Großloge der Alten Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland (AFuAMvD)

So weit denken, wie wir können und weiter, als wir wissen

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Foto: Okrasyuk / envato.com

Wer will, dass es der Welt und den Menschen besser geht, möge sich an Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) halten: „Niemand kann zum Besten der Menschheit beitragen, der nicht aus sich selbst macht, was aus ihm werden kann.“

Von Jens Oberheide

Aber was machen wir aus uns selbst und wie tun wir das? Der französische Philosoph André Comte-Sponville (*1952) rät zu folgendem: „So weit denken, wie wir können und weiter, als wir wissen. Zu welchem Zweck? Zu dem eines Lebens, das menschlicher ist, klarer, gelassener, vernünftiger, glücklicher, freier…“ Ist es nicht das, was wir wollen? Oder sind das nur schöne Utopien? Auch die freimaurerische Idee steckt zunächst voller Utopien. Dabei ist der elementare Vorsatz, etwas aus sich selbst zu machen, ein ganz pragmatischer. Jeder ist dazu aufgerufen. Auch der Vorsatz, den Anderen in seinem Anderssein anzunehmen, mit der Absicht, ihn besser zu verstehen, ist ganz grundsätzlich. Auch das kann jeder tun. Und genau besehen ist Freimaurerei auch nicht mehr und nicht weniger als dieses: Sinn suchen, Gutes wollen, das Beste tun und friedfertig miteinander umzugehen.

Es liegt an jedem Einzelnen, was er daraus macht und wie er das tut. Und es hängt natürlich von seinen individuellen Fähigkeiten und Möglichkeiten ab, ob er damit wirksam ist oder nicht. Vielleicht betrachtet er Ideale und Ziele dieser Art so, wie man Sterne betrachtet. Man sieht sie, man kann sich an ihnen orientieren, aber man erreicht sie nicht.

Lohnendes Ziel sind die gedanklichen Sterne allemal. Auch den Weg dahin kann das jeder ausprobieren, und jeder – der Pragmatiker wie der Schöngeist – wird unausweichlich die Erfahrung machen, dass dieses so schlichte Grundbedürfnis „Miteinander-leben-miteinander-auskommen-das beste daraus-machen“ das Schwierigste überhaupt ist, und dass alle Konflikte in der Welt, die kleinen wie die schrecklich großen, darauf zurückzuführen sind, dass dieses „Miteinander-leben-miteinander-auskommen“ eben nicht funktioniert. Dass es funktionieren könnte, ja sollte, ist die Projektion eines Ideals. Freimaurer projizieren ihre Ideale gern gegen die Weltwirklichkeit. Es hat zu tun mit diesem „so weit denken, wie wir können und weiter, als wir wissen.“ Aber was ist eigentlich die Alternative zu Idealen, die nur allzu oft im Alltag scheitern? Resignieren? Den Kopf in den Sand stecken, weil man ohnehin nichts tun kann? Die Sterne Sterne sein lassen, weil man sie ohnehin nicht erreicht? 

Lasst uns also gedanklich nach den Sternen greifen und nach den Übersetzungsmöglichkeiten in unseren Alltag fragen. Das sind sowohl schlichte, anfassbare Übersetzungen, als auch kühne Gedankenspiele um den Sinn des Seins. Jeder so, wie er möchte und vermag. Gemeinsam dürfen wir konstatieren: Ausgang aller Missverständnisse und Konflikte in der Welt sind immer noch Dummheit, Dogmatismus, Fanatismus, Intoleranz. Und wir begreifen: Wir brauchen einen ethischen Minimalkonsens. Und wir brauchen Werte und Empfindsamkeiten dafür.

Wir sind nicht frei von der Angst, das Böse könnte stärker sein, als ethische Wertevorstellungen. Leider müssen wir das immer wieder schmerzlich erfahren. Die Kräfteverhältnisse in der Welt sind ungleich verteilt, und gegen manch böse Erscheinungsform bleibt oft nur ohnmächtiges Entsetzen. Das darf uns nicht mutlos machen. Friedliches Miteinander muss eine Chance haben. Soziale Gerechtigkeit darf keine Floskel bleiben. Und jedem muss klar sein, dass alles Bemühen bei uns selbst anfängt, und dass alles, was wir nicht im Kleinen tun, auch im Großen keine Chance hat.

