Hutprobe
Gelesen von Hasso Henke
Foto: © spaxlax / Adobe Stock
1780 findet diese Kopfbedeckung erstmals breite Erwähnung und interessant daran ist, dass sie weder als Hut für die niederen Stände galt und auch von den höheren als unelegant abgelehnt wurde, höchstens als gerade noch akzeptabel galt zum Ausritt zu Pferde. Knappen, Dienern und Gesinde war lediglich das Tragen von Kappen gestattet, für sie war der Hut tabu. Unten also verboten, oben verpönt, kennzeichnete der hohe Hut schon immer Englands Mittelklasse, das klassische Bürgertum bzw. die Kaufmannschaft, die sich damit ein eigenes modisches Erkennungszeichen schuf. Solange zumindest, bis der Hutmacher John Hetherington ihn modifizierte. Übrigens lautet bis heute die Berufsbezeichnung für Hutmacher „Modist“. Dieser Fabrikant aus der Textilstadt Manchester gab ihm jene Form, die sich bis heute allenfalls in Nuancen änderte. Aus bis dato hellgrauem oder hellbraunem Filz hergestellt, verwendete der findige britische Hutmacher schwarzglänzende Seide, setzte ein edles Futter und ein Band mit kleiner Schleife ein, formte die Krempe mit elegantem Schwung. Eine Kontur ward geboren, die als Klassiker unsterblich wurde. John Hetherington selbst jedoch brachte seine Kreation zunächst einmal Ärger ein, denn als er sie im Januar 1797 zum allerersten Male öffentlich trug, wurde er deswegen verhaftet, wie die Legende zu berichten weiß. Und so blieb es mit dem Zylinder, denn immer wieder war dieser hohe Hut auch ein Statement, übertrug er eine Botschaft, eine Gesinnung, war er stets mehr als nur ein bloßes Accessoire, kein schlichtes modisches Beiwerk wie andere Bekleidungsteile. Man trug ihn auf dem Haupte und als Behauptung.
Der falsche Hut in der falschen Straße brachte Ärger
Jenseits des Atlantiks, in den Vereinigten Staaten, die zu jener Zeit noch gar nicht vereinigt waren, verhalf der spätere Präsident Abraham Lincoln dem Zylinder zu seinem Durchbruch. Er nämlich wurde selten ohne seinen hohen Hut gesehen, und seine Anhänger taten es ihm in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gleich. So avancierte das noble Stück doch noch zur Mode, man kennzeichnete sich modern als normalen Bürger. Zwischen 1840 und 1860 war der runde Stoff über der Stirn ein Kennzeichen der Gangzugehörigkeit in den berüchtigten blutigen Kämpfen der Five Points, einem fast gesetzlosen Stadtteil New Yorks, dessen Begrenzung von fünf Kreuzungen markiert wurde. Der falsche Zylinder in der falschen Straße sorgte augenblicklich für Lebensgefahr.
In Deutschland war der hohe Hut nicht so sehr blutbespritzt, für Ärger indes vermochte er auch hier zu sorgen. Adolph Friedrich Erdmann von Menzel, Deutschlands bedeutendster Realist, erhielt 1898 den Adelstitel sowie den preußischen Adlerorden überreicht. Die Veranstaltung geriet zum Eklat, denn Menzel trug einen Zylinder, der eben als Symbol der Bürgerlichen galt, und weigerte sich, diesen abzusetzen, da anwesende Offiziere ihre militärischen Kopfbedeckungen ebenfalls aufbehielten, offiziell aufbehalten durften. Den Zivilisten war dies nicht erlaubt, sie hatten vor Obrigkeit und Militär ihre Köpfe ehrerbietig zu lüften. Menzel widersetzte sich dem, indem er das Haupthaar demonstrativ nicht dem Lichte preisgab. Abermals entzündeten sich am straff gespannten Stoff auf dem Haupt die Gemüter.
Verrückt wie ein Hutmacher
1830 blieb der hohe steife Hut zwar noch immer hoch, aber nicht mehr dauerhaft steif – der Chapeau Claque wurde erfunden, der Klapphut. In über 150 Arbeitsstunden erhält der Zylinder mit einer Platte aus Schellack, Satin und Seide sowie einem überaus komplexen Metallgeflecht eine Mechanik, die ihn platzsparend transportieren lässt und ihm ein nie öde werdendes Ploppen verschafft, wenn er knallend in seine feine Form springt. Ein schöner Spaß aus großer Kunst alten Handwerks. Der englische Schriftsteller Lewis Carroll setze dem Zylinder ein Denkmal, das bis heute im kollektiven Bewusstsein der Popkultur fest verankert ist. In der Geschichte „Alice im Wunderland“ ist der verrückte Hutmacher eine der schillerndsten Figuren, die diesen Klassiker der Weltliteratur ungemein präsent bereichert. Noch immer wird in England eine auffallend von Normen abweichende Person bezeichnet als „mad as a hatter“ („verrückt wie ein Hutmacher“).
