
Freimaurer, Juden und Jesuiten haben sich gemeinsam verschworen gegen das national gesinnte Deutschtum. Die Freimaurer richten die Menschen ab zum künstlichen Juden.“ So sahen das Weltkriegsgeneral Erich Ludendorff und andere „völkisch Bewegte“ insbesondere in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts.
Freimaurerei wurde als Ausfluss einer volklosen Weltanschauung verunglimpft, wie etwa von Alfred Rosenberg in seiner Schrift „Freimaurerische Weltpolitik im Lichte der kritischen Forschung“. Nein, so weit sind wir noch nicht. Aber: Wenn ich „volklos“ mit „heimatlos“ gleichsetze, gäbe es da Widerspruch bei Pegida-Demonstrationen? Es gibt schon wieder die Aufkleber mit den rot durchgestrichenen freimaurerischen Symbolen. Ähnlich wie „Atomkraft, nein danke!“ bedeutet es dann „Freimaurer, nein danke!“ Wenn so etwas vor dem Logenhaus an Laternenmasten klebt, hat das schon etwas Bedrohliches.
Glaube an die Kraft der Vernunft
Frage: Würden Sie mit einer Mütze mit erkennbaren Freimaurersymbolen an einer Pegida-Demonstration teilnehmen? Genauso wenig, wie Sie als Jude mit Kippa dorthin gingen! Pegida steht als pars pro toto. Ich könnte auch Chemnitz sagen, oder Kandel, oder …? Ist das nicht schlimm? Wir leben im 21. Jahrhundert! Das sollte schon ein Grund sein, über die Rolle nachzudenken, die die Freimaurerei in unserer heutigen Gesellschaft spielt oder spielen sollte.
Wir – damit meine ich jedenfalls die blaue Freimaurerei in den Johannisgraden Lehrling, Geselle und Meister – leiten uns ab von den Gedanken der Aufklärung. Aufklärung war der Wunsch danach, dass menschliche Angelegenheiten von der Vernunft geleitet werden, anstatt durch Religion, Aberglauben oder Offenbarung. Aufklärung bedeutet Glaube an die Kraft der Vernunft, an ihre Fähigkeit, die Gesellschaft zu verändern und das Individuum von den Fesseln der Tradition oder der willkürlichen Autorität zu befreien. So definiert es Dorinda Outram in ihrem Buch „The Enlightenment“.
Unsere Grundideale Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Toleranz und Humanität kommen aus dieser Tradition. Es muss uns gelingen, diesen Wertekanon heute – und nicht in einer Rückschau auf zweifellos bedeutende freimaurerische Gepflogenheiten oder auch Persönlichkeiten – überzeugend zu leben. Nur so können wir den Beweis erbringen, dass wir auf dem richtigen Weg zum „Tempelbau der Humanität“ sind. Nur so können wir uns überzeugend in die heutige Gesellschaft einbringen, wie es auch Br. Peter Stumpe in seiner Rede „Für die Zukunft einer aufgeklärten, humanitären Freimaurerei“ formuliert, nachzulesen auf der Homepage der Großloge unter www.freimaurerei.de.
Hierzu gehört im Übrigen auch, dass wir auf Esoterik und Okkultismus oder auch mittelalterliche sakrale Magie verzichten. Damit ist natürlich nicht unsere freimaurerische Symbolsprache gemeint; sie hat mit Esoterik und Okkultismus nichts gemein. Esoterik und Okkultismus wollen über Unbekanntes und Verborgenes Aussagen treffen, die unbewiesen, unwissenschaftlich und irreführend sind. Bis zum Beweis des Gegenteils behaupte ich, dass solche Aussagen auch falsch sind. Solche Paraphänomene stehen in fundamentalem Widerspruch zur Methode der heutigen Wissenschaft. Sie haben in der emanzipierten Freimaurerei des 21. Jahrhunderts keinen Platz. Dem Philosophen und elsässischen Schriftsteller Otto Flake ist zuzustimmen, wenn er sagt: „Will man die Welt begrifflich bewältigen, so müssen die Begriffe der Wirklichkeit entnommen werden; das heißt, sie müssen dem Forschen, der kritischen Untersuchung standhalten.“
Wer mit den Wölfen heult, muss sich auch als Wolf behandeln lassen
Zurück zum Thema: Man könnte meinen, die Grundwerte unseres Bundes seien heute Allgemeingut. Kaum jemand wird sich als unmenschlich, intolerant oder freiheitsfeindlich bezeichnen. Die gelebte Realität sieht leider anders aus. Unsere Werte werden in einem erschreckenden Maß mit Füßen getreten. Betrachten wir die gesellschaftliche Entwicklung auch in anderen Ländern wie z. B. der Türkei, Ungarn, Polen, Brasilien oder auch den USA – die Liste ließe sich nahezu beliebig verlängern –, dann sehen wir Menschen an der Macht, die sich keiner unserer Tugenden verschrieben haben. Erschreckenderweise stellen wir jedoch auch fest, dass diese Menschen in vielen Fällen nicht durch Gewalt an die Macht gekommen sind. Sie wurden von Menschen gewählt, denen offensichtlich Werte wie Freiheit, Toleranz, Gleichheit, Brüderlichkeit und Humanität nicht wichtig sind. Nicht akzeptieren kann ich das Argument, man habe ja nicht die Intoleranz gewählt, sondern nur seinem Protest Ausdruck verleihen wollen. Wer mit den Wölfen heult, muss sich auch als Wolf behandeln lassen!
