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Umbrüche der Mediennutzung

und die neuen Regeln des öffentlichen Diskurses

…auch zum Hören als Podcastfolge

Dieser Beitrag wurde als Einführungsvortrag zur 63. Arbeitstagung der Forschungsloge Quatuor Coronati zum Thema „Freimaurerei und Medialität“ am 16.03.2024 konzipiert und im Jahrbuch der Forschungsloge Quatuor Coronati Nr. 62.2024 veröffentlicht.

von Br. Bastian Salier

1.      Einleitung

Als Journalist, Verleger, Redakteur und Druckereiunternehmer arbeite ich seit 30 Jahren in und für verschiedene Medien: aktuell für das Fernsehen, die ARD, ich verlege Bücher und redigiere eine gedruckte Zeitschrift. Alles traditionelle, althergebrachte Medien.

Man könnte mich also durchaus als einen unbelehrbaren Narren und eine tragische Figur der Geschichte bezeichnen. Weggefegt vom Zeitgeist, von medialen Gewohnheiten, die sich schneller wandeln, als wir es uns noch vor wenigen Jahren haben vorstellen können.

Ich wähle für meinen Vortrag sehr bewusst eine gewisse Zuspitzung und einen gewissen Alarmismus. Nicht nur um den Diskurs zu befeuern, sondern auch, um klarzumachen, dass wir Freimaurer in unseren Kommunikationsstrategien, sofern wir überhaupt welche haben – was ich in weiten Teilen bezweifle –, dringend handeln müssen. Noch ist es Zeit zu agieren, bevor wir nur noch reagieren können.

Sieht man sich die Mediennutzungsanalyse des Media Activity Guide für das Jahr 2023 an, könnte man sagen: Was will der Mann? Eigentlich ist alles wie immer: Nach wie vor ist das Fernsehen das Leitmedium. Die Nutzungsdauer liegt im Durchschnitt bei mehr als 3 Stunden pro Tag in der Altersgruppe von 14 bis 69 Jahren. Danach folgt das Radio mit etwa 77 Minuten täglicher Nutzungsdauer. Dann folgen schon die neuen Medien: Online-Aktivitäten bringen es auf gut eine Stunde. Computer-Spiele und die Nutzung von Social-Media-Kanälen schlagen mit ca. einer Dreiviertelstunde zu Buche. Der Wandel scheint sich also in Grenzen zu halten, so könnte man meinen, schaut man sich diese Durchschnittszahlen an.

Als Verlierer dieses medialen Rennens um die Aufmerksamkeit und Gunst des Publikums zeigen sich allenfalls die gedruckten Medien: Tageszeitungen vor allem, Wochenzeitungen, Magazine. Es gibt Ausnahmen, aber generell sind seit Anfang der 2000er Jahre die Auflagen rückläufig und das massiv. Bis zu einem Drittel der ursprünglichen Auflagen. Viele Titel verschwinden aus Kiosk oder Briefkasten. Der Print-Anzeigenmarkt ist deutlich zurückgegangen. Viele Titel werden nur noch digital angeboten. Aber das alles ist kein unbekanntes Phänomen, seit etwa 20 bis 25 Jahren gibt es diese rückläufige Entwicklung im Printbereich. Das ist vorhersehbar und die Zeitungsverlage haben, wenn sie clever waren, bereits darauf reagiert.

Doch diese Durchschnittszahlen der Mediennutzungsanalysen zeigen nur die halbe Wahrheit, denn wir sollten uns hier ansehen, was tatsächlich in den einzelnen Altersgruppen passiert.

Die sogenannten Millennials und die Generation Z, also die beiden Generationen der nach 1990 Geborenen, zeigen ein vollkommen anderes Nutzungsverhalten.

Facebook, die Social-Media-Plattform der Boomer-Generation, also sprich der „alten weißen Männer“, spuckt jeden Tag neue Memes und Lachsmileys aus, wenn es um die sogenannte GenZ geht, die Generation Z, die als arbeitsfaul und selbstgerecht gebrandmarkt wird. Wer ist diese GenZ? Sie umfasst zunächst Menschen, die von 1997 bis 2012 geboren wurden. Also Personen zwischen dem 12. und 27. Lebensjahr. Und etwa ein Drittel dieser jungen Leute nimmt Informationen zum Zeitgeschehen – und damit auch den sich daraus entwickelnden Wertekanon – nur passiv und fast ausschließlich über TikTok auf.

