Großloge der Alten Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland (AFuAMvD)

Freimaurerei als Medizin?

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Freimaurerei als Medizin?

Von Ronald Gemünd

Wie schön wäre es, wenn man Menschen gegen Vorurteile und Verschwörungstheorien impfen könnte. Nach einem ausführlichen Aufklärungsgespräch über Vor- und Nachteile des Verfahrens gibt es einen kleinen Piks und – wenn nötig – ein paar Wochen später eine Auffrischungs-Impfung. Der Körper kann sich dann mit den Lügen, Halbwahrheiten, Schlagworten und populistischen Vereinfachungen auseinandersetzten und sie nach reiflicher Überlegung prüfen, neutralisieren oder verwerfen. Ist das ein Traum?

Vielleicht sogar ein gefährlicher Traum? Eine Impfpflicht sollte es sicher nicht geben, aber man soll über dieses Verfahren aufklären und dafür werben. Ist Freimaurerei nicht eine solche Behandlung? Sind das Ritual, unsere Symbole und die „Alten Pflichten“ denn nicht gut verträgliche Impfstoffe? Risiken und Nebenwirkungen sind überschaubar und lassen sich oft vermeiden. Eine verstärkte Impfreaktion in Form einer anfänglichen Euphorie ist nicht selten und zeigt, dass der Impfstoff angekommen ist. Ein allmähliches Abklingen der Reaktion ist normal, zeigt aber, dass von Zeit zu Zeit eine Auffrischung in Gestalt einer gelungenen Tempelarbeit sinnvoll ist.
Eine unerwünschte Wirkung kann das überschießende Gefühl des Bruders sein, jetzt Superkräfte zu besitzen und gegen alle Probleme des Lebens gefeit zu sein. Gelegentlich spürt die geimpfte Person leider keinerlei Veränderung und wendet sich enttäuscht einer anderen Therapie zu.
In der großen Gruppe der erfolgreich Geimpften dürfen aber die üblichen vorbeugenden Maßnahmen nicht vergessen werden. Neben dem Händewaschen auch für die Reinheit der Seele zu sorgen, häufig den Kopf durchzulüften, um neue Ideen hereinzulassen, Abstand zu halten von denen, die wir als unbelehrbare Impfverweigerer erkannt haben.

Freimaurerei als Impfung für Seele und Geist

Anlässlich der Corona-Pandemie sei an zwei prominente Begründer des Impfwesens erinnert, die auch Freimaurer waren. Bruder Edward Jenner hat 1796 erstmals gegen die Pocken geimpft und damit den Startschuss für die Ausrottung dieser Geißel der Menschheit gegeben. Die Kinderlähmung ist (noch) nicht verschwunden, aber Bruder Jonas E. Salk hat den ersten Impfstoff dagegen entwickelt und viele Kinder vor der eisernen Lunge bewahrt. Bakterielle Erreger werden natürlich auch direkt durch Medikamente bekämpft, die Rolle von Bruder Alexander Fleming, dem Entdecker des Penicillins, ist bekannt.
Sowohl die Freimaurergeschichte als auch der Gedanke, Menschen Toleranz und Brüderlichkeit „einzuimpfen“, zeigt, wie ich finde, interessante Parallelen und verborgene Ähnlichkeiten zwischen Freimaurerei und Medizin.
Schon in der Frühzeit der Freimaurerei haben sich nicht wenige Ärzte für den Bruderbund interessiert. Toleranz und Humanität waren die Haupttriebfedern. Im Zeitalter der Aufklärung waren die teilweise Aufhebung von Klassen und Religionsschranken attraktive Eigenschaften der Freimaurerei. Manche haben auch sicher aus Elitedenken, Neugier oder dem Wunsch nach Geselligkeit den Weg in die Logen gefunden. Karitative Aktivitäten, Selbstkontrolle, Selbsterkenntnis und Selbstverbesserung liegen Freimaurern besonders am Herzen. Die Fähigkeit, mit Symbolen und Ritualen umzugehen und Geheimnisse wahren zu können, kennzeichnet sowohl einen guten Arzt als auch einen guten Freimaurer.

