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Klare Regeln

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Gelesen von Arne Heger

Foto: © spaxlax / Adobe Stock

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Soweit Bruder Carlos Urban in der vergangenen Ausgabe der Humanität in seiner Glosse „infantile Aufsässigkeit“ rügt, Brüder würden „mit Absicht und Vorsatz“ „Regeln der Loge und der Großloge überschreiten“, so bleibt er nicht nur den Beleg hierfür schuldig, er verrät uns auch nicht, welche Art von Regelüberschreitungen er dabei im Blick gehabt haben will. Allzu viel Fantasie wird man freilich nicht aufwenden müssen, um sich auszumalen, worauf sein Brüder-Bashing abzielt. Schließlich hat unsere Großloge – eingedenk ihrer Führsorgepflicht – die ihr angehörenden Logen und deren Brüder im aktuellen Logenrundbrief ermahnt, dass der Besuch von rituellen Arbeiten anderer Logen als auch der Besuch von Brüdern anderer Logen bei unseren Tempelarbeiten nur dann zulässig sei, sofern die Großlogen der betreffenden Logen seitens der Vereinigten Großlogen von Deutschland anerkannt sind. Zuwiderhandlungen könnten wiederum die Anerkennung unserer eigenen Großloge gefährden und könnten daher mit einem Ausschlussverfahren geahndet werden.

„Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“

Nun ist das Thema ja beileibe nicht neu. Vielmehr gehört die Ballade von den vermeintlichen „Schmuddelkindern“, mit denen man tunlichst nicht spielen sollte, im übertragenen Sinne schon lange zum festen Repertoire und inzwischen offenbar zu den unsterblichen Evergreens unseres „freimaurerischen Liedschatzes“. Auch die von den Besuchsverboten erfassten „üblichen Verdächtigen“ sind de facto über Jahrzehnte hinweg dieselben geblieben. Praktische Relevanz besitzt die – wertfrei verstanden – diskriminierende Praxis nach wie vor in erster Linie für die überwiegende Mehrheit der – in Folge des Häresie-Vorwurfs aus dem 19. Jahrhundert (Stichworte: „Weißes Buch“ sowie Verzicht auf die verpflichtende Bezugnahme auf den „Großen Baumeister aller Welten“) – seitens der Vereinigten Großloge von England und zahlreichen anderen Großlogen, darunter auch den VGLvD, nicht anerkannten französischen Logen und selbstredend – zumindest bis vor kurzem – für sämtliche „gemischte Logen“, gleich welcher Obödienz.
Bemerkenswert erscheint insofern allerdings, dass die VGLvD bislang offenbar nicht erwogen haben, der Vereinigten Großloge von England die Anerkennung zu entziehen, obgleich es sich bei dieser in Folge ihrer „Gender Reassignment Policy“ seit 2018 unzweifelhaft um eine gemischtgeschlechtliche Großloge handelt. – Dass der Anteil der weiblichen Brüder aufgrund der äußerst restriktiven Mitgliedschaftsvoraussetzungen (die betroffenen Brüder müssen bei ihrer Aufnahme noch männlichen Geschlechts gewesen sein) bis auf Weiteres sehr überschaubar bleiben dürfte, tut bei dieser „kategorialen“ Entscheidung nichts zur Sache. Insofern wird sich auch unsere Großloge demnächst mit der Frage auseinanderzusetzen haben, welche Empfehlung sie ihren Mitgliedslogen für den Fall geben möchte, dass morgen „Brother Jane“ als reguläres Mitglied einer der Vereinigten Großloge von England angehörenden Loge (Zitat: „A Freemason who after initiation ceases to be a man does not cease to be a Freemason.“), Einlass begehrend an die Pforte eines unserer Tempel klopft. Und mit Blick in die Zukunft gerichtet, drängt sich natürlich die Frage auf, ob man geborenen Mitgliedern des weiblichen Geschlechts auf Dauer die Aufnahme in den Bund wird verwehren können, nachdem man gekorene Mitglieder des weiblichen Geschlechts nunmehr unter bestimmten Voraussetzungen in den eigenen Reihen akzeptiert?

