Großloge der Alten Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland (AFuAMvD)

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Ein Plädoyer für neue Pflichten

In der Humanität Nr. 2/2020 ist der „Zwischenruf“ von Br. Hans-Hermann Höhmann mit dem Titel „Alte Pflichten — neue Pflichten“ erschienen, der noch ergänzt und präzisiert werden sollte. Die „Alten Pflichten“ enthalten trotz starker historischer Bedingtheit in der Tat zum Teil die wesentlichen, aber heute nicht vollständigen Grundlagen der humanistischen Freimaurerei. Sie stellen ein historisches Dokument dar, das vor dem Hintergrund der englischen Geschichte des 17. und beginnenden 18. Jahrhunderts betrachtet werden muss.

Gelesen von Arne Heger

Foto: © spaxlax / Adobe Stock

Genügen die „Alten Pflichten“ für unsere gegenwärtige und zukünftige Freimaurerei und sind sie heute noch eine wichtige Orientierung? Die Freimaurerei sollte stärker in die heutige Zeit gestellt werden und den aktuellen Wissensstand unserer Gegenwart nutzen. Aus der Freimaurerei sollte wieder eine geistige Bewegung werden, die sie zur Zeit der Aufklärung tatsächlich war, um für die ungewisse Zukunft besser gerüstet zu sein. Heute ist es hoch an der Zeit, aus „Alten Pflichten“ „Neue Pflichten“ zu erarbeiten, da sich unsere Gegenwart wesentlich von der Entstehungszeit der „Alten Pflichten“ unterscheidet. So hat sich in der Bruderkette im letzten Jahrzehnt ein gewisser Reformstau herausgestellt.

Erweiterung des Pflichtenbegriffs

Heute geht es vor allem um eine Erweiterung des Pflichtenbegriffs und um eine zeitgemäße Reformulierung der „Alten Pflichten“. Der Pflichtenbegriff hat sich im Laufe der Jahrhunderte ohnedies stark gewandelt. Ursprünglich war das, was James Anderson 1723 publizierte, schon in den schriftlichen und mündlichen Überlieferungen der alten Maurerei vor 1723 enthalten. Eine zweite Fassung erfolgte schon 1738, die bereits deutliche redaktionelle Veränderungen erkennen lässt. Grundsätzlich sollten bei allen Reformversuchen ältere Traditionen mit Neuem verbunden werden.

Im Rahmen der zunehmenden Bemühungen der Bruderkette, über Gegenwartsprobleme und Zukunftsfragen der Freimaurerei nachzudenken, sind heute neue Ideen entstanden und Vorschläge gemacht worden, aus den „Alten Pflichten“ „Neue Pflichten“ zu erarbeiten. Zuerst hat sich im Freimaurer-Forum der Großloge von Österreich in Wien eine Diskussionsrunde mit der Aufgabe einer Überarbeitung der „Alten Pflichten“ beschäftigt, später dann auch die Freimaurer-Akademie der Großloge von Österreich, die unter der Federführung von Br. Max Lotteraner und des Autors, der deren wissenschaftlicher Leiter war, stand. Beide erwähnten Gremien haben Arbeitsgrundlagen für „Neue Pflichten“ konzipiert.