TikTok – eine chinesische Social-Media-Plattform, die sich, parallel zur Videoplattform Youtube, anschickt, Facebook und Instagram als Leitmedien des Social-
Media-Treibens abzulösen. Fernsehen, Zeitungen, Zeitschriften spielen für diese Generationen tatsächlich so gut wie keine Rolle mehr. Beklagte man immerhin vor 30, 40 Jahren, dass die Jugend zu viel fernsieht, wäre man vielleicht heute froh darüber: Die heute 14-Jährigen schauen nämlich überhaupt kein lineares Fernsehen mehr.

2.         Freimaurerei als Avantgarde

Freimaurerei war vor 300 Jahren, als sie erfunden wurde – jedenfalls so, wie wir sie heute kennen – Avantgarde. Heute ist sie vielfach nur noch der Verwalter ihrer eigenen heroischen Geschichte. Ich erlebe das auch als Redakteur der Zeitschrift „Humanität“ und als Verleger von freimaurerischer Literatur. Neue Ansätze werden vielfach ignoriert. (Anm. d. Red.: Br. Bastian Salier war Redakteur der Zeitschrift „humanität“ bis zum 31.12.2024)

Ich gebe immer gerne folgendes Beispiel: Die Loge „Minerva zu den drei Palmen“ in Leipzig zum Beispiel wurde 1741 ausschließlich von jungen Menschen im Alter von Anfang bis Ende 20 gegründet. Die meisten waren Studenten. Die alten Herren, Honoratioren der Stadt, kamen erst später hinzu und machten aus der Loge im Laufe der Zeit teilweise eine höchst konservative Veranstaltung. Das ist das, was wir heute erleben: Viele Logen sind in ihrer Ausrichtung traditionalistisch, althergebracht, konservativ bis ins Mark, unflexibel, festgefahren.

Anfang 20, das ist ein Alter, zu dem heute viele Logenvorstände sagen: Das ist uns zu jung, den nehmen wir nicht auf, der hat keine Lebenserfahrung, wir beginnen erst ab 25 oder 30 mit der Aufnahme. Dann kann der Kandidat sich gerne noch einmal melden.

Ich zitiere in diesem Zusammenhang gerne den amerikanischen Philosophen Harry Frankfurt: „Bullshit“. Wieso braucht man für die Aufnahme in die Freimaurerei Lebenserfahrung? Es gibt 20-jährige und es gibt 80-jährige, die man aufgrund ihrer charakterlichen Disposition vielleicht in einer Loge nicht gerne haben will. Also wo ist das Problem? Freimaurerei macht sich nicht am Alter fest, sondern vor allem daran, ob man bereit ist, in ihr fruchtbringend für sich und andere mitzuwirken. Es geht im Übrigen auch bei allem, was ich hier anführe, nicht darum, „Opas alte Freimaurerei“ abzuschaffen, wie mir ein Altgroßmeister einmal verbittert schilderte. Ganz und gar nicht. Die wesentlichen Elemente von Freimaurerei als einer Assoziation von Menschen, die sich leibhaftig treffen, sind hiervon gar nicht berührt: Verschwiegenheit im Sinne von Vertrauen, das Pflegen von Ritualen, Geselligkeit, das Laut denken mit einem Freunde, auch das esoterische/spirituelle Element sind fundamentale freimaurerische Gepflogenheiten, die in den Logen weiterhin betrieben werden sollen.

3.         Social Media und das Logenhaus

Wenn wir über Social Media oder andere neue Medien-Aktivitäten der Freimaurerei, der Logen, der Großlogen reden, geht es nicht darum, dass die Logen nur noch virtuell interagieren, dass Videochats das persönliche Treffen im Logenhaus ersetzen. Nein, ich bin im Übrigen der Meinung, dass Freimaurerei genau dadurch, dass sie das absolute Gegenteil darstellt, attraktiv wird: Heute erleben wir eine Auflösung des privaten Bereichs, weil sich alle entäußern, ihr Mittagessen posten und im medialen Bereich nichts unbeobachtet bleibt. Wir erleben das Ende des Zeitalters des Privaten, das mit der bürgerlichen Revolution überhaupt erst begonnen hat. Riesige Datensammelmaschinen werten global die Gewohnheiten von uns allen aus und wir füttern diese Maschinen pausenlos und nur zu gerne und hoffen auf Fortschritt.