Viele Parallelen zwischen Medizin und Freimaurerei

Aufklärung im philosophisch-freimaurerischen wie im praktisch-medizinischen Sinn ist weiter notwendig. Denn erst der informierte, aufgeklärte Patient kann eine Entscheidung treffen und beispielsweise in eine Behandlung einwilligen. Heutzutage erkennt man den guten Arzt daran, dass er seinem Patienten geduldig auch schwierige Sachverhalte erläutert und ihn über Vor- und Nachteile einer geplanten Operation informiert, ihm auch sagt, was passiert, wenn man nichts tut. Der moderne Arzt führt also seinen Patienten schrittweise, die Freimaurer würden sagen stufenweise, zu mehr Information und Erkenntnis, um wichtige Entscheidungen treffen zu können. Nur so wird aus dem vertrauensvollen Patienten ein kritischer und mündiger Partner auf Augenhöhe. So sagt es auch das freimaurerische Symbol des Winkelmaßes: Wir stehen alle auf gleicher Ebene.
Einen wichtigen Teil des freimaurerischen Lebens macht die Verschwiegenheit aus. Schon Hippokrates hat auf diesen Punkt hingewiesen. Das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient wird durch das Arztgeheimnis geschützt. Aber durch das massenhafte Sammeln medizinischer Daten in der digitalen Welt gerät dieser Punkt in Gefahr. In der Loge hat profane Geschwätzigkeit keinen Platz, es wird dort vielmehr Zurückhaltung, Behutsamkeit und auch Schweigsamkeit eingeübt. Im Freimaurer-Ritual heißt es: „Ich will Verschwiegenheit bewahren über alles, was ich von und über meinen Mitbruder erfahre.“ Dies muss auch in Zukunft sowohl für die Loge als auch für die ärztliche Arbeit gelten.

Zahlreiche bedeutende Mediziner waren Freimaurer

Seit Gründung der modernen Freimaurerei standen mehr als 70 berühmte Ärzte in unserer Bruderkette. Die illustren Namen reichen von Salvador Allende bis zum Generalstabsmedikus Zinnendorf. Digitalis, Homöopathie, Impfung, Osteopathie und Penicillin sind nur die wichtigsten Höhepunkte. Gibt es Verbindendes unter den Freimaurer-Ärzten? Bedeutende Freimaurer-Ärzte zeichneten sich durch ihren Einsatz für die Freiheit aus. Für die Freiheit des Einzelnen (Schutz vor Pocken: Br. Edward Jenner), Freiheit für Bevölkerungsgruppen (Einsatz für Arbeiter und Kleinbauern: der chilenische Arzt und Br. Salvador Allende) oder Freiheit für ein ganzes Volk (Philippinen: Br. José Rizal). Freiheit im freimaurerischen Sinne meint aber auch die Beseitigung von Angst und Armut, das Bekämpfen von Dogmen und Vorurteilen, das Führen eines sinnerfüllten Lebens und nicht nur die Abwesenheit von Krankheit. Vielen war der Kampf gegen Vorurteile und Aberglauben wichtig, etwa Br. Gerard van Swieten bei seinem Einsatz gegen den „Vampyrismus“.
Einige Brüder haben medizinische Außenseitermethoden entwickelt und sie teils energisch verfochten. Der Mesmerismus („animalischer Magnetismus“) als beinahe schamanische Behandlung ist heute verschwunden. Die Homöopathie von Br. Samuel Hahnemann und die Osteopathie von Br. Andrew Taylor Still erfreuen sich trotz heftiger naturwissenschaftlicher Kritik großer Beliebtheit. Es finden sich aber auch starke Tendenzen hin zu Esoterik, Okkultismus und Mystizismus.
Die Verbesserung der Medizinerausbildung ist ein weiteres gemeinsames Anliegen vieler Freimaurer-Ärzte. Br. Gerard van Swieten als einer der führenden Köpfe der ersten Wiener Schule hat sich auf diesem Feld große Verdienste erworben. Der Struwwelpeter-Dichter Br. Heinrich Hoffmann hat sich für eine verbesserte Pflege psychisch Kranker eingesetzt. Br. Christoph Wilhelm Hufeland und später die Familie Mayo haben sich für die Modernisierung des Krankenhauswesens engagiert. Auf diesem indirekten Wege haben sie Bedeutendes zum Wohle der Menschen beigetragen.

