Großloge der Alten Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland (AFuAMvD)

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Ein Denkmal wird zerstört

Eigentlich ist der „Juneteenth“, der 19. Juni, ein offizieller Feiertag in den meisten US-Bundesstaaten, so auch im Regierungsbezirk Washington D.C. Normalerweise wird dieser Tag mit fröhlicher Musik begangen. Am 19. Juni 1865 hatte ein General der Unionsarmee die Abschaffung der Sklaverei in Texas, dem letzten der besiegten Südstaaten, offiziell verkündet.

Gelesen von Hasso Henke

Foto: © spaxlax / Adobe Stock

Im Jahr 2020 war die Stimmung am Gedenktag zum Ende der Sklaverei in den Vereinigten Staaten durchaus politischer als sonst und von massiven Demonstrationen begleitet. In New York und San Francisco und vielen anderen Städten versammelten sich Zehntausende, um gegen Rassismus, Diskriminierung und Polizeigewalt zu demonstrieren. Der „Juneteenth“, ein Tag der Befreiung, fiel in diesem Jahr mitten in die „Black Lives Matter“-Proteste gegen die Art von Polizeigewalt, die zum Tod des Schwarzen George Floyd in Minneapolis führte. Und diese Proteste richteten sich auch gegen tatsächliche oder vermeintliche steinerne Zeugnisse aus der Zeit der Sklaverei. Denkmäler von Konföderierten-Generälen, die es in den USA in großer Zahl gibt, wurden besprüht und zerstört, teilweise werden sie inzwischen sogar offiziell durch die Kommunen abgebaut. In Washington stürzten Demonstranten am „Juneteenth“ auch das dreieinhalb Meter hohe Standbild von Albert Pike. Zunächst war es beschmiert worden, schließlich legte man dem steinernen Bruder einen Strick um den Hals und zog ihn von seinem Sockel, anschließend wurde ein Feuer angezündet. Die Polizei griff nicht ein, die meisten Demonstranten, heißt es im Polizeibericht, gingen anschließend zurück zu einer Kundgebung vor dem Weißen Haus. US-Präsident Trump verurteilte das Geschehen, forderte harte Strafen für die Täter und kritisierte die schwarze Bürgermeisterin Muriel Bowser für die Untätigkeit in der ihr unterstellten Polizei.

Wer war Albert Pike?

Albert Pike wurde am 29. Dezember 1809 in Boston/Mass. geboren, bestand den Aufnahmetest für die – auch damals höchst renommierte – älteste amerikanische Universität in Harvard. Den Unterricht konnte er sich aus finanziellen Gründen jedoch nicht leisten. Bei einer abenteuerlichen Expedition Richtung Westen, nach New Mexiko, ließ er sich in Arkansas nieder und begann dort als Publizist einer juristischen Zeitung zu arbeiten. Nach dem Jura-Studium wurde er als Rechtsanwalt zugelassen. Sein erstes Eingreifen in militärische Auseinandersetzungen erfolgte zu Beginn des Mexikanisch-Amerikanischen Krieges, wo er als Truppen-Kommandant bei der Kavallerie diente. Anschließend betätigte er sich erneut juristisch, schrieb Fachbücher für Anwälte, gab Zeitschriften heraus. In einigen Schriften verteidigte Pike die Sklaverei. Er wurde Mitglied der Know-Nothing-Party, die sich gegen weitere Zuwanderung aus dem katholischen Europa wandte. Im Amerikanischen Bürgerkrieg setzte man Pike als Abgesandten der Konföderierten für die amerikanischen Ureinwohner ein. In dieser Funktion handelte er Verträge mit den Ureinwohnern aus und bekam schließlich als Brigadegeneral das Kommando auf indianischem Gebiet. Wegen verschiedener Vorwürfe gegen ihn, die sich später zum größten Teil als haltlos erwiesen, trat er nach kurzer Zeit aus der Armee der Konföderierten aus, um nach dem Krieg wiederum vor allem als Jurist, Schriftsteller und Publizist zu arbeiten. Er wurde u.a. Richter am Obersten Gerichtshof in Arkansas, verlegte 1870 schließlich sein Anwaltsbüro nach Washington D.C. und gab die Zeitschrift „Patriot“ heraus. 1891 starb Albert Pike in Washington. Sein für die damalige Zeit langes Leben, seine komplizierte Biografie mit seinen unterschiedlichen Karrieren ist sehr gut dokumentiert. Schon deshalb, weil Pike selbst so ziemlich jede Idee, die in ihm aufkeimte, zu Papier brachte, wie der freimaurerische Autor und Blogger Christopher Hodapp bemerkt.

