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Ewiges Werden

Eine Zeichnung von Andreas Jonda

…auch zum Hören als Podcastfolge

Sprecher der Podcastfolge: Bjoern Krass-Koenitz

Der Spruch „Das Leben ist ein ewiges Werden. Sich für geworden halten heißt sich töten“ stammt aus einem Tagebuch des Dichters Friedrich Hebbel. Zur Einordnung möchte ich einige wenige Daten zu diesem etwas vergessenen Dichter vorwegschicken:

Friedrich Hebbel 1813 wurde als Sohn eines Maurers im damals dänischen Dithmarschen geboren. Er konnte aufgrund von Stipendien in Heidelberg studieren und 1842 eine längere Reise nach Paris unternehmen, wo er unter anderem Heinrich Heine kennenlernte, und lebte 1844-1846 in Italien. Ab 1846 lebte er in Wien, wo er auch 1863 starb. Hebbel interessierte sich Zeit seiner Lebens für soziale und politische Themen, so kandidierte er zum Beispiel 1849 erfolglos für die Frankfurter Nationalversammlung. Der Schwerpunkt seiner Lebens war aber eindeutig sein dichterisches Werk. Neben seinen erwähnten Tagebüchern schrieb er Gedichte und Dramen, darunter Agnes Bernauer und Die Nibelungen. In seinen Werken schilderte Hebbel oft tragische, schicksalhafte Verkettungen von Ereignissen und thematisierte die sozialen Probleme seiner Zeit. Hebbel wurde viel gelesen und war der meistgespielte Dramatiker seiner Zeit, heute ist er eigentlich nur noch einem kleinen Kreis bekannt, seine Theaterstücke sind im Grunde von den Spielplänen der deutschen Bühnen verschwunden.

Der Satz von Hebbel, der übrigens kein Freimaurer war, könnte meiner Empfindung nach gut ein Motto der Freimaurerei sein. „Das Leben ist ein ewiges Werden. Sich für geworden halten heißt sich töten“. Mit der Aufnahme in den Bund der Freimaurer ergeht auch an uns nicht nur die Aufforderung „Erkenne dich selbst!“, sondern auch die Aufforderung, unablässig an unserer eigenen Vervollkommnung zu arbeiten. Wenn ein neuer Bruder die ersten Schläge am rauen Stein getan hat und somit symbolisch die Arbeit an sich selbst begonnen hast, dann hat er eine Arbeit begonnen, die vermutlich nie vollendet sein wird. Die Ecken und Kanten, die es abzuschlagen gilt, werden ihn ein Leben lang begleiten, und immer wenn er das Gefühl hast, er sei an einer Stelle weiter gekommen, dann findet er bei genauem Hinsehen garantiert noch weitere, vielleicht vorher vollkommen unbekannte Ecken und Kanten an sich, die dringend der Arbeit mit dem Spitzhammer bedürfen.

So gesehen, könnte der Satz „Das Leben ist ein ewiges Werden. Sich für geworden halten heißt sich töten“ tatsächlich in unserem Ritual auftauchen, denn wer glaubt, er sei vollkommen und könne den Spitzhammer aus der Hand legen, der ist vielleicht an einem Endpunkt angelangt – aber ich glaube nicht, dass er wirklich vollkommen ist. Wenn wir Freimaurer von einem Bruder sagen, er habe seine irdischen Werkzeuge aus der Hand gelegt, dann ist das eine Umschreibung dafür, dass dieser Bruder gestorben ist.

Wir können also den zitierten Satz als Aufforderung betrachten, mit der Arbeit an sich, mit dem Streben nach Vervollkommnung nicht aufzuhören. Wobei es uns im Laufe der Zeit klar wird, dass wir das Ziel nie erreichen können, vielmehr müssen wir den Weg, auf den wir uns begeben haben, und den jeder Freimaurer mit seinen symbolischen Reisen begonnen hat, als das Ziel nehmen: jede winzige Veränderung, Verbesserung bringt uns weiter, und es ist besser, diese unvollkommenen Anstrengungen zu unternehmen, als die Hände in den Schoß zu legen und nichts zu tun.