Das Gesetz nur…

Aber zurück zum Revival unseres „Evergreens“. Interessant erscheint mir am erneuten Hinweis auf die in Frage stehenden Besuchsverbote insbesondere, dass unsere Großloge diese nunmehr mit einem relativ jungen Beschluss des Senats der VGLvD vom 25. November 2017, der allerdings erst in 2020 Eingang in das Jahrbuch der VGLvD gefunden hat, rechtlich zu untermauern versucht. Soweit unsere Großloge ihre fürsorgliche Erinnerung dabei mit dem hehren Satz abschließt: „Das Gesetz nur kann uns Freiheit geben“, so will ich ihr nicht widersprechen, sondern möchte sie vielmehr beim Wort nehmen:

Zur rechtlichen Würdigung ist zunächst positiv hervorzuheben, dass sich unsere Großloge mit Blick auf das Thema Besuchsverbote überhaupt bemüht hat, eine konkrete Verbotsnorm zu benennen. Allerdings ist bereits nicht ohne Weiteres ersichtlich, wie innerhalb der VGLvD eine satzungsrechtliche Verankerung von Beschlüssen ihrer Organe erfolgt, mithin welches rechtliche Gewicht dem benannten Senatsbeschluss aus Sicht der VGLvD überhaupt zukommt. Weiterhin ist zu klären, ob es sich bei der Satzung des nicht eingetragenen Vereins Vereinigte Großlogen von Deutschland – Bruderschaft der Freimaurer, der sog. „Magna Charta“, aus Sicht der Mitgliedslogen der in den VGLvD zusammengeschlossenen Großlogen um eine „Fremdsatzung“ handelt und ob der Senat oder andere Organe der VGLvD (vgl. insbesondere auch den Beschluss des Obersten Gerichts der VGLvD zum Verbot der Mitgliedschaft in „gemischten Logen“ vom 24. Februar 1991) anordnen können, dass ihre Beschlüsse, für die einzelnen Johannislogen und die diesen angehörenden Brüdern Freimaurer auch dann gelten, „wenn Gesetze, Verordnungen oder grundsätzliche Anordnungen der Mitgliedsgroßlogen oder Mitgliedslogen keine spezielle Regelung dazu enthalten“.

Dies wäre – mit Blick auf die einzelne Johannisloge – ohne Weiteres allenfalls dann der Fall, wenn die den Großlogen angehörenden Johannislogen gleichzeitig auch Mitglieder der VGLvD wären (vgl. Reichert/Wagner, VereinsR, 14. Aufl., Kap. 2, Rz. 442), wobei sich die Bindungswirkung auch dann immer noch nicht auf den einzelnen Bruder Freimaurer erstrecken würde. Trotz bestimmter Teilhabe- und Mitwirkungsrechte der Johannislogen im Konvent der VGLvD (etwa hinsichtlich der Wahl des Großmeisters und seines Stellvertreters), besteht eine unmittelbare Mitgliedschaft in den VGLvD ausweislich Artikels 5 Absatz 1 der Magna Charta jedoch zunächst nur im Hinblick auf die fünf Großlogen und sechs Einzellogen, die den VGLvD direkt unterstellt sind. Demgegenüber ist die Rechtsbeziehung der einzelnen Johannislogen, die den VGLvD gemäß Artikel 5 Absatz 2 der Magna Charta „angehören“, stets eine über die Mitgliedsgroßlogen – unter deren Jurisdiktion sie weiterhin ausdrücklich stehen – vermittelte. Ob diese Art der mittelbaren Zugehörigkeit für eine unmittelbare Bindungswirkung von Organbeschlüssen der VGLvD hinreichend sein kann, erscheint deshalb in hohem Maße zweifelhaft. Umgekehrt, wären die Johannislogen selber Mitglieder der VGLvD, dann wäre der oben zitierte Passus zur Etablierung einer Durchgriffswirkung schlicht unnötig, denn dass Gremienentscheidungen eines Vereins für dessen Mitglieder unmittelbare Wirkung entfalten, ist selbstverständlich und bedürfte keiner gesonderten Erwähnung.

Gelten die Regeln der VGLvD für die einzelnen Logen?

Wenn aber zwischen den Johannislogen und den VGLvD keine mitgliedschaftliche Rechtsbeziehung besteht, dann gelten Beschlüsse der Organe der VGLvD per se nicht für die Johannislogen und schon gar nicht für einzelne Brüder Freimaurer – und können insofern auch nicht Grundlage disziplinarrechtlicher Maßnahmen sein. Denn nach aktueller höchstrichterlicher Rechtsprechung gilt: „Regeln eines übergeordneten Verbands gelten grundsätzlich nur für dessen Mitglieder. Sie erstrecken sich nicht allein aufgrund der Mitgliedschaft eines nachgeordneten Vereins in dem übergeordneten Verband auf die Mitglieder des nachgeordneten Vereins“ (BGH, Urteil vom 20. September 2016, II ZR 25/15, Rz 41).