Pikes Bedeutung für die Freimaurerei

Albert Pike ist für viele amerikanische Freimaurer eine überaus wichtige Figur, während man seinen Namen in anderen Teilen der freimaurerischen Welt nur vom Hörensagen kennt. 1859 wurde er Großkommandeur des Obersten Rates der Südlichen Jurisdiktion des Alten und Angenommenen Schottischen Ritus von Nordamerika mit Sitz in Washington D.C. Er überarbeitete das System des Ritus und dessen Rituale, schrieb zahlreiche Bücher und Gedichte über die Freimaurerei. Sein Hauptwerk trägt den Titel „Morals and Dogma“, das es überhaupt erst seit kurzem in einer deutschen Übersetzung gibt. Das äußerst umfangreiche und selbst für „Eingeweihte“ überaus schwer verständliche Werk gibt die Ethik und Philosophie der einzelnen Grade des Schottischen Ritus wieder. Als „Pike System“ wird seine Gradlehre auch bezeichnet, die jedoch schon im Schottischen Ritus der Nördlichen Jurisdiktion kaum mehr eine Rolle spielt. Man muss auch als Freimaurer die Schriften von Albert Pike nicht unbedingt gelesen haben und man muss sie schon gar nicht mögen. Man kann und sollte sie sogar sehr kritisch bewerten: Viele seiner weitgehend ungeordneten Gedanken stammen aus anderen Quellen, etwa von Éliphas Lévi, dem Wegbereiter des westlichen Okkultismus. Der mythologische und mystische Hintergrund von Pikes Schrift bietet eine erhebliche Projektionsfläche für Verschwörungstheoretiker. Gibt man „Albert Pike Freimaurer“ als Suchbegriffe bei Google ein, tauchen neben den obligatorischen Wikipedia- und Freimaurer-Wiki-Einträgen sofort zwielichtige Seiten auf, wie etwa „Kathpedia“ oder „gloria.tv“, worin dem „Hochgrad-Freimaurer Albert Pike“ unterstellt wird, den „Masterplan zum 3. Weltkrieg“ entwickelt zu haben, schließlich habe er ja den 33. Grad erfunden. Zudem habe er den Teufel angebetet und leistete dem Atheismus Vorschub. Das ist selbstverständlich sehr grob zusammengefasst und lässt sich möglicherweise tatsächlich aus einer Reihe von zusammenhanglosen Zitaten ableiten, aber es zeigt vor allem die ordinäre Widersprüchlichkeit dieser Vorwürfe und die geistige Trägheit ihrer Adepten.

„Eine rein freimaurerische Statue“

Jedenfalls ist Albert Pikes Wirken für die Freimaurerei auch der Grund, warum in Washington, in der Nähe des Capitols, bis zum 19. Juni 2020 eine überlebensgroße Statue von ihm zu besichtigen war. Denn es ist keineswegs so, dass ihm das Bronzedenkmal aufgrund seiner „Verdienste“ – oder wie man es auch bezeichnen möge – als Konföderierten-General errichtet wurde. Sie wurde auch nicht von Mitgliedern des Ku Klux Klan gestiftet, wie gelegentlich behauptet wird, denn Albert Pike wird – ohne jeden Beleg – als einer der Mitbegründer jener rassistischen Vereinigung gebrandmarkt. Richtig ist – und in den Medien-Berichten über die Zerstörung der Statue kommen diese Fakten überhaupt nicht vor, weder in den USA noch hierzulande: Die Bronzeskulptur wurde von dem italienischen Künstler Gaetano Trentanove im Jahre 1901 geschaffen. Auftraggeber war die Südliche Jurisdiktion des Schottischen Ritus, die aus Anlass ihres 100-jährigen Bestehens die Statue der Stadt Washington übereignete. Zunächst stand sie mehr als 90 Jahre lang am Logenhaus des AASR. Insgesamt fanden sich an den Ecken des Granit-Sockels acht Inschriften, die das vielfältige Schaffen Albert Pikes würdigten: Autor, Dichter, Gelehrter, Soldat, Philanthrop, Philosoph, Jurist und Redner. Auf der Vorderseite war die lateinische Inschrift zu lesen: „Vixit Laborum Ejus Super Stites Sunt Fructus.“ („Er hat gelebt. Die Früchte seiner Arbeit leben nach ihm.“)