Das Ziel, das wir anstreben, die eigene Vervollkommnung, wird in der Symbolsprache der Freimaurerei als Bau des Tempels der Humanität umschrieben. Jeder einzelne von uns hat die Aufgabe, an sich selbst zu arbeiten, damit er sich als Baustein in diesen Tempel einfügen kann. Dabei werden nicht uniforme, Bausteine, gleichgeschaltete Freimaurer gebraucht, sondern im Gegenteil höchst individuelle Einzelpersönlichkeiten, was uns aber sofort vor die Frage stellt, wer uns sagen kann, wie der Baustein, der wir im Tempel sein können, aussehen soll. Die Antwort auf diese Frage liegt in den Worten, die uns in die Mitte des Tempels führen sollen: Erkenne Dich selbst! Denn es gibt in der Freimaurerei keine übergeordnete Instanz, die uns sagen kann, wie wir werden sollen, worauf wir achten müssen, wir alleine müssen es herausfinden. Und der Weg dahin führt über die Selbsterkenntnis: Stärken und Schwächen zu bilanzieren und entsprechend die Ecken und Kanten des rauen Steins abzuschlagen, ist unsere Aufgabe, und es bleibt unsere Aufgabe, keiner wird sie uns abnehmen können.

Wir können den jungen Brüdern aber anbieten, brüderlich und gemeinsam an diesem Ziel zu arbeiten, denn wir alle stehen auch nach Jahren als Freimaurer da, wo der junge Bruder bei seiner Aufnahme steht. Die Arbeit am rauen Stein endet nicht, auch wenn er eines Tages Meister ist, sie wird ihn ein Leben lang begleiten, und uns genauso. Und wenn wir uns gegenseitig als Brüder bezeichnen, dann hat das in meinen Augen auch damit zu tun, dass wir einander auf einer Ebene begegnen, weil wir alle wissen, oder vielleicht ahnen, wo unsere Schwachpunkte liegen. Wir erheben uns nicht über den anderen, sondern begegnen uns auf gleicher Ebene, auf der Winkelwaage.

An dieser Stelle sei mir eine kleine Abschweifung gestattet: Wenn das alles nach trockener, öder, unendlich mühseliger Arbeit klingen sollte, so darf ich doch verraten, dass die Freimaurerei durchaus auch andere Seiten hat: frohe Stunde im Kreis der Brüder, prächtige Feste (zum Beispiel unsere Johannisfeste), interessante Vorträge und Diskussionen, Begegnungen mit Brüdern anderer Logen, die uns Anregungen geben können oder auch – und das ist absolut legitim – einfach nur der netten Plauderei mit mehr oder weniger Gleichgesinnten dienen.

Bevor ich jetzt schließe, möchte ich noch einmal auf den Ausspruch von Hebbel zurückkommen. Hebbel spricht vom Leben, und man kann das, was wir bei jeder Aufnahme erlebt haben, symbolisch als den Beginn eines neuen Lebens betrachten. Wir alle sind bei unserer Aufnahme aus der Dunkelheit in das Licht getreten, und die Einweihungsriten der Alten waren eigentlich immer rituelle Wiedergeburten, denen die Dunkelheit eines symbolischen Todes vorangehen musste. Solche sogenannten Übergangsriten waren für die Menschheit lange Jahrtausende die Möglichkeit, sich mit einem geahntem oder erhofften Höheren zu verbinden oder sich ihm anzunähern. Wie jeder einzelne die Aufnahme (wir sagen auch „Einweihung“) in den Bund der Freimaurer erlebt oder versteht, kann und will ich niemand vorschreiben. Aber man kann darüber nachdenken, ob uns diese symbolische Geburt in ein neues Leben nicht nur im technischen Sinne zu Freimaurern macht, sondern vielleicht auch auf einen Weg stellt, den Weg zum Licht und zu einer besseren Zukunft, den jeder selbst gehen muss, aber so wie wir ihn verstehen, in der Gemeinschaft der Brüder, von denen jeder einzelne seine Fehler und Schwächen mitbringt, aber auch seine Vorzüge und Stärken. Wenn ich beim anderen in erster Linie seine Fehler und Schwächen wahrnehme, so ist das vielleicht mein gutes Recht als kritischer Geist, aber es wird weder mich weiterbringen noch den Bruder. Wenn ich aber seine Stärken und positiven Eigenschaften sehe, oder mich zumindest darum bemühe, dann kann der Bruder mir eine Hilfe auf meinem Weg sein und mich davon abhalten, mich für „geworden“ zu halten.

Ich möchte diesen Text mit einem anderen Zitat Hebbels beenden:

„Ob du dich selber erkennst?
Du thust es sicher, sobald du
Mehr Gebrechen an dir,
als an den Andern entdeckst.“

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