Sind wir alle geblitzdingst?
Gelesen von Hasso Henke
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Natürlich sind es die „angelsächsischen Imperialisten und ihre jüdischen Finanziers“, die aus der kryptofaschistischen Sicht Elsässers in den Tempeln der Freimaurer die Weltherrschaft planen. Sicherlich ist dieses Denkschema ein Überbleibsel aus seiner Zeit als radikaler Linker. An der politisch-publizistischen Biografie Elsässers ist sehr gut nachzuvollziehen, zu welchen intellektuellen Salti die antidemokratische Elite der Querfront-Vordenker in der Lage ist.
Einen Absatz weiter bemüht Elsässer ganz offen rechtsradikales Gedankengut, indem er das Narrativ der „Dolchstoßlegende“ auf den Freimaurer und Reichsbankpräsidenten unter Hitler, Hjalmar Schacht, anwendet: „Der Freimaurer Hjalmar Schacht agierte im britischen Auftrag, um das Dritte Reich zu finanzieren und in den Krieg gegen die Sowjetunion zu stoßen. Seine Bundesbrüder Winston Churchill und Harry S. Truman machten dann den Sack zu – in Dresden und Hiroshima starben Hunderttausende.“
Die meisten der Beiträge im Heft stammen von dem ehemaligen Journalisten Guido Grandt. Natürlich finden sich über die 80 Seiten des Heftes verteilt alle negativen Stereotype und Ressentiments wieder: die Errichtung der NWO, die angeblichen Freimaurersymbole auf der Dollarnote, die vermeintliche Nähe zu Okkultisten wie Aleister Crowley, die von Freimaurern initiierten blutigen Revolutionen und natürlich dürfen „Propaganda Due“ und die Mitgliedschaft des Massenmörders Breivik in einer Freimaurerloge nicht fehlen.
Fleißiger Freimaurer-Gegner
Guido Grandt ist auch der Verfasser des „Schwarzbuchs Freimaurerei“. 2007 ist es in erster Auflage im für seine verschwörungstheoretischen Machwerke bekannten Kopp-Verlag erschienen und Anfang 2019 in einer neuen, überarbeiteten Auflage. Der Untertitel „Geheimpolitik, Staatsterror, Politskandale“ verrät sofort, wohin die Reise geht und der Klappentext verspricht: „Das Schwarzbuch beleuchtet sachlich und fundiert die Schattenseiten und die Geheimpolitik der Freimaurerei! Ebenso werden von ihr Skandale, Verschwörungen, Politaffären und kriminelle Logenbrüder verschwiegen. Damit ist nun Schluss!“
Und gerade eben hat Guido Grandt noch einmal nachgelegt mit einem Taschenbuch: „Mordkomplott Sarajewo 1914 – Die Jahrhundertvertuschung: Freimaurer und der Ausbruch des Ersten Weltkrieges“. Natürlich war bisher nichts von alldem, was der Autor nun nachgewiesen hat, in den „offiziellen Geschichtsbüchern“ – was auch immer das sein mag – zu lesen. Denn es wurde ja vertuscht. Von wem? Der aufmerksame Bruder Freimaurer ahnt es sofort. Einen Freimaurer-Krimi mit dem Titel „Brudermahl“ hat Guido Grandt auch geschrieben, erschienen im August 2019. Fehlenden Fleiß kann man dem Freimaurer-Gegner zumindest nicht nachsagen.
Gefährliches aus der Mottenkiste
Ist es nur so ein Gefühl, eine ganz persönliche Wahrnehmung, dass in den vergangenen Jahren antimasonische Literatur einen neuen Aufschwung erfährt? Sicher nicht.