Die große Chance der Freimaurerei ist es, genau hierzu einen Gegenpol anzubieten: Verschwiegenheit und Vertrauen – gegen Geschwätzigkeit und das Anschwärzen des Nächsten, weil er sich politisch unkorrekt verhält. Loge und Freimaurerei als Rückzugsort. Ich glaube, das könnte wieder ein Erfolgsmodell sein. Aber das verkauft sich – und hier spreche ich schon bewusst im unternehmerischen Sinne – nicht von allein.

Was sich aus meiner Sicht ändern sollte, ist die Schnittstelle zu dem, was wir gerne „profan“ nennen. Denn wenn wir die Aufforderung „Geht hinaus in die Welt und bewährt euch als Freimaurer“ ernst nehmen, dann heißt das doch – jedenfalls verstehe ich das so – die Werte Toleranz, Humanität, Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit werde ich als Bruder oder Schwester so in mein profanes Umfeld tragen, dass die Welt dadurch möglichst eine bessere wird. Das kann ich aber nur, wenn ich hierfür zur Außenwelt Anknüpfungspunkte habe.

Es gibt – für meine Begriffe – auch eine freimaurerische Mission. Und die kann nur funktionieren, wenn wir Strategien haben, die auf diese Mission einzahlen und die kompatibel sind mit denen, die ich missionieren will: In erster Linie die eigenen Brüder und Schwestern natürlich, die aber auch in ihrer persönlichen Beziehung zur Welt da draußen gesehen und abgeholt werden müssen. Und dann natürlich potenzielle Brüder und Schwestern, also freie Männer und Frauen und gerne auch Transgender-Personen von gutem Ruf, von denen ich glaube, dass sie die Freimaurerei besser machen und dass sie in der Lage sind, sich selbst mit den Werkzeugen, die Freimaurerei bietet, besser zu machen.

Unsere deutschen Großlogen weigern sich nach wie vor hartnäckig, in den sozialen Medien tätig zu werden. Ich habe das immer für falsch gehalten und tue das nach wie vor.

Was ist das Argument gegen freimaurerische Social-Media-Präsenz? Ich habe bisher noch kein stichhaltiges gehört. Man kann darüber diskutieren und sagen: Wir kriegen das mit Bordmitteln nicht in den Griff. Social Media bedeutet natürlich nicht nur, eine Visitenkarte abzugeben, sondern eben auch sozial zu interagieren, also Diskussionen in den Threads zuzulassen, zeitnah zu antworten, zu reagieren, häufig zu posten. Das können wir nicht leisten, heißt es dann. Das stimmt aus meiner Sicht nur bedingt. Es gibt auch hierfür inzwischen Strategien und Tools, die es erlauben, damit klug umzugehen.

Problematisch an der Abwesenheit in den sozialen Medien ist aus meiner Sicht, dass man Anderen – das heißt im Zweifel den Übelgesinnten oder den Glücksrittern – die Deutungshoheit überlässt. Und wenn sich tatsächlich einmal jemand, der ernsthaft Interesse hat, zu Facebook verirrt, findet er neben engagierten, aber teilweise problematischen Privatinitiativen von Brüdern allenfalls die Gegenseite: Verleumdung, Hetze, Verschwörungsgeschwurbel, Lachsmileys und antisemtisch-antimasonische Memes.

Die sozialen Medien gibt es gerade einmal einen Wimpernschlag lang in der Geschichte. Facebook, eine der älteren Plattformen der sozialen Medien ist vor ziemlich genau 20 Jahren online gegangen. Was kommt jetzt? Konzerne wie Meta und Google sind dabei, KI-gesteuerte Avatare einzusetzen. Künstliche Intelligenz also. Seit etwa zwei Jahren ein großer Hype, der nach so kurzer Zeit schon viele Bereiche der Ökonomie, der Kultur, der Wissenschaft berührt und verändert. Die Fachinformationen für Journalisten und Medienhäuser kennen momentan nur noch ein Thema: Künstliche Intelligenz – KI – und wie sie eingesetzt wird und wie sie sich disruptiv auf die Branche auswirkt.

Die Schlagzahl der Entwicklung im – ich nenne den IT-Bereich, also im Bereich der Informationstechnologie, der datenbasierten Industrie – wird immer höher. Was gestern noch in den Kinderschuhen steckte und dennoch innerhalb kürzester Zeit nun möglich ist, ist atemberaubend. Und dabei meine ich nicht nur, dass ChatGPT die Hausaufgaben in Ethik erledigt oder Midjourney die Imagination der jeweiligen Traumfrau vor epischem Hintergrund erschafft, sondern ich meine ernstzunehmende Anwendungen in den Medien und im kulturellen Bereich, in der Industrie und den Ingenieurswissenschaften, in der medizinischen Forschung und in der Verwaltung.

