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„Edel sei der Mensch, hilfreich und gut“ Er soll es sein, sagt Goethe. Er ist es nicht. Kann man es werden? Moses Mendelssohn (1729-1786), Lessings Vorbild für Nathan den Weisen, hat schon vor 250 Jahren gesagt, was man sich vornehmen könnte.
„Nach Wahrheit forschen, Schönheit lieben, Guten wollen, das Beste tun.“
Nun, das ist ebenso zeitlos wie allgemeingültig. Es lässt sich freilich unterschiedlich interpretieren. Was ist wahr, was ist schön, was ist das Gute, und was ist das Beste? Kulturen, Religionen und Staaten der Welt haben sehr eigene Auslegungen. Aber immerhin auch gemeinsame religiöse und weltliche Gebote: „Nicht töten“, „Nicht stehlen“, „Nicht lügen“ gilt für alle Religionen und alle Kulturkreise. Das steht auch in sämtlichen Gesetzeswerken aller freiheitlichen Verfassungen der Welt.
Und doch: Man tötet, man stiehlt, man lügt. Noch nicht einmal gesetzlich geregelte Ethik und Moral können das verhindern. Es gibt nur eine Möglichkeit. Nämlich solche Gebote zu leben.
Alle Problemfelder der Welt sind Menschenwerk. Ausgang aller Missverständnisse und Konflikte sind Dummheit, Dogmatismus, Fanatismus, Intoleranz. Die Tatsache, dass das wohl immer so war, ist kein Alibi dafür, sich zurückzulehnen und die Missstände als Weltwirklichkeit zu akzeptieren.
Der Gegenentwurf dazu, den wir „Freimaurerei“ nennen, entspringt der uralten Sehnsucht der Menschen, sich friedlich über alle Kulturen, Religionen und Nationen hinweg zu begegnen und auf ein gemeinsames ethisches Fundament verständigen zu können. Und zwar auf der gedachten gleichen Ebene aller, für die wir das alte Bausymbol der Bleiwaage oder Winkelwaage haben.
Man mag denken: Wie kann ein derart schlichtes Symbol Anlass für Vorurteil und Argwohn ein? Die Antwort ist: Wer gedanklich alle auf eine Ebene stellt, der stellt auch vermeintlich Unversöhnliches auf diese Ebene, Freund und Feind, Arm und Reich, Religionen mit und ohne Absolutheitsanspruch, Herren und Knechte. Natürlich auch gleichberechtigt die Frauen. Man ahnt, welches Politikum schon das gleiche Recht und die gleiche Würde darstellt.
Eigentlich ist das, was solche Symbolbilder sagen, noch simpler: Im Grunde geht es um nichts anderes, als um das bessere Miteinander für eine bessere Welt. Es geht um Toleranz und Gerechtigkeit, und es geht um eine Lebenseinstellung, die jeder haben könnte, egal, ob Freimaurer oder nicht. Vereinfacht: Suche Sinn, lebe anständig, strebe nach Harmonie, sei verständnisvoll, tue Gutes, mach das Beste aus allem.
„Niemand kann zum Besten der Menschheit beitragen, der nicht aus sich selbst macht, was aus ihm werden kann.“
Gotthold Ephraim Lessing
So beginnt alles mit der antiken Forderung, die schon am Tempel von Delphi stand: Erkenne dich selbst. So ist auch Freimaurerei zunächst ein Weg, etwas aus sich selbst zu machen. Und zwar jeder nach seinen Mitteln und Möglichkeiten.
Dahinter steht die Idee des sinnvollen Bauens und Gestaltens von Zeit und Raum. In Anlehnung an die mittelalterlichen Bauhütten könnte man sagen: Was die damals konkret getan haben, nämlich Räume zu bauen und auszugestalten, das wollen wir im übertragenen Sinn tun. Die Zeit sinnvoll nutzen zur Selbstfindung und Selbsterziehung, zur Suche nach Lebensqualität und Sinn, zum verständnisvollen Miteinander und zur Gestaltung von Lebensraum und Umwelt.