„Es gab am Denkmal keine Hinweise auf die Konföderation“, stellt Christopher Hodapp in einem Beitrag auf seinem bekannten Internet-Blog „Freemasons for Dummies“ fest. „Das Banner in der Hand der Figur, die vor dem Denkmal auf dem Sockel sitzt, ist keine Flagge und kein Symbol der Konföderierten, sondern das Siegel des Schottischen Ritus mit dem Doppeladler. Es war eine rein freimaurerische Statue.“

Vandalismus oder politischer Bildersturm?

Fehlende Bildung, gepaart mit roher Gewalt: Ein aufgeheizter Mob übte am Gedenktag für das Ende der Sklaverei, am Rande einer friedlichen Demonstration, die sich gegen Rassismus und für die Rechte der schwarzen Bevölkerung einsetzte, Lynchjustiz gegen eine Statue. Es ist nicht der einzige Fall von Vandalismus dieser Art. In Boston wurde die Statue des Seefahrers Christoph Kolumbus enthauptet, der als „Entdecker“ des amerikanischen Kontinents gilt, aber eben auch für den Beginn der Kolonialisierung der „Neuen Welt“ und die massenhafte Tötung der Ureinwohner Amerikas steht. Dass manche Kommunen jetzt vorauseilend Denkmäler abreißen und der Bundessstaat North Carolina sogar ein Anti-Denkmals-Gesetz erlassen will, macht aus diesen willkürlichen vandalistischen Akten einen politischen Ikonoklasmus.

Natürlich sind Denkmäler zumeist ein Mittel der Sieger der Geschichte, sich ins rechte Licht zu rücken. Wer Denkmäler errichtet, hat die Deutungshoheit. Das ist aber zumeist auch schon alles, was man einem Denkmal vorwerfen kann. Im Osten Deutschlands wurden während der Zeit der Friedlichen Revolution und danach allerorten Marx- und Lenindenkmäler geschleift. Ich erinnere mich daran, als Jugendlicher in meiner damaligen Schule selbst mit dafür gesorgt zu haben, das Traditionskabinett mit der unvermeidlichen Ernst-Thälmann-Büste zu entsorgen. Der Machtverlust des alten Regimes sollte sichtbar werden, das waren wir uns schuldig. Allerdings: Das opulente Karl-Marx-Monument in Chemnitz – „Nischl“ genannt – steht immer noch. Was spricht dagegen, was spricht dafür? Sind wir in der freiheitlichen Demokratie denn nicht in der Lage, die steinernen Zeugnisse längst vergangener Zeiten in ihrem Kontext zu begreifen? „Problem-Denkmäler“ – zu denen die Albert-Pike-Statue in Washington nach allem, was wir über sie wissen, sicherlich nicht gehörte – können, vor allem dann, wenn sie aus kunsthistorischer Sicht wertvoll sind, auch in Museen Platz finden, wo sie als Zeitdokumente eine historische Einordnung und Aufarbeitung erfahren.

In Washington D.C. ist dieser zivilisatorische Prozess gescheitert. Die guten Absichten, mit denen sich wohl die meisten Demonstranten am „Juneteenth“ in der amerikanischen Hauptstadt versammelt haben, sind gemeinsam mit Albert Pikes Bronzeabbild vom Sockel gestürzt.

Dieser Beitrag stammt aus dem Heft 5-2020 der HUMANITÄT, dem deutschen Freimaurer-Magazin. Das Heft kann bei der Kanzlei abonniert werden.