Wenn wir uns vor Augen führen, dass im Moment die sozialen Medien, so wie wir sie in den vergangenen ca. 20 Jahren kennengelernt haben – ich habe vorhin schon Facebook als Medium für die alternde Generation, also meine Generation bezeichnet – sich von der Bühne verabschieden, dann haben wir schon mal eine ganze Mediengeneration übersprungen, an der wir als Großlogen und Logen so gut wie nicht teilgenommen haben. Wie soll uns also der Anschluss gelingen? 

Nun könnte man sagen: Ist uns egal, uns gibt es seit 300 Jahren, was sind dagegen solch kurzlebigen Trends? 20 Jahre? Das ist nichts. Wir können getrost davon ausgehen: Das sind keine Trends, das ist eine Revolution, die in immer neuen Etappen irgendwohin führt. Wohin, weiß niemand. Und unser Trost ist vielleicht im Moment, dass es zu jeder Entwicklung auch eine Gegenentwicklung gibt. Ich sprach bereits von den Chancen, Freimaurerei als Gegenpol aufzustellen ohne blind zu werden für die gesellschaftlichen Umbrüche.

4.         Risse in der Gesellschaft

Es wird immer wieder beschworen, dass durch unsere Gesellschaft Risse verlaufen. Entstanden einerseits durch politische Verwerfungen, das Erstarken von rechtspopulistischen Kräften und die scheinbare Unfähigkeit der etablierten politischen Kräfte, dem etwas entgegenzusetzen. Aber auch durch die reale Gefahr des Klimawandels, weltweite Armut, Ressourcenerschöpfung usw. Wer darauf aufmerksam macht, wird gerne als „links-grün versiffter Ideologe“ diffamiert. Alle anderen allerdings sind dann die „Nazis“.

Die Echokammer Social Media – vor allem Facebook – verstärkt dieses Gegeneinander.

Grundsätzlich wäre das eine normale Entwicklung: Risse gehen immer durch Gesellschaften. Das hat die offene Gesellschaft so an sich. Ideen stehen im Wettbewerb miteinander und werden – möglichst durch den Austausch geeigneter Argumente – entweder umgesetzt oder verworfen.

Die Frage ist nur: Wo entlang führen diese Risse? Natürlich führen sie – traditionell – auch weiterhin horizontal durch die Gesellschaft: Armut vs. Wohlstand. Auch im Wohlfahrtsstaat ist dies nicht anders und die sogenannte Schere zwischen Arm und Superreich geht immer weiter auseinander. Dadurch verschiebt sich jedoch auch das Maß selbst: Wer ist als arm zu definieren, in pekuniärer Hinsicht, wer fällt unter dieses Stigma? Hier stehen wir staunend davor, wenn wir vergleichen, wie Armut vielleicht vor 100 oder mehr Jahren ausgesehen hat und wie Armut heute definiert wird. Wohlgemerkt – ich meine damit nicht die Armut in der sogenannten „Dritten Welt“, sondern hierzulande.

Was aber sehr viel auffälliger und möglicherweise neu ist, sind die Risse, die vertikal durch die Gesellschaft verlaufen. Partikularinteressen und Mikro-Identitäten bekommen oft eine überdeutliche Stimme.

Und was mir am problematischsten erscheint – keine neue Entwicklung, aber eine, bei der die Schere immer deutlicher auseinanderklafft – sind die Risse, die in der Gesellschaft auf kognitiver Ebene verlaufen: Die Informierten gegen die Uninformierten. Diejenigen, die sich informieren wollen und jene, denen das zu anstrengend ist. Diejenigen, die sich informieren wollen und dieses Handwerk kompetent betreiben, denen klar ist, wie Wissenschaft als Welterkenntnis-Prozess betrieben wird und die mit einer gewissen Medienkompetenz ausgestattet sind, versus diejenigen, die wissenschaftsfeindlich agieren und mit ihrer Medien-Inkompetenz prahlen, indem sie glauben, es gebe so etwas wie alternative Fakten.

Ein gut recherchierter Hintergrundbericht von ARD und ZDF etwa zum Krieg in der Ukraine ist im Netz, in den sozialen Medien vor allem, nur einen Klick von den Falschinformationen einer russischen Trollfabrik entfernt.

