
Friedrich Rückert, Dichter, Übersetzer, Sprachwissenschaftler und Orientalist: In zahlreichen freimaurerischen Schriften wird auf seine Zugehörigkeit zum Bruderbund hingewiesen und er gilt als einer der wichtigsten Zeugen für dessen humanistische Ausrichtung.
Geboren wurde Rückert am 16. Mai 1788 im fränkischen Schweinfurt. Er besuchte dort das Gymnasium, studierte Rechtswissenschaften und klassische Philologie in Würzburg und Heidelberg und promovierte an der Universität Jena. Als Professor für Orientalistik lehrte er unter anderem in Erlangen und Berlin. 1848 zog sich Friedrich Rückert auf sein Landgut in Neuses bei Coburg in Franken zurück, wo er am 31. Januar 1866 verstarb, im Alter von 77 Jahren.
„… das große Gebäude der Menschheit zu erbauen.“
Verschiedene Reisen führten Rückert immer wieder in die Stadt Hildburghausen in Südthüringen, wo ein Teil seiner weitläufigen Verwandtschaft zu Hause war. Dort hatte er auch Zugang und Verbindung zur herzoglichen Familie von Sachsen-Hildburghausen. Im Jahre 1810 machte er hier einmal mehr Station auf einer Durchreise auf dem Wege nach Göttingen, um sich die dortige Universität anzusehen. Bei dieser Gelegenheit wurde der 21-Jährige am 3. Mai in die Freimaurerloge „Karl zum Rautenkranz“ aufgenommen. Sein Onkel, Johann Heinrich Rückert, war deren 2. Aufseher, wahrscheinlich hat dieser für den jungen Dichter bei der Aufnahme gebürgt. Auch ein zweiter Onkel, Johann Christian Rückert, war Mitglied der Loge und deren zugeordneter Sekretär.
Friedrich Rückert wurde von den nachfolgenden Brüdern überaus verehrt. Am 100. Jahrestag seiner Initiation, also 1910, stellte ihm die Loge eine Büste auf, darunter lag das Autograph mit den Antworten auf die drei Fragen, die ihm in der Dunklen Kammer gestellt worden waren:
„Ich erwarte von der Gesellschaft eine alle civilisierten Staaten umfassende Gemeinschaft der Edlen und Guten, um mit vereinter Kraft die Menschheit ihrer Vollendung entgegen zu führen, das große Gebäude der Menschheit zu erbauen.“
Auch der bekannte Stuttgarter Schriftsteller und Rückertforscher Conrad Beyer fühlte sich 1878 veranlasst, der Hildburghäuser Loge beizutreten. Der Schwiegersohn des Dichters konnte so dem von ihm enthusiastisch gefeierten Vorbild noch näher sein.
„… daß er allenfalls selbst seine Briefe in Sonetten schreiben könnte“
Rückerts dichterisches Werk ist durchaus ambivalent zu sehen – in seiner Thematik, seiner Struktur und Erscheinungsform, aber auch in seiner Qualität. Der Spätromantiker gilt als einer der letzten Klassiker. Seine Landschaftsbeschreibungen sind dem romantisierenden Zeitgeist zuzuordnen. Über seine Reimbesessenheit schreibt ein Dichterkollege, Rückert habe „soviel Gewandtheit, daß er allenfalls selbst seine Briefe in Sonetten schreiben könnte“.
Seine Liebeslyrik hat Friedrich Engels einmal mit der von Heinrich Heine verglichen. Noch mehr schätzte der Philosoph aber Rückerts spätere politische Werke. Hier sind vor allem die „Geharnischten Sonette“ von 1813/14 hervorzuheben, mit denen Rückert begann, sich erstmals über die Grenzen Frankens hinaus einen Namen als Dichter zu erwerben. Mit ihnen richtete er sich gegen die Napoleonische Fremdherrschaft und ergriff Partei für eine Einigung des deutschen Vaterlandes. Seine „Deutschen Gedichte“ erschienen 1814 unter dem Pseudonym Freimund Raimar. Leidenschaftlichen Anteil nimmt er an den revolutionären Ereignissen des Vormärz 1848.