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung könnte der Eindruck entstehen, die Freimaurerei sei eine Art Antithese zur gesamtgesellschaftlichen Entwicklung. Ist sie ein Relikt der alten Zeiten einer im Prinzip bürgerlichen Gesellschaft, ein Anachronismus alter Männer? Die Frage tut weh! Es genügt jedoch nicht, große Reden von hehren Idealen zu schwingen oder sich nur über bedeutende Freimaurer in vergangenen Jahrhunderten auszulassen. Wir müssen da schon konkreter werden. Was können, sollen oder müssen wir tun?
Man kann nicht schweigend für etwas eintreten
Der Großredner unserer Großloge, Br. Wolfgang Kreis, hat anlässlich des Großlogentages 2016 in Darmstadt eine Zeichnung aufgelegt mit dem Titel „Müssen wir schweigen oder müssen wir handeln?“ Das genau ist die Frage, die uns alle heute umtreiben muss.
Beginnen wir mit der ersten Alternative: „Müssen wir schweigen?“ Das Wort „müssen“ suggeriert, es sei unsere freimaurerische Pflicht zu schweigen. Woraus sollte sich das ergeben? Nein, wir schauen nicht in die „Alten Pflichten“. Sie sind in diesen Fragen zu sehr von der damaligen innenpolitischen Situation in England geprägt. Schauen wir zunächst in die Verfassung unserer Großloge der Alten Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland. In Artikel 2 heißt es:
„In Achtung vor der Würde jedes Menschen treten sie (die Freimaurer) ein für die freie Entfaltung der Persönlichkeit und für Brüderlichkeit, Toleranz und Hilfsbereitschaft und Erziehung hierzu. Glaubens-, Gewissen- und Denkfreiheit sind den Freimaurern höchstes Gut. Freie Meinungsäußerung im Rahmen der Freimaurerischen Ordnung ist Voraussetzung freimaurerischer Arbeit.“
Bedeutet die Verpflichtung auf Gewissens- und Denkfreiheit auch, dass ich als Ergebnis der Denkfreiheit und möglicherweise als Ausdruck meiner Toleranz respektieren muss, wenn jemand die fundamentalen Werte unseres Bundes und damit auch der Verfassung unseres Staates ablehnt? Müssen wir dann aus Gründen der Toleranz schweigen? Das kann nicht sein. Artikel 2 der Verfassung führt aus, die Freimaurer treten ein u. a. für die freie Entfaltung der Persönlichkeit und für Toleranz. Ich kann nicht schweigend für etwas eintreten. Also muss ich in diesen Fällen reden oder handeln.
Ein Aufklärungsbund ist zutiefst politisch
Es wird unter Brüdern immer wieder behauptet, Fragen der Religion oder der Politik dürften in der Loge nicht behandelt werden. Die „Alten Pflichten“ würden dies verbieten. Diese allgemeine Interpretation ist nicht zutreffend. Die „Alten Pflichten“ Andersons führen in Abschnitt III aus: Wir Maurer „sind entschieden gegen politische Erörterungen, die noch nie zur Wohlfahrt der Loge gereicht haben und nie reichen werden“. Im englischen Original heißt es hier „politics“. Die Historikerin Margaret Jacob erläutert zum politischen Umfeld der Entstehung der „Alten Pflichten“ in England: „Wenn sie von ‚politics‘ spricht, so meint die freimaurerische Konstitution die Parteipolitik, das Wüten der Partei, wie es durch die Schaffung einer neuen politischen Nation entstand, als Ergebnis der Revolution von 1688/89. Politik war der Kampf um die Macht zwischen Whigs und Tories, zwischen Hof und Land.“
Die Aussage, Gespräche über Politik seien in der Loge verboten, ist schlichtweg falsch. Aus gutem Grund reden wir nicht über Parteipolitik. Aber ein Bund, der sich die freiheitlichen Ideale der Aufklärung auf die Fahnen geschrieben hat, ist zutiefst politisch, nicht parteipolitisch, aber eben gesellschaftspolitisch. Darüber wollen und müssen wir sprechen und Position beziehen. Auch die „Alten Pflichten“ verbieten nicht, über Politik zu reden. Wir dürfen uns nicht über Politik streiten; das ist etwas ganz anderes, so interpretierte es auch Br. Wolfgang Kreis auf dem Großlogentag in Darmstadt.