Als Journalist beneide ich dann immer Bauhandwerker, die mit Berufsfremden nicht diskutieren müssen – etwa über „alternative Statik“, „traditionelle chinesische Fliesenverlegung“ oder „sanftes Dachdecken“. Und dieser „kognitive Riss“ in der Gesellschaft bringt auch das, was wir gerade in den sozialen Medien, aber auch auf der Straße inzwischen vermehrt erleben: Hass und Hetze, Rechthaberei und Denunziantentum, statt brüderliches Zuhören, argumentatives Beschäftigen mit den Positionen der Anderen. Der Wille, unbedingt als Sieger aus einer Diskussion hervorgehen zu müssen, ist meiner Erfahrung nach bei den Uninformierten am größten.

5.         Das falsche Versteckspiel

„Angst ist nie ein guter Ratgeber“, lautet ein Sprichwort. Vorsicht kann geboten sein, ja. Die freimaurerische Zurückhaltung gegenüber dem Öffentlichen begründet sich seit jeher darauf, aus der Vorsicht.

Was im Augenblick in den deutschen Großlogen passiert, ist aber meines Erachtens mehr als problematisch und beraubt uns jeder Möglichkeit einer Darstellung nach außen. Sie macht die Arbeit der Logen zunichte, die vor Ort um Mitglieder werben, die dafür einstehen, dass die Freimaurerei ein Teil der Stadtgesellschaft ist und als solche wahrgenommen wird.

Keine öffentlichen Ankündigungen von Terminen, Orten, Personen. Aus Angst vor Anschlägen im Zusammenhang mit dem Krieg, den die Hamas mit ihrem Überfall auf Israel angezettelt hat. Auch von rechtsradikalen und erstarkenden antisemitisch-antimasonischen Tendenzen ist in diesem Zusammenhang gesprochen worden, ohne dies konkret zu benennen. Selbstverständlich haben wir die Pflicht, unsere Brüder und ihre Familien zu schützen. Dafür haben wir die Deckung, über die jeder Bruder, jede Schwester selbst entscheiden darf. Auch Logen dürfen selbst entscheiden, wie weit sie sich in die Öffentlichkeit wagen, ob ihr Logenhaus ein Winkelmaß und Zirkel als stolzes Symbol trägt. Und wenn ja, welche Sicherungsmaßnahmen sind dann notwendig: Kameras, Wachdienste, Zäune mit Stacheldraht? Das will man eigentlich nicht sehen vor einem Logenhaus. Dann lieber ein Rückzug aus der Öffentlichkeit? Der allerdings bedeutet: Sich vor denen zu ducken, die genau das damit bezwecken wollen.

6.         Braucht Freimaurerei Publizistik?

Diese Frage muss man angesichts dessen stellen.

Die Meinungen der Brüder bezüglich der Publikation freimaurerischer Themen, der Öffentlichmachung und gar der Öffentlichkeitsarbeit gehen naturgemäß sehr weit auseinander: Die Traditionalisten sagen: Freimaurerei ist nichts für die Öffentlichkeit, sie ist ein Geheimbund, oder zumindest ein geschützter Raum, aus dem nichts nach außen zu dringen hat und in den nichts von außen einzudringen hat.

Und es gibt die, die allzeit nach vorne preschen, vieles über den Haufen werfen wollen, die den Zeitgeist beschwören, die heilige Kühe schlachten möchten und die aus der Freimaurerei wieder – und ich betone wieder – eine avantgardistische Assoziation machen wollen. Das, was wir als Tradition ansehen, war ja auch irgendwann mal vollkommen neu, war unerhört, war avantgardistisch.

Es gibt zwischen diesen beide Extremen natürlich noch eine ganze Menge Positionen, die Kompromisse eingehen, die nicht nur Bedenken tragen und die auch Rücksicht auf liebgewordene Traditionen nehmen.

 „Das Nebeneinander des ‚Geheimen‘ und des ‚Öffentlichen‘ hat in den Diskursen der Freimaurer wie in der Freimaurerei insgesamt von Anfang an eine große, ja bestimmende Rolle gespielt, und es war das für die Logen typische Verhältnis von Geschlossenheit und Öffnung, das die Freimaurerei zu einer ‚geheimen Gesellschaft‘ spezifischen und von Anbeginn stark eingeschränkten Typs gemacht hat …“

Das sagt Br. Hans-Hermann Höhmann, Ehrenmeister der Quatuor Coronati, profunder Kenner und Freimaurerforscher.