Interesse am Orient durch die Freimaurerei verstärkt
Kurz nach seiner Aufnahme in die Hildburghäuser Loge wird Rückert 1811 Privatdozent an der Universität Jena im Fach orientalische und griechische Mythologie. Der aus Hildburghausen stammende Literaturwissenschaftler und Freimaurerforscher Gerhard Steiner (1905 — 1995) schrieb dazu in einem Aufsatz über Rückerts Freimaurerei:
„Es ist wahrscheinlich, dass das Interesse des empfindsamen Poeten am Orient … von der Freimaurerei verstärkt wurde. Über dem Orient, aus dem alles Licht kommt, leuchtet in den Maurertempeln sehr oft eine strahlende Sonne. In ihm leitet der Meister vom Stuhl die Loge, vom Orient aus empfängt der Suchende das ‚maurerische Licht‘ … Es ist nicht anzunehmen, dass diese eindringliche, durch mythologische Gebräuche, Symbole und Riten untermauerte freimaurerische Grundlage der Bauarbeit nicht Rückert berührt haben sollte … Auch Rückerts orientalische Werke erfüllen die wesentlichen Bedingungen des Freimaurerbundes, vor allem die, alle Menschen, gleich welcher Religion, Nation und welchen Standes, als Brüder anzusehen und zu behandeln, ihr Denken, ihre Philosophie wie ihre Gefühle ernst zu nehmen.“
Den Orient und seine Bewohner mit ihrer fremden Religion, ihrer Kultur und ihren künstlerischen Schöpfungen ernst zu nehmen, war etwas völlig Exotisches in der Zeit des Biedermeier. Friedrich Rückert hat ihn wiederentdeckt und ihm mit seinen genialen Übersetzungen, wie etwa des Korans, und eigenen Werken einen gebührenden Platz zugewiesen, ihn für das Abendland neu erschlossen. „Die Weisheit des Brahmanen“ gilt als sein sprachwissenschaftliches Hauptwerk.
Rückert besaß eine große Sprachbegabung. Dazu existiert eine Anekdote: Einmal kam im Juli ein Missionar zu Rückert mit der Bitte, ihn Talmulisch zu lehren. Rückert sagte es ihm zu – aber erst für das Wintersemester: Er musste bis dahin die Sprache selbst erst erlernen. In seiner Dissertation erklärte er, jede Sprache sei für ihn nur ein einzelner Zweig am Baum des weltumfassenden menschlichen Geistes. Nur alle Sprachen zusammen bilden diesen Baum.
„Mach deinem Meister Ehre, o Geselle, baue recht!“
Die Coburger Loge „Ernst für Wahrheit, Freundschaft und Recht“ bat zu ihrer Gründung am 14. Juni 1816 den Dichter um ein festliches maurerisches Gedicht aus seiner Feder. Und so sind in Rückerts Werk die zahlreichen Anspielungen auf maurerische Symbole und Werte unübersehbar, etwa in seinen „Zahmen Xenien“:
„Willst du, dass wir mit hinein In das Haus dich bauen
Lass es dir gefallen, Stein, Dass wir dich behauen.“
Eine seiner frühen Ghaselen behandelt das Verhältnis des Maurergesellen zum Meister und zur Arbeit:
„Zum Anfang.
Mach deinem Meister Ehre, o Geselle, baue recht!
Wie das Maß er hat genommen, nimm die Kelle, baue recht!
Nicht um deine Mitgesellen sorge, wie sie mögen baun;
dafür lass den Meister sorgen, deine Stelle baue recht!
Frage nicht, was mühsam heute deine Hand gefügt,
wie bald wohl ein Sturm der Zeiten wieder es zerschelle, baue recht!
Lass nicht deinen Unmut fragen, welch‘ Bewohners Ungeschmack
künftig die von dir gebaute Wand entstelle, baue recht!“
Rückert schreibt in einem Gedicht über „Den Bau der Welt“:
„Wie, wenn der Sturm zerbricht ein Schiff.
