versuch, die freimaurerische Symbolsprache zum empirischen Gegenstand zu erheben, dürfte leider nicht zu „kollektiver Weisheit“ führen, außerdem wäre ein „kleinster gemeinsamer Nenner“ schwer zu bestimmen. Ob ein Freimaurer allerdings zum „kleinsten gemeinsamen Nenner“ der Gesellschaft gemacht werden kann, darf gerne bezweifelt werden.

Das symbolische Licht, das ihm bei der Aufnahme erteilt wird, dient dem Erkennen der alten Symbolsprache (die „Grüne Sprache“) und macht den Initianten zum Symbolforscher. Ist er dabei »erfolgreich«, beschreitet er einen (möglichen) Weg geistiger Entwicklung. Immer das Leitmotiv »Erkenne Dich selbst« vor Augen, wird er sich dem eigentlichen Ziel bald nähern: »Mensch« zu werden. Daher heißt es in Mozarts „Zauberflöte“ auf die Feststellung, dass es sich um einen Prinzen handelt: „Mehr noch – Er ist ein Mensch!“ Zu Recht! Denn der Sinn freimaurerischer Symbolarbeit zielt einzig auf diese Menschwerdung. So darf auch der antike Dichter Pindar verstanden werden, auf den sich schon Friedrich Nietzsche mit »Ecce homo« (Wie man wird, was man ist) bezogen hat: „Werde der, der Du bist … Werde Mensch!“

Symbole machen Menschen!

Der Beitrag entstammt der Zeitschrift „HUMANITÄT — Das Deutsche Freimaurermagazin“, Ausgabe 1-2019.