„Einerseits waren das ‚Geheime‘ und das ‚Öffentliche‘ seit Beginn der institutionalisierten Freimaurerei stets gemeinsam, gleichsam geschwisterhaft präsent, andererseits gab es nie einen dauerhaften Konsens über ihr gegenseitiges Verhältnis, und die Diskurse darüber sowohl innerhalb des Bundes als auch zwischen Freimaurern und Vertretern der Öffentlichkeit sowie innerhalb der Öffentlichkeit über die Freimaurerei haben die Geschichte des Bundes begleitet. …

Trotz ihres Rückzugs in die Sphäre des Geheimnisvollen, fand Freimaurerei stets unter Beteiligung der Öffentlichkeit statt. Von Anbeginn bis heute existiert dieser Spagat von drinnen und draußen, von Bestrebungen geheim zu bleiben und sich gleichzeitig öffentlich zu zeigen.

Hinweise auf Logentreffen in der Londoner Presse, Theaterbesuche und Prozessionen in maurerischer Bekleidung, öffentlich zugängliche Publikationen in großer Zahl, Abbildungen prominenter Mitglieder in masonischem Outfit waren schon von Anfang an der Tagesordnung, und im Grunde genommen ist das ja auch bis heute so geblieben.

Zu diesen optisch wahrnehmbaren Demonstrationen der Freimaurerei kam seit ihrer Begründung als moderner Assoziation ein reichhaltiges Schrifttum hinzu. Um dem ‚Geheimnis der Freimaurerei‘ selbst auf die Spur zu kommen und die Gesellschaft darüber zu informieren, haben die Freimaurer immer außerordentlich viel publiziert, gedruckte Texte waren ein wesentliches Medium ihrer Selbstverständigung, und die Öffentlichkeit war meist als Leser dabei.“

Vielleicht ist Freimaurerei sogar so etwas wie eine „Buchreligion“, allerdings abseits der religionswissenschaftlichen Definitionen – es gibt keine heiligen Bücher in der Freimaurerei, natürlich. Aber Freimaurerei definiert sich über schriftliche Überlieferung der Rituale, der Diskurse über ihr Selbstverständnis.

7.         Freimaurerische Publizistik im digitalen Zeitalter

Das Zeitalter des gedruckten Buches hat 500 Jahre gedauert. In rasantem Tempo gehen wir seit 40 Jahren etwa ins digitale Zeitalter. Es wird so sein, wie es die Medienforschung stets beobachtet hat: Neue Medien verdrängen alte Medien zwar, löschen sie aber nicht gänzlich aus. Genauso wie es das Buch auch nach der Erfindung des Fernsehens noch gab, wird es das Buch auch in Zukunft noch geben, auch in gedruckter Form. Vielleicht wird man in Zukunft mehr auf dem Tablet lesen, aber die Branchenzahlen sind seit Jahren konstant niedrig: Etwa 15 Prozent Marktanteil besitzt des digitale eBook. Das ist erstaunlich wenig. Die Buch-Neuerscheinungen bleiben stabil, aber die Auflagenhöhen ändern sich. Sie werden von Jahr zu Jahr geringer. Da Bücher auch teurer werden, bleiben allerdings Branchenumsatzzahlen im Großen und Ganzen stabil.

Es ist nicht das elektronische Buch, scheint mir, dass das Buch aus Papier und Pappe verdrängt, sondern es sind eben andere Formen der Unterhaltung, die andere Lese- und Sehgewohnheiten mit sich bringen.

Im Inneren dieses medialen Molochs WoldWideWeb lässt sich heute alles finden, was wir über Freimaurerei wissen oder lieber nicht wissen wollen. „Verräterschriften“ wie zu Prichards Zeiten entlocken uns nur noch ein müdes Lächeln, viel problematischer sind die Elon Musks dieser Welt und in ihrem Schlepptau die Verschwörungs-Fantasten und ihre Anhänger.

Ein Großteil dessen, was wir im Netz finden über Freimaurerei, ist barer Unfug, ein weiterer Teil mag uns „Eingeweihten“ unsinnig vorkommen, besitzt aber einen gewissen Populärcharakter, ohne böswillig antimasonisch zu sein, und der bedeutend geringere Teil sind ernstzunehmende Informationen, gesicherte Erkenntnisse, diskursethisch annehmbare Veröffentlichungen.

Kuratiertes Wissen zu freimaurerischen Themen findet man im Internet – gar in den sozialen Medien – nur selten, etwa im Freimaurer-Wiki.

Wir haben selbstverständlich auch in der gedruckten Literatur und Publizistik ganz viel Unfug in der Welt, aber die Zugangsbarrieren aufgrund technologischer Kosten sind eben doch erheblich höher als im digitalen Bereich und die Sichtbarkeit und notwendige Reichweite kann im Internet deutlich rascher und kostengünstiger hergestellt werden als mit klassischen Verlagsprodukten. Man könnte zusammenfassen: Alles Wissen ist erreichbar, alles Unwissen aber auch.