Man greift nach einzlen Scheitern,
So sah ich, wie hier jeder griff
Nach Baugerüst und Leitern;
Ein jeder nahm das nächste Stück,
Das andre ließen sie zurück,
Und wie vom Sturm zerschnoben
Sie auseinanderstoben.
Der eine trug ein Winkelmaß,
Der andre einen Hammer,
Und was der dritt‘ als Schatz besaß,
War irgendeine Klammer,
Und irgendein zerbrochner Schaft,
Und was in Eil‘ er aufgerafft;
So trugen sie die Pfänder
Zerstreut in alle Länder.“
Auch muss das Logenleben und die Gemeinschaft der Brüder in ihm einen sehr emotionalen Eindruck hinterlassen haben:
„Ach, wie lieblich ist‘s hernieden, wenn Brüder, treu gesinnt,
in Eintracht und in Frieden, vereint zusammen sind.“
Über die direkte freimaurerische Symbolik hinaus sind in Rückerts lyrischem Werk überall Grundsätze des Bruderbundes enthalten, etwa die Suche nach Wahrheit und Licht. Er fasst die Menschheit als eine Einheit auf. Verschiedene Kulturen, einzelne Völker, entgegengesetzte Weltbilder und Religionen sind für ihn lediglich verschiedene Ausdrucksformen desselben göttlichen Prinzips. Überall unabdingbar für eine sinnvolle Gestaltung menschlichen Zusammenlebens sind: Humanität, Freiheit, Pflichterfüllung und Religiosität. Wie diese Religiosität beschaffen ist und wie ein Mensch zu seinem Gott betet und er sich diesen vorstellt, ist dabei ohne Belang.
„Mein lieber Freund und Kupferstecher“
Rückert hält vielfältige Verbindungen zu den Geistesgrößen seiner Zeit. Und nicht zufällig sind darunter immer wieder Freimaurer zu finden, wie etwa Lorenz Oken (1779–1851), Professor für Naturgeschichte und Naturphilosophie an der Universität Jena, an der auch Rückert habilitierte. Oken war Mitglied der Weimarer Loge „Amalia zu den drei Rosen“ und später erster Rektor der Universität Zürich.
Auch der Dichter und Schriftsteller Jean Paul, bekannt geworden durch den Roman „Der Titan“, befindet sich unter seinen Bekanntschaften. In einem Brief vom 29. Juni 1811 teilt Rückert diesem in einem Postskriptum mit: „Und so huldige ich denn von den 3 ewigen Säulen eben derselben mittleren, die Sie umfassen, obgleich ich meine, dass die letzte uns fürs erst mehr Noth wäre.“ Ein Irrtum: Jean Paul war trotz seiner Nähe zu Freimaurern in Bayreuth und Hof und seines Romans „Die unsichtbare Loge“ kein Bruder, so dass er die Anspielungen Rückerts auf die drei Säulen „Weisheit, Stärke, Schönheit“ wahrscheinlich nicht verstehen konnte. Die Beziehung des Dichters zu dem Hildburghäuser Stahl- und Kupferstecher Carl Barth ist sogar sprichwörtlich geworden: Mit den Worten „Mein lieber Freund und Kupferstecher!“ soll Rückert seinen Intimus in einem Brief angeredet haben. Barth war einer der wichtigsten Mitarbeiter des Bibliographischen Instituts von Carl Joseph Meyer, fertigte auch ein Bildnis seines Freundes Rückert für das Konversationslexikon von 1851 an und half dadurch, dessen Bekanntheit und Popularität zu steigern. In dem Nachschlagewerk wird Rückert als „einer der ausgezeichnetsten deutschen Dichter der Gegenwart“ beschrieben.

Dieser Beitrag stammt aus dem Heft 1-2020 der HUMANITÄT, dem deutschen Freimaurer-Magazin. Das Heft kann bei der Kanzlei abonniert werden.