Nachdem aber kürzlich der vorletzte Handwerker des Klapphutes sein Geschäft in New York schloss, gibt es nun weltweit nur noch einen einzigen Modisten, der Chapeau Claques herstellt. Und zwar in Herbolzheim, einer kleinen Stadt zwischen Straßburg und Freiburg. Als Hauptkundschaft benennt er übrigens Freimaurer, wir sind also noch lange nicht allein mit unserer Kopfbedeckung hier in unserer Detmolder Loge „Zur Rose am Teutoburger Walde“, wo der hohe Hut traditionell getragen wird. Die Käuferschicht besteht neben den Freimaurern des Weiteren aus Zauberern, Dressurreitern, Kaminfegern und Bestattern, also absolut keine Gesellschaft, derer wir uns schämen müssten. Und wenn diese Gruppen ihn noch immer nicht infrage stellen, ihre Zylinder auch fürderhin tragen, um im donnernden Applaus Kaninchen daraus hervorzuholen, ihn vor der Jury am Reitplatz huldvoll zu ziehen, auf Dachfirsten mit ihm balancieren oder voller Pietät vor einem Verstorbenen vornehm behütet seinen Sarg zu tragen, dann können wir Brüder dieses edle Kleidungsstück wohl auch zukünftig guten Gewissens auf unsere Häupter setzen.
Der „Demokratenhut“ verkörpert die Winkelwaage
Weshalb wollen wir ihn eigentlich immer weniger tragen, wozu die ewig wiederkehrende Diskussion über ihn? Weil er nicht mehr zeitgemäß ist? Diesen Anspruch hegt unser freimaurerisches Dasein ohnehin aus vielen guten Gründen nicht. An welcher Stelle wollen wir bislang sonst noch modern erscheinen? Oder sind wir seiner stolzen Front überdrüssig, weil es heute kaum noch einen Eklat verursacht, ihn zu tragen. Weil ihm kaum noch Botschaft innewohnt, ist er uns langweilig geworden? Oder erscheint es zu anstrengend, ihn aufzusetzen, ein Ritual von Sekunden nur? Natürlich ist er im Sommer anstrengend warm, doch das sind unsere schwarzen Anzüge und unsere Handschuhe nicht minder und über deren Abschaffung diskutieren wir nie. Würdig Haltung zu zeigen ist selten ohne Anstrengung zu erlangen, Tradition zu pflegen nicht ohne Einsatz zu haben. In unserer Großloge ist offiziell noch immer erwünscht, den hohen Hut zu tragen, in der Großen Landesloge der Freimaurer von Deutschland ist er sogar festgeschrieben, ein Abweichen vom Tragegebot unerwünscht. Der hohe Hut ist nämlich kein elitäres, sondern ein egalitäres Symbol, er gleicht Standesunterschiede an, erfüllt optisch, was wir innerlich anstreben: das Ansehen der Person ins Zentrum zu stellen, nicht ihre Stellung in der profanen Gesellschaft. Gleiche Ebene, gleicher Hut, die stoffliche Verkörperung unserer uns heiligen Winkelwaage. In England nennt man den Zylinder bis heute noch immer den „Demokratenhut“. Wir erheben uns und unsere Arbeit im Tempel mit dieser feinen, feierlichen, freimaurerischen Kopfbedeckung.
Wozu in unseren Fahrzeugen nach immer mehr Zylindern gieren, wenn ein einziger uns auf dem Kopf solche Kopfschmerzen bereitet?
Lasst uns gut behütet bleiben!
Interpretiert Ihr diese Zeichnung als ein Plädoyer für den hohen Hut, so versteht Ihr sie ganz recht. Bitte lasst ihn uns niemals aufgeben, liebe würdige Brüder, dieses schöne Stück Handwerkskunst verleiht uns und jedem Ritual etwas Würdiges. Hand aufs Herz, gibt es viel Erhabeneres, als dem großen Baumeister aller Welten zu danken, indem wir unsere Zylinder lupfen und uns kurz verneigen? Ich liebe diesen Moment, er ist nobel, verfügt über Klasse, Stil und Niveau, macht aus Männern Herren, und aus Herren Freimaurer. Und wenn wir mit weiß behandschuhten Händen unsere Hüte wieder aufsetzen, ist es eine Geste britischer Gentlemen, sind wir einen Augenblick eine Versammlung von Landlords, nicht adlig durch Geburt, jedoch durch unser Streben und unsere Gesinnung. Ehren wir die vielen Brüder vor uns durch Noblesse und mahnen die neuen Brüder, dass wir standhaft über schnelllebigen Moden thronen. Und wenn der neue Bruder seinen hohen Hut empfängt, nehmen wir ihn dergestalt nach alter Sitte in unsere Obhut auf.
Lasst uns bitte gut behütet bleiben, leben wir unsere Tradition auch in Zukunft weiter.
Schurz, Handschuh, hoher Hut sind der bekleidungstechnische Dreiklang des Freimaurers. Vor wem sollte man in Respekt seinen Hut ziehen, wenn man keinen mehr auf dem Kopf hat?
Sapere aude, wage es, weise zu sein. Oder in leichter Abwandlung Immanuel Kants: „Habe Hut, Dich Deiner eigenen Krempe zu bedienen!“

Dieser Beitrag stammt aus dem Heft 4-2020 der HUMANITÄT, dem deutschen Freimaurer-Magazin. Das Heft kann bei der Kanzlei abonniert werden.