Selbstkritisch, bescheiden, anständig sein, friedfertig leben, sich gegenseitig respektieren, den anderen in seinem Anderssein annehmen, um ihn besser zu verstehen, darin steckt ein ganzer Wertekanon. Wir haben kein Urheberrecht daran.
Machen kann das jeder.
Es liegt natürlich an jedem Einzelnen, was er daraus macht und wie er das tut, und es hängt von seinen individuellen Fähigkeiten und Möglichkeiten ab, ob er damit wirksam ist oder nicht. Vielleicht betrachtet er Ideale und Ziele dieser Art so, wie man Sterne betrachtet. Man sieht sie, man kann sich an ihnen orientieren, aber man erreicht sie nicht.
Alle, die sich auf die gedanklichen Sterne einlassen, machen unausweichlich die Alltags-Erfahrung, dass dieses so schlichte und elementare Grundbedürfnis „Miteinander-leben-miteinander-auskommen-das beste daraus machen“ das Schwierigste überhaupt ist, und dass alle Konflikte in der Welt, die kleinen und die schrecklich großen, darauf zurückzuführen sind, dass dieses Miteinander-leben-miteinander-auskommen eben nicht funktioniert.
Dass es funktionieren könnte, ja sollte, ist die Projektion eines Ideals. Ich zitiere gern Richard von Weizsäcker, der einmal gesagt hat:
„Am Ideal gemessen, versagt die Wirklichkeit. Aber was wäre das für eine traurige Wirklichkeit, wenn sie aufhören würde, sich am Ideal zu orientieren.“
Lassen Sie uns also ein wenig nach den Sternen greifen und nach den Übersetzungsmöglichkeiten in unseren Alltag fragen. Das sind einerseits schlichte, anfassbare Übersetzungen, und das sind andererseits kühne Gedankenspiele um den Sinn des Seins. Jeder so, wie er möchte und vermag.
Hemmnis bei solchen Gedankenspielen sind oft ganz elementare Ängste. Niemand von uns ist wohl ganz frei davon. Der polnische Journalisten Ryszard Kapucinski (1932-2007) sagt das so:
„Ich habe Angst vor einer Welt ohne Werte, ohne Empfindsamkeit, ohne Denken. Vor einer Welt, in der alles möglich ist. Denn am wahrscheinlichsten ist dann das Böse.“
Das darf uns nicht mutlos machen. Friedliches Miteinander muss eine Chance haben. Soziale Gerechtigkeit darf keine Floskel bleiben. Und jedem muss klar sein, dass alles Bemühen bei uns selbst anfängt, und dass alles, was wir nicht im Kleinen tun, auch im Großen keine Chance hat.
Dazu gehört unerlässlich der Wertediskurs. Wir wollen sagen, und wir wollen zuhören, was uns und anderen wichtig und wünschenswert erscheint. Schön, wenn es gelingt, dabei Gleichgesinnte zu finden, die Werte pflegen, wie Freundschaft, Harmonie, verständnisvolles Miteinander. Freimaurer versuchen, so etwas in ihren Logen zu praktizieren. Die Loge ist Lehr- und Übungszweck dafür.
Das Nachdenken über Werte führt zwangsläufig zu Idealvorstellungen. Und viele von Ihnen werden den freimaurerische Idealvorstellungen folgen, die da meinen, es müsste eigentlich ein Minimalkonsens gefunden werden, über alle Kulturen, Religionen und Nationen hinweg. Man sollte sich auf gemeinsame Werte verständigen können, es gelte, ein gemeinsames ethisches Fundament zu finden, tragfähig für alle. Wie schön wäre es, könnte man zu einer Kultur der Gewaltlosigkeit, Friedfertigkeit, Verständigung und Ehrfurcht vor dem Leben übergehen.