8.         Freimaurerische Publizistik als aktive Öffentlichkeitsarbeit

Ich möchte noch einmal Hans-Hermann Höhmann zitieren:

„Von welcher Seite man es betrachtet: Die Freimaurerei war nie ein Geheimbund im strikten Sinne, aber sie war auch nie lediglich ein schlicht geselliger Verein oder ein Service-Club vom Rotary-Lions-Typ. Sie war immer eine Assoziation zwischen Geheimbund und geselliger Institution.“

Und deshalb kommt es auf einige Dinge an, die in der Kommunikation mit der Außenwelt beachtet werden sollten: Es kommt nämlich bei aller Öffentlichmachung masonischer Inhalte und Belange darauf an,  

„… sich der eigenen maurerischen Identitäten klarer bewusst zu werden und ein deutliches Bild davon zu vermitteln, was Freimaurerei ist und was sie nicht ist. Gerade die ‚Suchenden‘ müssen rechtzeitig erkennen können, dass es unterschiedliche Formen und Verständnisse von Freimaurerei gibt, die der Redlichkeit halber nicht verwischt werden und nicht erst nach der Aufnahme sichtbar werden dürfen.“

In der bereits erwähnten Leipziger Loge ist man um Öffentlichkeitsarbeit recht bemüht, auch wenn es hier durchaus ebenfalls sehr unterschiedliche Ansichten gibt: Sehr progressive Ansichten, aber auch sehr traditionalistische Ansätze. Bei einem Podiumsgespräch im Logenhaus, das ich vor einigen Jahren moderierte, antwortete die Geschäftsführerin einer Leipziger Marketing- und Werbeagentur auf die Frage, ob Freimaurerei sich (aus ihrer professionellen Sicht) stärker öffnen sollte, also stärker nach außen gehen sollte, weg vom Image des Geheimbundes also:

„Die Freimaurerei hat so ein wunderbares Schatzkästchen, prall gefüllt mit ihren Werten, die für ein gutes Zusammenleben in unserer Gesellschaft so nützlich sind – also wir sprachen von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Toleranz und Menschenliebe –, dass es eine vertane Sache wäre, dieses Schatzkästlein nicht immer wieder vorzuzeigen und es nicht ab und an zu öffnen und herumzureichen und zu sagen: Schaut her, das sind wir, das wollen wir, das machen wir, das können wir …“

Also: Warum sollten wir auch in der Publizistik der Freimaurerei, wenn wir diese mit Verlagen, mit Zeitschriften, Podcasts, Webseiten selbst in der Hand haben, nicht neue Wege gehen – die ja gar nicht so neu sind, sondern schon fast veraltet anmuten: Großlogen und Logen haben Webseiten. Über diese kommen viele Suchende zu uns, viel mehr als über die persönlichen Kontakte der Brüder. Früher war das ausschließlich der Fall: Jemand hatte einen guten Freund, den er für wert und würdig befand, in die Freimaurerei einzuführen. Das findet natürlich auch heute noch statt, aber sehr viel mehr Suchende kommen – zumindest in Deutschland ist das flächendeckend so – über die öffentlichen digitalen Kanäle zu uns.

Es geht bei all dem gar nicht darum, mit aller Gewalt neue Mitglieder für die Logen zu werben. Das wird häufig unterstellt: Öffentlichkeitsarbeit und Publizistik zum Zwecke der Mitgliedergewinnung führe zu nichts, denn es komme nicht auf die Quantität, sondern auf die Qualität an. Doch: Wenn ich Qualität haben möchte, dann muss ich auch die Möglichkeit haben, diese Qualität auszuwählen, also auch Bewerber, von deren Qualität eine Loge nicht überzeugt ist, abzulehnen. Wenn ich jeden nehmen muss, der an der Logentür anklopft, nur um die Loge vor dem Aussterben zu bewahren, kann ich darin keine Qualitätssteigerung erkennen.

Ich habe aber auch kein Problem, wenn Neuerungs-Prozesse einfach länger dauern bei einem Verein, der schon über 300 Jahre alt ist. Man muss nicht jeder Zeitgeist-Strömung hinterherrennen. Aber wenn der Zeitgeist aufhört, Zeitgeist zu sein und einfach zur Selbstverständlichkeit, zu einer Kulturtechnik wird, die kaum mehr wegzudenken ist, ist es vielleicht auch für die Freimaurerei Zeit, über bestimmte Dinge nachzudenken.

