Großloge der Alten Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland (AFuAMvD)

Freimaurerei – ethischer Bund oder Religionsgemeinschaft?

Empfehlen
Foto: CrazyCloud / Adobe Stock

Freimaurer teilen Werte, die sich auf den Menschen im Hier und Jetzt beziehen. Freimaurer stimmen in den moralischen Überzeugungen überein, aus denen heraus sie empfinden, denken und handeln. Freimaurer müssen aber nicht im Hinblick auf die Quellen übereinstimmen, aus denen sich ihre freimaurerischen Werte und Überzeugungen jeweils individuell speisen, wie zum Beispiel einen religiösen Glauben.

„Habt ihr ihn gefragt, welchen Standes er ist, zu welchem Glauben er sich bekennt und welcher politischen Partei er angehört?“ – so will der leitende Meister bezüglich des Suchenden vor der Aufnahme vom Vorbe¬reitenden Bruder wissen, und die Antwort lautet: „Nein, denn die Gesetze unseres Bundes verbieten es, danach zu fragen“.

Rudolf Penzig, in den neunzehnhundertzwanziger Jahren Großmeister des reformorientierten „Freimaurerbunds zur aufgehenden Sonne“, hat diesen Gesichtspunkt bereits vor hundert Jahren inhaltlich überzeugend und sprachschön zum Ausdruck gebracht (Zitat): „Wie ein Strom von den verschiedensten Quellen und Nebenflüssen aus Himmelshöhen und Erdentiefen gespeist wird, so mag auch der Wille zur Vervollkommnung der Menschheit seine lebendige Kraft aus religiösen oder humanen, göttlichen oder menschlichen Beweggründen schöpfen – dass er da sei und wirke und die ganze Menschheit endlich erfülle, – darauf kommt es an.“

Was bedeutet Freimaurerei in der Tradition von Humanismus und Aufklärung?

Für mich findet humanitäre Freimaurerei in einem vierfachen Selbstverständnis ihren Aus­druck, wobei sich die genannten Aspekte gleichrangig miteinander verbinden:

Wie steht es nun um das Verhältnis zwischen humanitärer Freimaurerei und Religion?

Trotz aller Abgrenzung gegenüber der Religion war die Entwicklung der Freimaurerei von Anfang an in starkem Maße von religiösen Diskursen bestimmt. Und diese Diskurse müssen im Sinne notwendiger Klärungen und Festlegungen auch weitergeführt und zu einem Abschluss mit klaren Aussagen gebracht werden – und zwar sowohl im nationalen als auch im internationalen Kontext. Sonst können sich die Beziehungen zwischen Freimaurerei und Religion, Loge und Kirche nicht befriedigend entwickeln. Dabei müssen Vernunft und Argumente gelten und hergebrachte Abhängigkeiten von der Vereinigten Großloge von England überwunden werden.

Mir stellt sich das Verhältnis zwischen Freimaurerei und Religion – in vier Thesen gefasst – folgendermaßen dar:

  1. Freimaurerei ist eine ethisch orientierte Vereinigung und keine Religion, und sie will auch keinen Ersatz für eine Religion bieten, denn sie vermittelt kein Glaubenssystem und kennt weder sakramentale Heilsmittel noch Theologie und Dogma. Selbst auf der Internetseite der doch eher konservativ eingestellten Vereinigten Großloge von England heißt es dazu (Zitat): „Freimaurerei beansprucht nicht, die Religion eines Bruders zu ersetzen. Sie hat es mit dem Verhältnis des Menschen zu seinem Mitmenschen zu tun, nicht mit seinem Verhältnis zu Gott.“ Es ist bedauerlich, dass die Englische Großloge aus solchermaßen richtigen Einzelerkenntnissen bisher noch nicht die erforderlichen allgemeinen Schlussfolgerungen gezogen hat und dass die internationale Freimaurerei nicht den Mut hat, hier einmal kritisch einzuhaken.
  2. Die Freimaurer haben und brauchen keinen gemeinsamen Gottesbegriff. Die symbolische Präsenz eines „Großen Baumeisters der Welt“ in ihren Ritualen darf nicht mit den verschiedenen Gottesverständnissen der Religionen verwechselt oder gar gleichgesetzt werden. Das Symbol des „Großen Baumeisters“ stellt vielmehr das umfassende Symbol für den Sinn der freimaurerischen Arbeit dar und als solches ist ihm vom Freimaurer mit Ehrfurcht zu begegnen. Ethisch orientiertes Handeln setzt die Anerkennung eines sinngebenden Prinzips, eines die Unverbindlichkeiten des Alltags transzendierenden „höheren Seins“ voraus, das – weltanschaulich bestimmt, oder empirisch durch Konsens gefunden – Verantwortung begründet und auf das Ethik und moralisches Verhalten des Freimaurers letztlich rückbezogen sind.
    Das Symbol des „Großen Baumeisters“ deutet den transzendenten Bezug des Freimaurers an, ohne seinen Charakter auszubuchstabieren, wobei Transzendenz auch als eine immanente, nicht auf einen religiösen Glauben bezogene Transzendenz, als ein „Übersichhinausgehen innerhalb des Seins des Menschen“ verstanden werden kann, wie es der Philosoph Ernst Tugendhat einmal formuliert hat.
    In diesem Sinne ist auch die Bibel im Kontext der humanitären Freimaurerei kein Buch der Offenbarung, sondern ein moralisches Symbol.
    Zugleich enthält die Bibel den Kernmythos des Bundes, den Bau des symbolischen Tempels der Humanität. Wenn sie im Verlauf des Rituals aufgeschlagen wird, sollte dies in meiner Sicht daher da geschehen, wo von Salomos Tempelbau die Rede ist, d.h. 1. Könige 6 oder 2. Chronik 3.
  3. Die freimaurerische Tempelarbeit ist Feier und Fest, sie ist Kontemplation und Reflexion, sie ist ein kreatives und ein emotionales Erlebnis, aber sie ist kein Gottesdienst. Das Brauchtum des Bundes soll vielmehr menschliches Miteinander, ethische Lebensorientierung und emotionale Spiritualität durch Symbole, Metaphern und rituelle Handlungen in der Gemeinschaft der Loge darstellbar, erlebbar und erlernbar machen.
  4. Als ethisch orientierte Gemeinschaft ist Freimaurerei offen für Menschen aller Glaubensbekenntnisse und Weltanschauungen und auch für Menschen ohne Glaubensvorstellungen im herkömmlichen Sinne. Der Mensch steht im Mittelpunkt, der „bloße“ Mensch, wie Lessing sagt. Ob Gläubige, Agnostiker oder Atheisten: Unabdingbar ist allerdings, dass die Brüder Freimaurer mit den im Diskurs gefundenen ethischen Überzeugungen und moralischen Prinzipien des Freimaurerbundes übereinstimmen,
    dass sie
    zu aktiver Wertschätzung seiner symbolisch-rituellen Ausdrucksformen fähig sind
    und dass sie dem Gebot der Alten Pflichten folgen: „Vor allem übt brüderliche Liebe. Sie ist Grundstein und Schlussstein, Kitt und Ruhm unserer alten Bruderschaft“. 
    Aufgrund einer solchen Festlegung und Abgrenzung kann eine überzeugende konzeptionelle Grundlage der humanitären Freimaurerei entwickelt werden, eine konzeptionelle Grundlage, die auch in der Öffentlichkeit gut vertreten werden kann und die eine überzeugende Grundlage ist für die Gewinnung neuer Mitglieder.
    Auf einer solchen Grundlage kann auch das Verhältnis zu den großen christlichen Kirchen – wie zu Religion und Religionsgemeinschaften generell – entspannt und selbstbewusst entwickelt werden, zumal an zwei bedeutsame Gemeinsamkeiten von Freimaurerei und Kirchen zu erinnern ist: die gemeinsamen Wurzeln in der europäischen Kultur- und Geistesgeschichte sowie die Verpflichtung zum ethischen Handeln, insbesondere zu praktischer Mitmenschlichkeit.

Für den Freimaurer gibt es keine prinzipiellen Widersprüche zwischen Freimaurerei, Religion und Kirche. Freimaurerei bedeutet weder militanten Atheismus noch Kirchenkampf. Freimaurerei bedeutet religiöse Toleranz, wenn auch hier – wie überall stets – eine wache, eine kritische, eine skeptische Toleranz am Platze ist. Andererseits sieht der Freimaurer auch bei gründlichster und gewissenhaftester Prüfung keinerlei Gründe dafür, dass Kirchen die Mitgliedschaft in Logen untersagen.