Beschäftigt man sich mit dem Thema Verschwörungserzählungen, erkennt man die jahrhundertealten Muster antisemitischen und antimasonischen Ursprungs. Und in Zeiten, in denen Verschwörungstheorien einen nicht unerheblichen Teil des gesellschaftlichen Diskurses – vor allem in den sozialen Medien – ausmachen, wird auf Altbekanntes gerne zurückgegriffen. Spätestens seit der sogenannten „Flüchtlingskrise“ des Jahres 2015 und nun der Coronakrise geht die Fantasie mit vielen durch. Dass Menschen an die Adrenochrome-Verschwörung glauben, erscheint so überaus absurd, dass man eigentlich gar keinen Gedanken daran verschwenden möchte, stünde dahinter nicht ein allzu bekanntes gefährliches Narrativ. Nämlich das vom „kinderfressenden Juden“, der heute gar nicht unbedingt mehr Jude sein muss. So wie etwa Microsoft-Gründer Bill Gates, dem von offenkundig verwirrten Paranoikern genau diese unappetitliche Sache vorgeworfen wird. Um die Weltherrschaft zu erlangen — bzw. nach heutiger Lesart die „Neue Weltordnung“ (NWO) zu errichten — ist dem Multimilliardär jedes Mittel recht: Gemeinsam mit seinen Schergen (unter ihnen selbstverständlich auch die Bundeskanzlerin) chipt und impft er die Weltbevölkerung so lange, bis nur noch eine auserwählte Elite übrigbleibt. Noch Fragen?
Wem das alles zu abseitig erscheint, der mag sich die entsprechenden sozialen Kanäle der Multiplikatoren dieser Verschwörungsideologien ansehen und er wird bemerken: Hunderttausende folgen ihnen bereits. Ob aus reinem Unterhaltungsinteresse oder weil sie wirklich bei der Sache sind, lässt sich nicht sagen, aber häufig sprechen die Kommentare der Anhänger ihre eigene Sprache.
Als ich mir — wie oben erwähnt — vornahm, die aktuelle antimasonische Literatur unter die Lupe zu nehmen, geschah das auch, weil ich auf ein sehr seltsames Buch stieß. Es trägt den Titel „Mein Vater war ein MIB 2“. Autor ist ein gewisser „Jason Mason“. Wer darüber lachen kann, hat den methodischen Wahnsinn, der dahintersteckt, nicht begriffen. „MIB“ ist eine Anspielung auf die Science-Fiction-Filmreihe „Men in Black“, in der auf unterhaltsame Weise die Geschichte erzählt wird, dass viele verschiedene außerirdische Spezies unerkannt auf der Erde leben. Eine Sonderabteilung des Geheimdienstes, also jene „Men in Black“, sorgen für Ruhe und Ordnung und kümmern sich darum, dass Menschen, die der Sache auf die Schliche kommen, ihr Gedächtnis verlieren. Sie werden „geblitzdingst“, wie es im Film heißt. Und übertragen auf unser eigentliches Thema: Nach Meinung der Verschwörungstheoretiker sind alle anderen – die noch bei halbwegs wachem Verstand und bei Trost sind – eben die „Geblitzdingsten“, die die Wahrheit nicht kennen und offensichtlich einer Gehirnwäsche zum Opfer gefallen sind. Und nur wenige Auserwählte sind berufen zu erkennen, was hinter allem steckt. Dabei ist es vollkommen egal, ob sie nun im Hauptberuf als Köche, Sänger oder Fitnesstrainer arbeiten.
Das Ding mit dem Blitz
Zurück zu den „Men in Black“: Warum interessierte mich das Buch von Jason Mason? Ganz einfach: Der sperrige Untertitel dieser 580 Seiten dicken Schwarte lautet: „Freimaurer erschufen die Evolutionstheorie, um die größten Geheimnisse der Welt zu verbergen!“ Ich dachte, ich nehme mir dieses Buch vor und zerpflücke es in einer gemütlichen Stunde bei einem Gläschen Rotwein, schreibe eine passende Glosse und mache mich über den geballten Unsinn darin lustig.
Ehrlich gesagt: Ich bin über die ersten zehn Seiten nicht hinausgekommen und habe dann nur noch verzweifelt umhergeblättert auf der Suche nach einem Fünkchen Verstand. Machen wir den Test mit der (ich versichere) zufällig aufgeschlagenen Seite 433. Dort erfährt der erstaunte Leser: „Die Zivilisation der ersten Hyperboreer soll heute immer noch in der hohlen Erde existieren und die deutsche Absetzbewegung hat während des Zweiten Weltkrieges über den Südpol und durch Tunnel in Brasilien einen Zugang zu ihrem Reich erlangt. Die Flugscheiben der Hyperboreer sollen die Fähigkeit besitzen, die Phasen zu ändern und so durch festes Felsgestein fliegen zu können.“
Wenn Sie noch nie etwas von „Hyperboreern“ gehört haben, die sich in Reichsflugscheiben durch Südamerika graben, sind Sie eben bereits sorgfältig „geblitzdingst“ worden. Zusammengefasst geht es im Buch darum, dass mächtige Organisationen (also Freimaurer) eine wissenschaftliche Diktatur errichtet haben, in der jegliche abweichende Meinung unterdrückt oder bekämpft wird.