Alternativ könnte eine Bindungswirkung von in der Satzung oder in Nebenordnungen verankerten Organbeschlüssen der VGLvD für die Johannislogen allerdings dadurch herbeigeführt werden, dass einerseits Satzungs- oder Ordnungsbestandteile der VGLvD auf die Mitgliedslogen der ihr angehörenden Großlogen verweisen und die Großlogen wiederum in ihren Satzungen und Ordnungen explizit Regelungen der VGLvD übernehmen, die für ihre Mitgliedslogen gelten sollen (sog. „satzungsmäßige Doppelverankerung“, vgl. Reichert/Wagner, a.a.O.). Dies ist jedoch, soweit ersichtlich, für die als „Verfassung“ bezeichnete Satzung der Großloge der Alten Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland nicht verwirklicht (vgl. hierzu insbesondere Artikel 6 Absatz 2 der Verfassung der Großloge A.F.u.A.M.v.D., der als „Rechtsgrundlagen“ sogar die „Alten Pflichten“ von 1723 bemüht, sich zur Magna Charta oder gar zu einzelnen Beschlüssen des Senats der VGLvD jedoch ausschweigt).

Lediglich in der „Verfahrensordnung für die freimaurerische Rechtspflege“ wird in § 1 Absatz 2 generalklauselartig bestimmt, dass Ehrenräte und Ehrengericht in Ausübung der freimaurerischen Rechtspflege auch „Bestimmungen der Vereinigten Großlogen von Deutschland (VGLvD)“ anwenden. Derartige „dynamische“ Verweise auf sich im Zeitverlauf ändernde Fremdsatzungen und -ordnungen werden im Allgemeinen und insbesondere im Bereich der vereinsrechtlichen Disziplinargewalt jedoch als unzulässig angesehen. Denn es kann einem Vereinsmitglied nach aktueller höchstrichterlicher Rechtsprechung „nicht angesonnen werden, nicht nur die Satzung seines Vereins zur Kenntnis zu nehmen, sondern sich auch noch die Satzung des übergeordneten Verbands – möglicherweise auch einer dritten Ebene – zu beschaffen und zu lesen“ (BGH, a.a.O., Rz 42, vgl. a. Reichert/Wagner, a.a.O.).

Brauchtum vs. Vereinsautonomie

Nur die zugegeben redaktionell aufwendige Lösung der satzungsmäßigen Doppelverankerung liefert daher die erforderliche Transparenz und trägt damit dem Grundsatz der Vereinsautonomie hinreichend Rechnung. Mit der Vereinsautonomie unvereinbar wäre es indes, wenn ein Verein sich de facto ohne hinreichende Verankerung in der eigenen Satzung der Satzungs- und Ordnungsgewalt eines anderen Vereins unterwerfen würde. Sofern Logen rechtlich als selbstständige Vereine organisiert sind, kann auch in der Freimaurerei hinsichtlich der formalen Anforderungen an die Übernahme von Fremdsatzungen und -ordnungen insofern nichts anderes gelten wie für jeden anderen Verein auch – unabhängig davon, wie dick man bei der auch hier unvermeidlichen Berufung auf „Ordnung und Brauchtum“ auch immer auftragen möchte.

Mit einer satzungsmäßigen Doppelverankerung zwischen den Regelwerken von VGLvD und A.F.u.A.M.v.D. (das Prinzip gilt in gleicher Weise natürlich auch für die Rechtsbeziehungen zwischen den VGLvD und den übrigen vier Großlogen) würde sich die Bindungswirkung eines Senatsbeschlusses indes immer noch nicht auf den einzelnen Bruder Freimaurer erstrecken, der weiterhin alleine dem Satzungsrecht der Loge unterstellt ist, der er unmittelbar angehört. Nur mit einer zweifachen satzungsmäßigen Doppelverankerung, welche die Anerkennung der durch die Großloge übernommenen Fremdsatzung bzw. -ordnung auch für das Rechtsverhältnis zwischen Großloge und Einzelloge noch einmal spiegelbildlich durchdekliniert und damit eine ununterbrochene Kette von Verweisbeziehungen gewährleisten würde, wäre eine Bindungswirkung bis auf die Ebene des einzelnen Bruders zu erreichen. Und wie zuvor bereits betont, die beschriebenen Anforderungen gelten, soweit auf Logen das Vereinsrecht anzuwenden ist (was nach heutiger, praktisch einhelliger Rechtsauffassung, auch bei nicht eingetragenen Vereinen regelmäßig der Fall ist), zwingend auch für die Freimaurerei.
Und nur am Rande: Die von einzelnen Brüdern zuweilen vertretene, an die theologische „Zwei-Reiche-Lehre“ erinnernde These, es gäbe gleichsam zwei Ordnungsrahmen, einen vereinsrechtlichen und einen, die „inneren Angelegenheiten der Freimaurerei“ betreffenden, in dem insofern „profane“ Gesetze und Vorschriften keine Geltung beanspruchen könnten, ist weder belegt, noch wäre sie rechtlich haltbar.