Auch bei den Freimaurern sind solche elementaren Grundsätze zunächst ganz im Kleinen gemeint. In unseren „Alten Pflichten“ von 1723 heißt es: „Freimaurer sollen gute und redliche Menschen sein, von Ehre und Anstand.“ Das, was sich für die Mitglieder daraus ergibt, ist geradezu ernüchternd schlicht. Denn Freimaurerei kann nicht die Welt verbessern, sie kann nur aus guten, redlichen Menschen bessere machen. Sie versucht es zumindest. Zu diesem Versuch gehört es, Werte zu pflegen wie Freundschaft, Harmonie, verständnisvolles Miteinander. Vielleicht nicht viel, aber wer das verwirklicht, und sei es nur im kleinen Kreis, der darf sich glücklich schätzen. Freimaurer versuchen, so etwas in ihren Logen zu praktizieren. Die Loge ist Lehr- und Übungszweck dafür, und der Freundschaftsbund auf Lebenszeit ist da so etwas wie eine ideal zu denkende Grundform.

Das Nachdenken über Werte führt zwangsläufig zu Idealvorstellungen, wie: Es müsse eigentlich ein Minimalkonsens gefunden werden, über alle Kulturen, Religionen und Nationen hinweg. Man sollte sich auf gemeinsame Werte verständigen können, es gelte ein gemeinsames ethisches Fundament zu finden, tragfähig für alle. Wie schön wäre es, könnte man zu einer Kultur der Gewaltlosigkeit, Friedfertigkeit, Brüderlichkeit und Ehrfurcht vor dem Leben übergehen. Idealvorstellungen, gewiss. Aber auch Bestandteil aller freiheitlichen Verfassungen der Welt. Ethisches und moralisches Grundgesetz für alle, sozusagen. Die vielfältigen Konflikte unserer unruhigen Welt werden also – genau besehen – ausgelöst durch Verfassungsverstöße. Beispielsweise gegen die UN-Charta der Menschenrechte, die 1948 auf der Grundlage der freimaurerischen Fanale Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit verfasst wurde: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren und sollten einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.“ Sie sollten! Sie tun es nicht. Auch Schillers „Ode an die Freude“ idealisiert: „Alle Menschen werden Brüder“. Das ist natürlich eine Fiktion. Aber wir sind aufgerufen, es immer wieder unentmutigt zu thematisieren.

Lessing nennt das „einen nötigen Geist, der Möglichkeiten dichtet.“ Das heißt. Es geht darum, eine Welt der Möglichkeiten wenigstens zu denken. Dabei kann es nur darum gehen, das Machbare des Denkbaren auch zu tun. Werte, Verhaltensnormen und Tugenden sind natürlich humanes Allgemeingut. Kluge Absender haben sie vorgedacht. Platon mit Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit, Maßhalten. Thomas von Aquin mit Glaube, Liebe, Hoffnung. Andere Wertevorstellungen haben sich als Ansprüche verbürgerlicht. Toleranz, Selbstdisziplin, Zivilcourage, Brüderlichkeit, um nur einige zu nennen.

Das sind Werte, die sich in abgewandelten Worten, Themen, Statuten, in Parteiprogrammen, Konfessionen und unterschiedlichen Ideologien wiederfinden. Weil sich jedoch jede Gruppierung programmatisch abgrenzt, gibt es vielfältig konkurrierende Denkmodelle. Freimaurerei ist hingegen offen für alle und ist überstaatlich, überkonfessionell, überparteilich. Was jemand wählt und was jemand glaubt, ist seine Privatangelegenheit, wenn er nur die andere Meinung und den anderen Glauben als gleichwertig anerkennt. Die große freimaurerische Herausforderung heißt: Toleranz. Die Wertegemeinschaft Freimaurerei unterscheidet sich von allen anderen auch dadurch, dass wir ein Symbolbund sind und Rituale pflegen. Diese besondere Form des Nachdenkens über uns selbst, über das Miteinander und die Welt führt zu Symbolzusammenhängen von Werten, Tugenden, ethischen Normen. Symbole des Idealen, die sehr hoch hängen. Freimaurerei ist ein immerwährender Prozess des Lernens und Überdenkens solcher Symbolik.