Die „Allgemeine Erklärung der Menschenpflichten“ und die Idee „Weltethos“

Beeinflusst wurde diese Tätigkeit von der „Allgemeinen Erklärung der Menschenpflichten“, die eng mit der „Erklärung der Menschenrechte“ in Verbindung steht. Die beiden Erklärungen stehen in keinem Konkurrenzverhältnis, sondern verstehen sich als komplementäre Ergänzung. Die Menschenpflichten umfassen auch allgemeine Pflichten gegenüber dem Staat, der Demokratie und der Gesellschaft. Der frühere deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt betonte, dass die Bürger und Bürgerinnen nicht nur Rechte haben, sondern ebenso Pflichten und Verantwortung gegenüber ihren Mitmenschen. Keine Demokratie und keine offene Gesellschaft könne auf Dauer ohne Rechte und Pflichten Bestand haben, sagte er. Auf seine Initiative hin und mit dem Engagement des Tübinger Reformtheologen Hans Küng entstand 1997 die erwähnte „Allgemeine Erklärung der Menschenpflichten“. In ihrer Begründung spielt die „Goldene Regel“ eine ganz wichtige Rolle. Sie zählt zweifelsohne zu den wichtigsten Gemeinsamkeiten im Ethos der Religionen und Kulturen und findet sich in allen Weisheitslehren der Menschheit: „Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem andern zu.“ Sie bildet gleichsam den Kern der Menschenpflichten. Bei der Goldenen Regel handelt es sich um einen wertvollen Kulturtext und eine bedeutende Lebensregel aus den Denkschulen der Menschheit. Dazu kommt noch als Grundlage und wichtige Ergänzung die Idee „Weltethos“, die das Ziel verfolgt, das Trennende und Gemeinsame in den Weltanschauungen und Religionen herauszuarbeiten. Dies kann durch die Förderung des interkulturellen und interreligiösen Dialogs geschehen. Alle Religionen stimmen trotz ihrer Unterschiede in den wichtigsten ethischen Prinzipien weitgehend überein. Bei der Idee „Weltethos“ handelt es sich nicht um Moral und moralisches Verhalten, was die Gegner immer wieder behaupten, sondern um eine besondere Grundeinstellung, um einen „Grundkonsens bestehender und verbindlicher Werte, Maßstäbe und persönlichen Grundhaltungen“, wie Küng hervorhob, und nicht um eine neue „Weltideologie“ oder „Welteinheitsreligion“ – also um eine Idee oder ein Projekt, das auch für die Bruderkette bedenkenswert erscheint und mit den Menschenpflichten in einem engen Zusammenhang steht.

Die Menschenpflichten sind eine ethische Grundorientierung, um eine friedlichere, gerechtere und humanere Welt zu ermöglichen. In der Symbolik der Freimaurer heißt dies, am unvollendeten Tempel der allgemeinen Menschenliebe zu bauen.

Neue Pflichten und ihre Ziele und Aufgaben

„Neue Pflichten“ würden hauptsächlich folgende Bereiche umfassen: die Ehrfurcht vor dem Leben, die Menschenwürde und Menschenrechte, gerechtere und faire Handlungsweisen, Wahrhaftigkeit im Reden und Handeln, die Bekämpfung der Klimakrise, die Sorge um die Umwelt und gegenseitige Achtung und Liebe unter den Menschen. Die „Allgemeine Erklärung der Menschenpflichten“ setzt sich letztlich zum Ziel, „Freiheit und Verantwortung in ein Gleichgewicht zu bringen und ein Umdenken zu bewirken – von der Freiheit und Indifferenz hin zur Freiheit des Engagements“. Dabei geht es aber auch um die Versöhnung von Ideologien, Glaubensüberzeugungen und politischen Standpunkten, was aktive Toleranz erfordert, um Antagonismen, Fundamentalismus und Dogmen zu überwinden. Die Pflichten werden prinzipiell in drei Richtungen eingeteilt: Pflichten gegenüber sich selbst, Pflichten gegenüber dem Mitmenschen und Pflichten gegenüber der Gesellschaft und der Umwelt. Dazu hat das erwähnte Freimaurer-Forum in Wien einen konkreten Katalog der drei Hauptpflichten im Detail ausgearbeitet und der österreichischen Bruderkette zur Diskussion gestellt. Diese Bemühungen sind allerdings in der Zwischenzeit wieder eingeschlafen, die Freimaurer-Akademie der Großloge von Wien hat sie später in ihren Werkstätten wieder aufgenommen.

Heute und in Zukunft geht es in der Freimaurerei vorrangig nicht um historische Nabelschau, sondern um eine kritische und fundierte Auseinandersetzung mit den Zielen und Werten der Bruderkette, wie — um hier nur die wichtigsten zu nennen — Aufklärung und Vernunftdenken, Humanität und Ethik, Toleranz, Gerechtigkeit, Menschenwürde, Menschenrechte und Menschenpflichten sowie Lebenskunst („Gutes Leben“) und Königliche Kunst. Die Bruderkette ist heute aufgerufen, ihren historisch entstandenen Ideengehalt neu zu überdenken, zu prüfen, ihn in die Zeit zu stellen und zeitgemäß zu reformulieren, um von den Brüdern besser und überzeugender verstanden zu werden. Die erwähnten Werte müssen vor allem mit den geistigen Strömungen der Zeit konfrontiert und vertiefend weiterentwickelt werden. Deshalb ist der Verfasser dieses Beitrags fest davon überzeugt, dass aus den „Alten Pflichten“ „Neue Pflichten“ als Zukunftsorientierung erarbeitet werden müssen.

Dieser Beitrag stammt aus dem Heft 4-2020 der HUMANITÄT, dem deutschen Freimaurer-Magazin. Das Heft kann bei der Kanzlei abonniert werden.

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