Religiöse Prophezeiungen und mysteriöser Quantenquark
Viel interessanter als dieser gerührte Quark ist allerdings die Identität des Autors. Das Buch ist im Verlag von Jan Udo Holey erschienen, der ansonsten unter dem Pseudonym Jan van Helsing schreibt und als Verschwörungsfantast und Antisemit bekannt ist. Der Verfassungsschutz, der die Aktivitäten des 1967 in Dinkelsbühl geborenen Wirrkopfs seit mittlerweile 25 Jahren verfolgt, bezeichnete ihn als „rechtsextremen Esoteriker“. Holey ist sich sicher, dass es eine weltweite Verschwörung der Illuminaten gibt, zu denen er auch Freimaurer und Juden zählt. Seine zwei Bücher mit dem Titel „Geheimgesellschaften und ihre Macht im 20. Jahrhundert“ wurden 1996 wegen Volksverhetzung indiziert und beschlagnahmt. Er ist auch der eigentliche Autor der „MIB“-Bücher. Selbst wenn man diese als Science Fiction liest, also dem Autor so viel Intelligenz unterstellt, dass er nicht selbst an das glaubt, was er da verzapft, bleiben immer noch seine rechtsextremistischen, antisemitischen, antifreimaurerischen und sonstigen verfassungsfeindlichen Aussagen, die mit großer Sicherheit genau so gemeint sind, wie sie geschrieben stehen.
Während der Arbeit an diesem Text stelle ich entsetzt fest: „Jason Mason“ hat seit dem letzten Herbst schon eine Fortsetzung auf dem Markt: „Mein Vater war ein MIB 3“. Diesmal hat er die „Illuminati“ beim Wickel. Es dreht sich laut Verlagstext — wie könnte es anders sein — um eine große Meta-Verschwörung, bei der sich antike Mysterien mit Quantenphysik und rätselhaften religiösen Prophezeiungen verbinden. Jedenfalls, wenn ich es richtig verstanden habe.
Und ebenfalls gerade erschienen ist der zunächst hübsch klingende Buchtitel „Mein Weg als Freimaurer“ von Serge Abad-Gallardo. Wäre da nicht der Untertitel „Ich diente Luzifer, ohne es zu wissen“, könnte man meinen, das Buch sei wunderbar für Suchende geeignet. Es reiht sich ein in die lange Liste der sogenannten „Verräterschriften“. Der Autor, ein französischer Architekt, war 1989 in eine Loge des „Le Droit Humain“ aufgenommen worden, einer gemischtgeschlechtlichen und damit aus unserer Sicht irregulären Obödienz, die 1893 in Paris gegründet wurde.
Seinem Buch zufolge beziehen sich zahlreiche Freimaurersymbole auf Luzifer. Den Brüdern werde eine Lossagung von Gott eingeimpft. Deshalb trennte er sich von der Freimaurerei, weil er für sich den Glauben an Christus fand. Ein bisschen erinnert dieser traurige Werdegang eines — wovon auch immer — enttäuschten Bruders an das Buch „Ich war Freimaurer“ des ehemaligen Großredners Burkhardt Gorissen. Dieser hatte vor elf Jahren seine Karriere vom Freimaurer zum traditionalistischen Katholiken geschildert und dabei kapitelweise und ermüdend seine Überforderung bei der Organisation eines Großlogentages beschrieben. In einer treffenden Rezension schrieb Rudi Rabe-Nagiller seinerzeit: „Wer an Weltverschwörungsphantasien interessiert ist, der wird durch dieses Buch nicht auf seine Rechnung kommen.“
Ohne es gelesen zu haben: Serge Abad-Gallardos Buch scheint da wohl etwas mehr zu bieten, glaubt man dem Verlagstext, denn danach behauptet der Autor, die Freimaurerei ziele darauf ab, die Gesellschaften weltweit zu transformieren. Im Grunde also nichts Neues, und ich zögere deshalb noch mit der Bestellung.