Im geschützten „Gedankenlabor“ Freimaurerei

Auffällig ist auch die Vielseitigkeit der Freimaurer-Ärzte. Viele von ihnen haben an naturwissenschaftlichen Fragen gearbeitet und auf dem Gebiet von Zoologie oder Botanik wichtige Beobachtungen gemacht. Eine Reihe von ihnen hat sich mit religiösen oder philosophischen Problemen auseinandergesetzt oder sich wie Br. Erasmus Darwin als Ingenieur und Erfinder einen Namen gemacht. Nicht wenige von ihnen sind durch ihr schriftstellerisches Talent aufgefallen. Der Struwwelpeter-Hoffmann und der Autor der Sherlock-Holmes-Romane, Br. Arthur Conan Doyle, sind die bekanntesten Beispiele. Zwei Ärzte haben als Politiker versucht, ihre Gesellschaft sozusagen von der Unfreiheit zu heilen: Br. José Rizal und Br. Salvador Allende haben das mit ihrem Leben bezahlt.
Fast allen oben genannten Ärzten hat die Wohltätigkeit am Herzen gelegen. Ob sie als Armenarzt tätig waren oder kostenfreie Sprechstunden für Patienten angeboten haben, stets war ihr Blick „auf die Not um uns her“ gerichtet, wie es im Ritual heißt. Die „Hufeland-Stiftung“ für mittellose Arztfamilien und Arztwitwen existiert heute noch.
Ob in unseren Logen überdurchschnittlich viele Ärzte vertreten sind, ist unklar. An der Gründung der modernen Freimaurerei waren einige Ärzte beteiligt. Aus den Mitgliederlisten der englischen Großloge aus der Zeit von 1723 bis 1730 geht hervor, dass zum Beispiel die Loge „Mitre“ in Covent Garden in diesem Zeitraum vierzehn Ärzte als Mitglieder hatte, die Loge „Griffin“ in New Gate sogar zwanzig. In der Frühphase der Großloge waren in den fünf Gründungslogen zusammen einundzwanzig akademisch ausgebildete Ärzte oder handwerklich ausgebildete Barber Surgeons vertreten. Es ist nicht verwunderlich, dass sich damals viele an Aufklärung interessierte Naturwissenschaftler, Autoren, Juristen und Ärzte in dem „geschützten Gedankenlabor“ Freimaurerloge trafen. Neben dem gebildeten Bürgertum war der Adel stark vertreten. Handwerker waren eher selten, obwohl die Barber Surgeons noch diesem Kreis zuzurechnen waren. Die früher übliche, teils erbitterte Konkurrenz zwischen akademischen und nicht-akademischen Ärzten spielte in den Logen keine Rolle.

Sind Freimaurer die besseren Ärzte?

Übt ein Freimaurer-Arzt eine andere Art von Medizin aus und ist er deswegen ein besserer Arzt oder Wissenschaftler? Den medizinischen Wissenschaftlern ging es in erster Linie um das Wohl der Patienten, sie vor den Menschenpocken zu schützen (Jenner) oder ihnen beizustehen, wenn sie geistig verwirrt sind (Hoffmann). Dem Entdecker des Penicillins (Fleming) war es zunächst gar nicht klar, dass seine Erfindung so vielen Menschen helfen würde. Der Nobelpreisträger sagte: „Man hat mich bezichtigt, das Penicillin erfunden zu haben. Erfinden ließ sich das Penicillin von keinem Menschen, denn es wurde vor urdenklichen Zeiten von einem gewissen Schimmelpilz hervorgebracht.“ Flemings Haupttugenden waren: Bescheidenheit, Aufmerksamkeit, Neugier und Ausdauer. Das sind Eigenschaften, die auch einem Freimaurer gut zu Gesicht stehen. Die Art der Medizin, ob schulmedizinisch oder homöopathisch, ob sanft-internistisch oder entschlossen-chirurgisch, ob allgemein-medizinisch oder hochspezialisiert, wird nicht durch Freimaurerei vorgegeben oder beeinflusst. Diese Entscheidung liegt ganz im Charakter oder im Herzen des Arztes. Ob man als Freimaurer automatisch ein besserer Arzt sei? Nein! Es mag auch unter den Freimaurer-Ärzten diejenigen geben, denen das Geldverdienen wichtiger ist als das Heilen. Aber sie befinden sich damit im dauernden Widerspruch zu den Tugenden, zu denen sie sich bekannt haben und auf die sie in jeder Tempelarbeit durch Symbol und Ritual hingewiesen werden. Vielleicht helfen ihnen doch diese stetigen Anstöße, um an sich selbst zu arbeiten und dadurch ein besserer Mensch und auch ein besserer Arzt zu werden.
Freimaurerei als Medizin ist kein Rauschmittel. Erhebende Augenblicke im Freimaurerleben sind allerdings nicht ausgeschlossen, sondern sogar erwünscht.
Freimaurerei als Medizin ist keine Quacksalberei, sie wirkt nicht homöopathisch in stärkster Verdünnung, es gehört eine gehörige Dosis Entschlossenheit dazu, sich selbst kritisch zu erkennen und an sich selber zu arbeiten.
Freimaurerei als Medizin ist kein Betäubungsmittel gegen diffusen Weltschmerz. Aber sie kann in traurigen Situationen Trost spenden.
Freimaurerei als Medizin hat die Besonderheit, dass wir Brüder Medikament und Behandler zugleich sind, sowohl für uns selbst, als auch für alle Menschen in unserer Umgebung. Freimaurerei als Medizin kann die Abwehrkräfte stärken, zu einer gesunden Lebensführung beitragen, vorbeugend wirksam sein und schließlich auch lindern und trösten.