Beispielhaft sei das Symbol der Bleiwaage, der Winkelwaage oder Wasserwaage angesprochen, die den ebenen Baugrund markiert. Das ist für uns ein plastischer Ausdruck für die gleiche Ebene aller, auf der wir uns begegnen. Wenn man das auf die Welt, die Kulturen, die Machtverhältnisse überträgt, dann müssten beispielsweise alle Religionen, die Naturreligion wie jene mit allein selig machendem Anspruch, ebenso auf diese gleiche Ebene, wie alle Staatengebilde, die reichen und die armen, Industrienationen und Entwicklungsländer. Natürlich auch Mann und Frau, was in der Welt ja keineswegs gleichberechtigt geregelt ist.

Man sieht, dass so ein einfaches Symbol wie die Waage hochpolitisch sein kann. Und man beginnt zu verstehen, warum Freimaurerei von absoluten Mächten immer noch beargwöhnt oder gar verboten wird. Dabei gibt es kein politisches Manifest oder Parteiprogramm, nur eben solche Symbole, wie die Waage. Vereinfacht kann man Werkzeuge aus der Bausymbolik, wie die Waage, den Zirkel oder den rechten Winkel nehmen und sagen: Freimaurerei ist die Idee des sinnvollen Bauens und Gestaltens von Zeit und Raum. So wie unsere Vorväter in den mittelalterlichen Bauhütten konkret Räume gebaut und ausgestaltet haben, so wollen wir das im übertragenen Sinn tun. Die Zeit sinnvoll nutzen zur Selbstfindung und Selbsterziehung, zur Suche nach Lebensqualität und Sinn, zur Gestaltung von Lebensraum und Umwelt.

Die Spanne reicht von der Baukunst zu einer Kunst, recht zu leben. Wir wissen nicht immer, was das ist und wie das geht, aber Freimaurer sind Suchende auf diesem Weg zur Lebenskunst. Das hört sich an, wie Philosophie und ist im griechischen Wortsinn auch so gemeint: „philos“ und „sophia“, die „Liebe zur Weisheit“. Und die meint den Versuch, die Welt und die menschliche Existenz zu deuten, und wenn möglich, auch zu verstehen. Es geht darum, besser zu denken, um besser zu leben.

Freimaurer sind Menschen, die diesen Versuch unternehmen. Nicht im Sinne einer Wissenschaft, versteht sich. Das ist vielmehr ein permanenter Selbstversuch. Der ist durchaus alltagsfähig, wie wir immer wieder erfahren. Hilfestellung leistet dabei ein altehrwürdiges Ritual, das eine Art Balance von Geist und Gemüt bewirken will und uns hilft, die Zusammenhänge um uns herum besser, gelassener, ausgewogener zu sehen. Wir haben ja oft verlernt, in uns hineinzuhorchen und das, was wir mit dem Verstand begreifen, auch mit Herz und Seele zu ergänzen. Freimaurerisches Ritual bewirkt dieses mit einer Mischung auch Brauchtumspflege, Bausymbolik, sensibler Innensicht und ethischem Anspruch. Es erfasst uns ganzheitlich, mit Geist und Gemüt, Herz und Hand.

Wir wollen in den Logen durch gemeinsames Nachdenken Orientierungshilfen geben. Das heißt auch: Vorurteilsfreies Nachdenken über die Welt, im Zeichen von Werteverfall und Sinnkrise an Werte erinnern, eine Welt der Möglichkeiten denken und das Machbare des Denkbaren tun. Selbsterkenntnis, Menschlichkeit, Toleranz, friedliches Miteinander und Füreinander sind machbare Forderungen, die im Kleinen beginnen und sich im Großen fortsetzen lassen. Das bessere Miteinander für eine bessere Welt ist der wichtigste Lösungsansatz für die Probleme der Welt. Im Großen wie im Kleinen. Freimaurer sind altruistisch, philanthropisch, kosmopolitisch. Das umreißt einen Lebensstil. Einen Weg. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Wir konkurrieren nicht gegen andere Wege, und darum werben wir auch nicht für unseren. Aber manchmal gibt es auch einen Schulterschluss. Gutes wollen, das Beste tun will in diesem Sinne anstecken und anstiften, aber auch zuhören und Anteil nehmen. Mitstreiter sein in der Solidargemeinschaft Mensch und mit dieser verbunden sein – mit deren Sorgen und Nöten. Aber auch mit der Freude am Leben und den schönen Dingen um uns herum. Lasst uns alle darum bemüht bleiben.