Ich werde immer wieder gefragt, ob die Aufforderung, klar Position zu beziehen, nicht im Widerspruch zum freimaurerischen Postulat nach Toleranz im Umgang miteinander stehe. Diese Frage lässt sich mit einem eindeutigen „Nein“ beantworten. Toleranz bedeutet nicht Beliebigkeit der eigenen Meinung. Es besteht immer noch ein deutlicher Unterschied zwischen Meinung und Unfug, wie Br. Thomas Bierling in seinem Zwischenruf unter dem Titel „Freimaurerei im postfaktischen Zeitalter“ in der „Humanität 6/2018“ schreibt. Man könnte auch formulieren: Es besteht ein Unterschied zwischen Meinung und Unwahrheit. Das kann nicht nur, das muss in der Loge deutlich angesprochen werden. Freimaurerei war immer ein Rahmen, in dem vieles möglich ist, so sieht es die Historikerin Monika Neugebauer-Wölk. Ein Rahmen ist immer zugleich auch eine Begrenzung. Wer sich außerhalb dieser Grenzen aufstellt, hat keinen Anspruch auf freimaurerische Toleranz.
Freimaurer müssen Wortführer des Aufschreis sein
Die Freimaurerei muss die Unverbindlichkeit und Verschwommenheit ihrer althergebrachten Wertvorstellungen überwinden und sich sowohl geistig als auch in ihrer gesellschaftlichen Aktivität als humanitäre, soziale, demokratisch-pluralistische und antiideologische Kraft profilieren. Diese Forderung stellte Br. Hans-Hermann Höhmann, der als wichtiger Vordenker der humanitären Freimaurerei gilt, bereits in den 70er Jahren und plädiert bis heute dafür.
Die Zeichnung des Großredners, Br. Wolfgang Kreis, hätte zutreffend als Titel haben können: „Dürfen wir schweigen oder müssen wir handeln?“ Auch das ist eine rhetorische Frage, natürlich müssen wir handeln! Wenn missbilligte Politiker „entsorgt“ werden sollen, ein entfesselter Mob zur Seenotrettung von Flüchtlingen „Absaufen“ grölt, bei menschengefährdender Brandstiftung Beifall geklatscht wird, bei Demonstrationen symbolische Galgen für andersdenkende Menschen oder Politiker mitgeführt werden, die Abschaffung bzw. das Verbot der angeblichen Lügenpresse gefordert wird und Journalisten bei ihrer Arbeit körperlich bedroht und behindert werden, für Flüchtlinge und Asylbewerber eine Eisenbahnfahrkarte (ohne Rückfahrt) nach Ausschwitz gefordert wird, dann ist der Freimaurer in besonderer Weise gefordert, Position zu beziehen. Die Freimaurer müssen zumindest Wortführer des Aufschreis sein, der durch unsere Gesellschaft hallt oder leider besser gesagt hallen sollte!
Was bedeutet das konkret? Durch den Tempel hallt der Ruf „Zu den Waffen, meine Brüder“? Oder sollen wir Barrikaden errichten? Natürlich wäre das Unfug. Niemand verlangt, dass ein Bruder sich oder seine Familie gefährdet. Aber einfaches Schweigen, das dann auch noch als Zustimmung missverstanden wird, kann es nicht sein. Mitgehen zur Demonstration nur als Zeichen des Protests (gegen was auch immer?) unter Distanzierung von etwaigen Auswüchsen? Man stand zwar dabei, hat aber nicht „Absaufen“ gegrölt und ist deshalb ein guter Freimaurer? So geht es auch nicht! Wir kennen den Spruch: „Mitgegangen, mitgefangen, mitgehangen“, juristisch nennt man das im Zweifel Mittäterschaft.
Innere Emigration war noch nie glaubwürdig. Wir müssen den Mund aufmachen und Position beziehen. Wir bedeutet nicht „die Großloge“ oder ein abstrakter Begriff wie „die Freimaurer“. Wir heißt ganz konkret „Du“ und „Ich“! Position beziehen vielleicht nicht in einer potenziell gewaltbereiten Demonstrationsumgebung, aber im privaten Umfeld und vor allem auch in der Loge.

Der Beitrag entstammt der Zeitschrift “HUMANITÄT — Das Deutsche Freimaurermagazin”, Ausgabe 2-2019.