Die englische Großloge, auf die man sich stets beruft, wenn es um die restriktive Auslegung unserer Traditionen geht, ist häufig sehr viel avantgardistischer als wir denken.

Die neueste Nachricht von dort – von der United Grand Lodge in London – wird einige Traditionalisten erschüttern: In einer Loge der United Grandlodge of England wurde erstmals eine Transfrau zur Stuhlmeisterin gewählt. Ich musste selbst lange darüber nachdenken, bis ich es wirklich verstanden hatte: Die UGLE ist die Muttergroßloge der weltweiten Freimaurerei, von der wir unsere sogenannte „Regularität“ beziehen. Eine anerkannte, reguläre Loge unter der Obödienz der UGLE also setzt in Anwesenheit des Provincial Grandmaster – was bei uns der Distriktmeister wäre – die ehrwürdige Schwester Vivien Backford zur Stuhlmeisterin – wohlgemerkt einer Männerloge ein. Vivien Backford wurde einst als Mann aufgenommen, sonst wäre das (logen-)rechtlich nicht möglich gewesen, sie ist also als biologischer Mann geboren und nach den seit 2018 geltenden Regeln der UGLE hat sie nun – nachdem sie sich als Frau und damit Schwester identifiziert – natürlich auch das Recht, weiterhin Mitglied der UGLE zu bleiben. Ich höre die Traditionalisten innerlich kollabieren: „Das Abendland geht unter, die Freimaurerei schafft sich ab.“

Nein, tut sie nicht: Sie gestaltet sich neu. Es ist einfach an der Zeit. Es ist eben nicht mehr vermittelbar, dass zum Beispiel Frauenlogen nicht als regulär betrachtet werden. Wenn wir weiter an dieser Ideologie der Regularität festhalten, schaffen wir uns tatsächlich ab. Niemandem ist heute mehr vermittelbar, warum wir ausgerechnet in dieser Frage noch auf den „Alten Pflichten“ beharren, tun wir das doch längst nicht mehr, wenn es beispielsweise um Menschen mit Behinderung oder Menschen ohne gestählten christlichen Glauben geht. Dieser Exkurs in die Geschlechterfrage hat genau mit dem zu tun, was wir heute verhandeln: Wie stellen wir uns nach außen dar, welche Sicht auf Freimaurerei haben die Menschen außerhalb unserer Logenblase? Wir haben es in der Hand.

9.      Thesen

Es stellt sich aus meiner Sicht die Frage, ob Großlogen und Logen sich in den „neuen Medien“ – von Webseiten bis hin zu Social-Media-Kanälen – zu präsentieren haben, gar nicht mehr. Dieser Zug ist längst abgefahren. Wir haben es bereits mit „neuesten Medien“ zu tun. Wir haben bereits eine ganze Generation übersprungen und sollten uns jetzt beeilen, den Anschluss zu finden.

Daher die Thesen, die wir für die Arbeitstagung der Forschungsloge Quatuor Coronati konzipiert haben.

Mein Einführungsvortrag ist – ich betone es noch einmal – nicht wissenschaftlich und nicht political correct und will es auch nicht sein, sondern er soll den Finger in die Wunde legen, zeigen, wohin die Reise gehen könnte, wenn man das wollte. Wenn nicht, dann auch gut. „Opas gute alte Freimaurerei“ hat ja auch etwas Schönes.

  • Freimaurerische Diskretion/Verschwiegenheit bildet keinen Widerspruch zu einer (zu entwickelnden) modernen Öffentlichkeitsarbeit freimaurerischer Institutionen.
  • Neue und neueste Medien und die damit verbundene veränderte Mediennutzung in der Gesellschaft sind nicht nur risikobehaftet, sondern bieten vor allem Chancen für die Außendarstellung von Freimaurerei.
  • Das Heft des Handelns nicht den anderen überlassen: Die Sichtbarkeit von freimaurerischen Themen in den Medien sollte durch eigenes Zutun erhöht werden.
  • Die institutionelle Freimaurerei sollte sich mit offenen Angeboten in den gesellschaftlichen Diskurs einbringen, denn sie hat Lösungen anzubieten.
  • Freimaurerei sollte sich wandeln und ihre historische Funktion als „Avantgarde der Aufklärung“ wiederbeleben, um nicht als „Altherrenclub“ wahrgenommen zu werden.
Bastian Salier

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