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Im November werden sogenannte Trauerlogen gehalten. Das sind dem Anlass entsprechend abgewandelte rituelle Zusammenkünfte, bei denen der verstorbenen Brüder gedacht wird.
Gespräche über Tod und Sterben sind für viele auch im engsten Familienkreis ein Tabuthema. Gerne werden Themen wie Testament, Betreuungsverfügung und Vorsorgevollmacht in Ehen oder Familien verdrängt. Niemand mag solche brisanten Dinge ansprechen.
Umso erstaunlicher war es, dass ich mit der Ehefrau eines Bruders auf unserem Logenausflug im September auf das Thema Tod zu sprechen kam. Ich sagte ihr, wie wichtig es ist, dass wir sterben müssen. Da fragte sie, ob ich Bestatter sei. Nein, das bin ich nicht. Über meine Antworten bei diesem Gespräch kam ich zu meinem heutigen Thema: Auf sehr vielen Beerdigungen höre ich aus dem Psalm 90 „Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden“. Und diesen Satz halte ich es für Wert, ihn zu diesem Anlass in Erinnerung zu rufen.
Jedes Lebewesen fürchtet sich instinktiv vor dem Tod. Diese Abwehr ist tief in uns verwurzelt. Das ist sinnvoll, denn sie macht uns sorgsam im Umgang mit dem Leben. Die Angst vor dem Tod hat eine biologische Funktion. Sie stärkt unseren Lebenswillen. Die Furcht vor dem Tod blenden wir immer wieder aus, solange wir mitten im Leben stehen und es uns gut geht. So wie es ist, denken wir, kann es immer bleiben. Aber der Tod ist biologisch in uns verwurzelt und nicht etwa eine Fehlfunktion. Denn stellt euch vor, ihr würdet ewig leben. Wäre das wirklich erstrebenswert?
Wäre unser Leben unbegrenzt, so wäre es nur eine endlose Wiederholung, eine Dauerschleife. Wir könnten einen schönen Zustand endlos in die Länge ziehen oder immer wieder neu herbeirufen, um ihn auf ewig zu erhalten. Doch irgendwann wird auch das leckerste Essen fade. Kein Augenblick und keine Entscheidung hätte Bedeutung; was heute nicht ist, wäre morgen oder übermorgen oder überübermorgen oder irgendwann. Wir könnten Entscheidungen immer wieder auf morgen verschieben und würden sie vielleicht nie fällen.
Aber Leben heißt auch Veränderung. Es gibt Jahre im Leben, die plätschern so dahin. Im Rückblick jedoch erinnern wir uns mehr an die Zeiten, die ereignisreich waren: erste Liebe, Hochzeit, Geburten, Krankheiten, Todesfälle, wegweisende Entscheidungen und, und, und. Also immer an Phasen im Leben, in denen etwas geschah, in denen wir etwas erlebt haben. Würden wir ewig leben, wären diese besonderen Herausforderungen und Ereignisse nicht zwangsläufig zahlreicher. Wir würden sie lediglich gewissermaßen in einem Schneckentempo erleben, oder wie ein Stein im Wasser, der sich im Laufe der Jahrhunderte nur sehr langsam verändert.
Der Tod füllt unser Leben mit Sinn, denn ohne seine Lebensgrenze verlöre alles in unserem Leben seine Farbe, seinen Geschmack, seine besondere Bedeutung. Die Endlichkeit unseres Lebens verleiht ihm Einmaligkeit. Jeder unwiederbringliche Moment hat einen besonderen Wert. In die Unendlichkeit verlängert würde unser biologisches Leben dagegen ‘tödlich’ langweilig. Alles hat darum seine Zeit – seine angemessene Zeitspanne.
Leben beschreibt eine Qualität und ist an der Zeitdauer, der Länge nicht angemessen zu messen. Es ist nicht entscheidend, wie lange wir leben, ob 60, 70, 80 oder 90 Jahre. Wichtig ist, dass wir unser Leben mit Leben füllen. Diese Erfahrung machen viele Menschen, gerade, wenn sie an die Grenze des Lebens kommen. So beschreiben Menschen, die sich aufgrund einer schweren Erkrankung der Endlichkeit ihres Lebens stellen mussten, dass sie daraufhin viel intensiver gelebt und einen Blick für das Wesentliche entdeckt haben. Sie leben viel bewusster, versuchen sich noch alle unerfüllten Wünsche zu erfüllen und versäumte Beziehungen zu ihren Mitmenschen in Ordnung zu bringen.
Geboren werden und sterben – Leben und Tod gehören zusammen. Der Blick auf die Grenze des Lebens schärft unsere Wahrnehmung für die Lebensmitte. Mit dem Gedanken an den Tod können wir unserer Zeit bewusst mehr Bedeutung geben. Wir dürfen unsere Zeit nicht einfach verplempern, sondern müssen sie nutzen. Wenn die Zeit da ist, etwas zu machen, was uns wichtig ist, müssen wir es auch tun. Vielfach hört man den Satz „Wenn ich erst einmal in Rente bin, dann mache ich …“. Das ist falsch. Jetzt ist die Zeit, jetzt muss man anpacken, was man sich vornimmt. Man weiß nie, ob sich jemals noch die Möglichkeit, Fähigkeit oder Kraft dazu ergibt.
Jeder von uns hat viele Anlässe im Laufe der Zeit, die uns Gelegenheit geben, uns mit der Begrenztheit des Lebens auseinanderzusetzen. Da sind vor allem Begegnungen mit anderen Menschen zu nennen, die schwere Krankheiten erleben, mit alten Menschen, mit Trauernden. Solche Erlebnisse können sehr intensiv sein. Manche dieser Menschen werden für uns zu Lehrenden. Sie zeigen uns, wie lebensbejahend es sein kann, dem Tod zu begegnen. Sie lehren uns, den Blick auf die wesentlichen Dinge des Lebens zu richten.
Und das bedeutet eben nicht nur, Geld, Macht und Wohlstand anzuhäufen. Im Angesicht des Todes lässt sich leichter unterscheiden, was wirklich kostbar ist: die Menschen, das Erlebte, Freude und Trauer, Höhen und Tiefen. Man muss loslassen lernen, nicht nur materielle Werte, sondern auch Dinge, die uns belasten. Man muss wahrnehmen, was jetzt ist, mit der Vergangenheit müssen wir abschließen, sie ruhen lassen.
Als Freimaurermeister lernen wir, den Tod als Teil von uns anzunehmen und das Leben davor bewusster zu leben. Wir werden mehrfach ermahnt „Denk an den Tod“. Insofern sind wir auf einem guten Weg, aber wir müssen beständig daran arbeiten.
Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.”
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