Erfreulicherweise stimmen dieser Auffassung inzwischen ja auch prominente Katholiken zu. So sagte etwa Hans Küng in seiner Dankansprache nach der Verleihung des „Kulturpreises Deutscher Freimaurer“ hier in Köln im Jahre 2007 (Zitat): „Mit vielen anderen in allen christlichen Kirchen teile ich die Überzeugung, dass ein Christ Freimaurer sein kann und ein Freimaurer Christ. Besonders in den USA, in Italien und Österreich sind die Zugehörigkeit zu Kirche und Freimaurertum alltägliche Praxis. Hier und da gehören auch herausragende Vertreter der römisch-katholischen Kirche dem Bund an. Und gerade, dass der Freimaurerbund als solcher dogmenfrei sein will, ermöglicht die Mitgliedschaft ja sowohl Angehörigen eines religiösen Glaubens als auch Vertretern anderer Weltanschauungen, solange sie tolerant und den Idealen der Menschlichkeit verpflichtet sind.“

Ein letzter Gedanke noch zum Kontext Freimaurerei und Religion: Im Hintergrund meiner Überlegungen und Abgrenzungen stehen Begriffe von Religion und Religiosität, die Glaubensinhalte und religiöse Funktionen auseinanderhalten und die ihren Ursprung in der Religionssoziologie haben.

Talcott Parsons etwa, einer ihrer wichtigsten Vertreter, sieht die Aufgabe des Religiösen darin, kulturelle Werte und Normen durch den Rekurs auf eine letzte Wirklichkeit – Parsons spricht von „ultimate reality“ – lebendig und verbindlich zu halten. Das was Parsons „Rekurs auf eine letzte Wirklichkeit“ nennt, ist nun aber nichts anderes als das, was der Begriff Religion jenseits aller ihrer konkreten Erscheinungsformen und Glaubensinhalte meint, nämlich Rückbindung an und Vertrauen auf eine sinnspendende Ordnung. Genau das aber will Freimaurerei leisten: die Herstellung eines tragfähigen, das bloß materielle Sein transzendierenden Sinn- und Wertbezugs, der freilich – was immer der einzelne Bruder denkt und glaubt – als Freimaurerei spezifisch religiöser Rückbindungen oder eines Glaubens an Gott im traditionellen Sinne nicht bedarf.

Auch der Soziologe Thomas Luckmann stellt die konstruktive gesellschaftliche Rolle der Religion in den Vordergrund, indem er auf deren Potenzial bei der Krisenbewältigung und bei der Stabilisierung der Gemeinschaft in Phasen sozialer Umbrüche hinweist. Religiosität ist für Luckmann eine anthropologische Konstante, die sich in der Moderne nur neue Formen der Repräsentation sucht und nicht – wie die Säkularisierungsthese behauptet – verschwindet. Luckmann hat im Rahmen seiner Religionssoziologie Aufgabe und Wirkungsweise der Religion als „Einübung … in ein das Einzeldasein transzendierendes Sinngefüge“ bezeichnet.

Meine Brüder, „Einübung … in ein das Einzeldasein transzendierendes Sinngefüge“. Dies gilt in meiner Sicht auch für Freimaurerei.

Bei aller Ablehnung der Religionseigenschaft der Freimaurerei im Sinne eines inhaltlich definierten Glaubens wäre es folglich gleichermaßen falsch und irreführend, den Begriff des „Religiösen“ allzu strikt von der Freimaurerei fernzuhalten. Im Sinne der Religionssoziologie religiös, aber weder Religion noch religiöse Vereinigung, so ließe sich pointiert formulieren.

Noch einmal: Freimaurerei ist kein Heilsweg, sondern ein Weg zur Bewährung im Hier und Jetzt. Ein Weg – es gibt andere. Die Gleichzeitigkeit des Respekts vor Religion und des Verzichts auf Nachahmung von Religion und/oder Einmischung in Religion kann die Freimaurerloge zu einer Gemeinschaft machen, in der sich gläubige Menschen ganz verschiedener Religionen mit religiös skeptischen, ja ungläubigen Menschen auf der Grundlage verpflichtender Werte freundschaftlich miteinander verbinden. Hierin sollten Freimaurer eine integrierende Kraft sehen, die – bescheiden, aber vielleicht doch spürbar – dazu beitragen kann, die Gesellschaft der Gegenwart mit all ihren Auflösungs- und Spaltungstendenzen auf der Basis einer gemeinsamen Wertbasis zusammenzuhalten.