Grenzen der Kompetenzzuweisung

Die fortbestehenden erheblichen formalrechtlichen Zweifel am Vorliegen der für eine Durchgriffswirkung von Organbeschlüssen und Satzungsrecht der VGLvD auf die einzelnen Johannislogen oder gar auf die diesen angehörenden Brüder Freimaurer erforderlichen Voraussetzungen ließen sich allerdings – entsprechende Mehrheitsbeschlüsse auf den verschiedenen Ebenen vorausgesetzt – mit den oben bereits aufgezeigten Mitteln vermutlich für die Zukunft grundsätzlich ausräumen.

Eine ganz andere Frage ist jedoch, ob die betroffenen Großlogen überhaupt gewillt wären, den VGLvD eine unmittelbare oder mittelbare Jurisdiktion über „ihre“ Johannislogen zuzugestehen. Zumindest aus historischer Perspektive wird man dies wohl Verneinen dürfen. Denn nicht zu Unrecht weist der ehemalige zugeordnete Großmeister, langjährige Vorsitzende der Freimaurerischen Forschungsgesellschaft (Forschungsloge) „Quatuor Coronati“ und seit 2007 Redner unserer Großloge, Bruder Hans-Hermann Höhmann, darauf hin, dass es sich bei den VGLvD in Folge der Durchsetzung starker „Autonomievorstellungen“ einzelner Gründungsmitglieder lediglich um „einen in seinen Zuständigkeiten und Funktionen begrenzten Großlogenbund“ handelt (Höhmann, Freimaurerei – Analysen, Überlegungen, Perspektiven, Edition Temmen, Bremen 2011, S. 99).

Materiellrechtlich ist insofern auch Folgendes zu bedenken: Soweit sich der Senat der VGLvD, wie im Fall der angeführten Besuchsverbote, mit konkreten Ge- oder Verboten unmittelbar an Mitgliedslogen der in den VGLvD zusammengeschlossenen Großlogen und darüber hinaus sogar an die diesen angehörenden einzelnen Brüder Freimaurer richtet, so kann nicht in Zweifel gezogen werden, dass die Inanspruchnahme eines solchen Weisungsrechts tief in die inneren Ordnungen der Mitgliedsgroßlogen der VGLvD eingreift. Damit aber überschreiten die VGLvD die ihnen durch die Magna Charta zugewiesene – aber ebenso begrenzte – Kompetenz. Denn Artikel 10 der Magna Charta legt unmissverständlich fest: „Dem Senat und dem Konvent ist es nicht gestattet, in Dingen der Lehrart, des Rituals, der inneren Ordnung einer der Mitgliedsgroßlogen irgendeine Entscheidung zu treffen.“ Neben erheblichen formalrechtlichen Zweifeln am Bestehen einer Durchgriffswirkung ermangelt es dem als Verbotsnorm bemühten Senatsbeschluss für dessen Wirksamkeit daher an einer hinreichenden satzungsrechtlichen Ermächtigung innerhalb der VGLvD, deren satzungsgemäßer Zweck – und auch hieran lohnt es sich zuweilen zu erinnern – gemäß Artikel 3 der Magna Charta, neben der „Förderung brüderliche(r) Zusammenarbeit sowie der Forschung in den Bereichen der freimaurerischen Geschichte und des Brauchtums“ auf die „souveräne Vertretung der Freimaurer in Deutschland gegenüber den Organisationen der Freimaurer im Ausland sowie gegenüber der Öffentlichkeit“ beschränkt bleibt.

Insofern hat Bruder Carlos Urban mit den monierten „Regelüberschreitungen“, wenn auch vermutlich anders als er sich dies vorgestellt hat, nicht ganz Unrecht. Denn es wäre in der Tat recht sehr zu wünschen, dass sich zunächst unsere Großloge und zuvorderst die VGLvD an die selbst gesetzten Regeln als auch an die für alle gleichermaßen geltenden vereinsrechtlichen Vorgaben hielten, was eben auch beinhaltet, die sich hieraus ergebenden Grenzen der eigenen Machtvollkommenheit zu respektieren. Alles andere ist und bleibt „ultra vires“, mithin eine Entscheidung, welche die rechtlich zugewiesene Kompetenz des Entscheidungsträgers überschreitet. – Ein Thema, das unsere Großloge aktuell bekanntlich auch noch in einem anderen Sachzusammenhang beschäftigt.

Dieser Beitrag stammt aus dem Heft 5-2020 der HUMANITÄT, dem deutschen Freimaurer-Magazin. Das Heft kann bei der Kanzlei abonniert werden.