Es ist sowieso schon ein mehr als mühsamer Streifzug durch die Abgründe der freimaurerfeindlichen Literatur der vergangenen Jahre. Und es steht zu erwarten, dass noch einiges folgen wird. Die gesellschaftliche Stimmung scheint aufnahmefähig für schräge, aber simple Welterklärungen, bei denen vor allem ein Schuldiger für das eigene Unvermögen gesucht wird.
Auch Freimaurer glauben Unsinn
Selbst wir Freimaurer sind davor nicht gefeit, wie mancher Leserbrief an die Redaktion der „Humanität“ beweist. Da wird in Reichsbürgermanier die Souveränität Deutschlands in Zweifel gezogen und gelegentlich werden sogar antisemitische Klischees bedient. Oder was soll man davon halten, wenn ein angesehener Bruder Altstuhlmeister aus Süddeutschland allen Ernstes schreibt: „Haben wir eigentlich nach der Besetzung durch die USA 1945 und der nachfolgenden und anhaltenden Umerziehung völlig jegliches Rückgrat verloren und lassen uns wie Lemminge herumtreiben?“ Und so geht es zusammenhanglos hübsch immer weiter: „Und Antisemitismus ist keine deutsche Erfindung oder Erscheinung. In allen wichtigen Staaten ist dieses Phänomen zu finden, nur wir machen darum einen solchen Aufstand. Je mehr von jüdischen Organisationen in Deutschland diese Melodie gespielt wird, umso mehr Menschen regen sich 75 Jahre nach Kriegsende darüber auf.“ Belassen wir es bei diesem ekelhaften Beispiel, denn falls diese Zeitschrift einem Suchenden in die Hände fällt, könnte er vielleicht ein falsches Bild von der Freimaurerei bekommen.
„Antisemitisches, rassistisches, völkisches und rechtspopulistisches Denken ist inzwischen in erschreckend breitem Maße nicht nur in der deutschen Gesellschaft angekommen, sondern mittlerweile leider auch in der deutschen Freimaurerei deutlich wahrnehmbar“, schreibt der Soziologe und Redner der Großloge, Br. Hans-Hermann Höhmann, in einer Antwort auf die „Unvereinbarkeitserklärung“ der VGLvD bezüglich des vom Verfassungsschutz im Februar 2020 als Prüffall eingestuften Prepper-Vereins „Uniter“.
Verschwörungsideologien gebären Extremismus
Doch warum vergessen wir das nicht einfach und konzentrieren uns auf wichtigere Dinge als Verschwörungstheorien, denen möglicherweise nur eine Minderheit der Bevölkerung tatsächlich anhängt? Die allseits gestellte Frage ist berechtigt. Doch dann erkennt man leider, dass die Verbreitung von Verschwörungsideologien nicht nur für eine Spaltung in der Gesellschaft sorgt, sondern auch den Humus bildet, auf dem extremistische Gewalt wächst. Die Täter von Hanau, Halle und Christchurch glaubten diesen Erzählungen und nahmen sie todernst. Sicherlich bedarf es noch weiterer persönlicher Dispositionen, um ein Attentäter zu werden. Dennoch schaffen solcherart Narrative ein gesellschaftliches Klima, das jederzeit in Hass gegenüber dem „Anderen“ münden kann.
Insofern sollten wir uns die Fragen stellen: Warum glauben Menschen an Verschwörungserzählungen? Fördern sie die Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft?
Wie gefährlich ist das alles für uns Freimaurer, für unsere Logenhäuser, unsere Familien? Ist es sinnvoll, dieser Stimmungsmache aktiv entgegenzutreten oder soll man lieber ganz im Verborgenen arbeiten, um sich nicht in Gefahr zu begeben? Was können wir Freimaurer dagegen tun? Schließlich sind wir Freimaurer so etwas wie Experten in dieser Angelegenheit, und es sollten gerade bei uns alle Warnlampen angehen. Immerhin gibt es als Bonmot die Frage eines Bruders im Internet, ob man eigentlich einen Verschwörungstheoretiker verklagen könne, wenn er die Freimaurer nicht erwähnt.

Dieser Beitrag stammt aus dem Heft 4-2020 der HUMANITÄT, dem deutschen Freimaurer-Magazin. Das Heft kann bei der Kanzlei abonniert werden.