Freimaurer versuchen im Kleinen das Große Ganze zu denken. „Laut denken mit dem Freunde“ nennt Lessing das, und „einen nötigen Geist, der Möglichkeiten dichtet.“ Das heißt, wir bemühen uns, eine Welt der Möglichkeiten zu denken. Dabei darf man nicht vergessen, dass Werte übersetzbar bleiben müssen, und das es uns immer um das Machbare des Denkbaren gehen muss.
Ich meine dabei Werte, die seit Jahrtausenden vorgedacht wurden und die sich in vielfältiger Form auch in Religionen, Parteiprogrammen, Gesetzestexten und unterschiedlichen Ideologien wiederfinden. Weil sich jedoch jede Gruppierung programmatisch abgrenzt, gibt es vielfältig konkurrierende Denkmodelle. Freimaurerei ist hingegen offen für alle, und weil das so ist, ist sie überstaatlich, überkonfessionell, überparteilich. Was jemand glaubt und was er wählt, ist seine Privatangelegenheit, wenn er nur die andere Meinung und den anderen Glauben als jeweils gleichwertig anerkennt. Die Herausforderung heißt: Toleranz.
Werte, Tugenden, ethische Normen. Symbole des Idealen, die sehr hoch hängen. So ist Freimaurerei ein immerwährender Prozess des Lernens und Überdenkens solcher Symbolik.
Wir Freimaurer haben in den 300 Jahren unserer Existenz nie ein politisches Manifest gebraucht, kein Parteiprogramm. Wir verständigen uns ohne Sprachbarrieren rund um die Erde über derartige Symbole.
Die gedankliche Spanne reicht von der Baukunst zu einer Kunst, recht zu leben. Wir wissen nicht immer, was das ist und wie das geht, aber Freimaurer sind und bleiben Suchende auf diesem Weg zur Kunst, recht zu leben.
Hilfestellung leistet dabei ein altehrwürdiges Ritual, das eine Art Balance von Geist und Gemüt bewirken will und das uns hilft, uns selbst und die Zusammenhänge um uns herum besser, gelassener, ausgewogener zu sehen. Wir haben ja oft verlernt, in uns hineinzuhorchen und das, was wir mit dem Verstand begreifen, auch mit Herz und Seele zu ergänzen. Freimaurerisches Ritual bewirkt dieses mit einer Mischung aus Brauchtumspflege, Bausymbolik, sensibler Innensicht und ethischem Anspruch.
Es erfasst es uns ganzheitlich mit Geist und Gemüt, Herz und Hand.
Wir wollen in den Logen durch gemeinsames Nachdenken Orientierungshilfen geben. Das heißt auch: vorurteilsfreies Nachdenken über die Welt. Im Zeichen von Werteverfall und Sinnkrise an Werte erinnern. Eine Welt der Möglichkeiten denken und das Machbare des Denkbaren tun.
Sind wir Idealisten? Ja. Sicherlich. Aber man muss auch festhalten: Selbsterkenntnis, Menschlichkeit, Toleranz, friedliches Miteinander und Füreinander sind machbare Forderungen, die im Kleinen beginnen und sich im Großen fortsetzen lassen. Das bessere Miteinander für eine bessere Welt ist der wichtigste Lösungsansatz für die Probleme der Welt. Im Großen wie im Kleinen. In diesem Sinn sind Freimaurer altruistisch, philanthropisch, kosmopolitisch.
Das umreißt einen Lebensstil. Einen Weg. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Wir konkurrieren nicht gegen andere Wege, wir suchen Begegnungen und Netzwerke, und überall, wo es Logen gibt, gibt es auch ein kreatives und manchmal auch humanitäres Miteinander in der Gemeinde, in der Stadt, im Staat. Und manchmal gibt es auch einen Schulterschluss. Gutes wollen, das Beste tun will in diesem Sinne anstecken und anstiften, aber auch mit offenen Sinnen und Herzen zuhören und Anteil nehmen. Wir sind Mitstreiter in der Solidargemeinschaft Mensch, und wir sind verbunden mit deren Sorgen, Nöten und ethischen Ansprüchen.
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