Eine Zeichnung nach einem Motiv eines Goethe-Gedichts – von Andreas Jonda
…auch zum Hören als Podcastfolge
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Der Podcast für Brüder, Schwester und alle, die sich für Freimaurerei interessieren. Ausgewählte „Zeichnungen“ (Impulsvorträge) von Freimaurern.
Das gleichnamige Gedicht von Johann Wolfgang von Goethe dient als Motiv für einige Gedanken des Freimaurers zu diesem Thema. Autor: Andreas Jonda
Der Freimaurer-Spaziergang erscheint im Medienverbund der Großloge der Alten Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland e.V.
Skript zur Folge:
https://www.freimaurerei.de/verschwiegenheit/
Feedback an:
redaktion@afuamvd.de
Sprecher/Produktion:
Bjoern Krass-Koenitz

Sprecher der Podcastfolge: Bjoern Krass-Koenitz

Unser „Vorzeigebruder“ Goethe schrieb 1816 das Freimaurergedicht:
Verschwiegenheit
Wenn die Liebeste zum Erwidern
Blick auf Liebesblicke beut,
Singt ein Dichter gern in Liedern,
Wie ein solches Glück erfreut!
Aber Schweigen bringet Fülle
Reicheren Vertrauns zurück;
Leise, leise! Stille, stille!
Das ist erst das wahre Glück.
Wenn den Krieger wild Getöse,
Tromm’l und Pauken aufgeregt,
Er den Feind in aller Blöße
Schmetternd über Länder schlägt,
Nimmt er wegen Siegsverheerung
Gern den Ruhm, den lauten, an,
Wenn verheimlichte Verehrung
Seiner Wohltat wohlgetan.
Heil uns! Wir verbundne Brüder
Wissen doch, was keiner weiß;
Ja, sogar bekannte Lieder
Hüllen sich in unsern Kreis.
Niemand soll und wird es schauen,
Was einander wir vertraut;
Denn auf Schweigen und Vertrauen
Ist der Tempel aufgebaut.
Ich werde keine Gedichtinterpretation „abliefern“, sondern möchte das Gedicht nur als Aufhänger benutzen, um über die schon im Titel genannte „Verschwiegenheit“ zu sprechen.
Alle Freimaurer geloben bei ihrer Aufnahme in den Bund der Freimaurer, „Das Brauchtum der Freimaurer in Ehren zu halten, die inneren Angelegenheiten meiner Loge nicht nach außen zu tragen und verschwiegen zu bewahren, was mir ein Bruder anvertraut.“
Klingt doch ganz simpel, oder? Damit ist doch alles gesagt.
Ich selber hatte zu Beginn meiner maurerischen Laufbahn Schwierigkeiten mit dem, was diese Verschwiegenheit umfasst, und was ich z. B. meiner Frau erzählen durfte. Es war mir schon klar, dass das Ritual kein Gesprächsthema sein sollte, aber durfte ich noch nicht einmal erzählen, dass ein Bruder Lehrer ist, Installateur oder Arzt? Darf ich das Thema des Vortrags beim Bruderabend erwähnen oder gar den Inhalt zusammenfassen? Und was ist mit einer Zeichnung im Tempel? Unterliegt sie möglicherweise einer strengeren Geheimhaltungsstufe als ein Vortrag beim Gästeabend, der ja auch für Nicht-Freimaurer bestimmt ist? Darf ich überhaupt erzählen, wer welches Amt innehat, oder gehört das zu den „inneren Angelegenheiten der Loge“?
Fragen über Fragen. Ich habe natürlich das gemacht, was jeder Freimaurerlehrling in einer solchen Situation macht: Ich habe meinen Bürgen Uli gefragt, der sollte es schließlich wissen. Und er wusste es in der Tat. Seine Antwort war knapp und eindeutig: „Prinzipiell Klappe halten.“
Das wäre vielleicht nicht der einfachste Weg, das Schweigegebot zu deuten, aber immerhin der eindeutigste. Aber Sie können sich denken, dass es so einfach nicht ist. Meine Frau hatte ja drei Brr. bereits vor der Aufnahme beim „Hausbesuch“ kennengelernt. Diese hatten sich, wohlerzogen wie sie sind, selbstverständlich mit Namen vorgestellt, und beim ersten Logenausflug, bei dem meine Frau dabei war, lernte sie auch andere Brr. kennen, die zum Teil sehr freimütig von sich erzählten. Da geriet die Eindeutigkeit schon etwas ins Schwanken. Und überhaupt, natürlich hätte sie im Internet jede Menge Informationen über die Freimaurerei finden können, bis hin zu Ritualen, vielleicht nicht ganz aktuelle oder die Rituale unserer Großloge, aber auf jeden Fall Sachen, über die ich eindeutig Stillschweigen bewahren sollte, wenn ich es richtig verstanden hatte. Und dann: Was ist mit meinen freimaurerischen Büchern? Ich schließe ja keine Bücher heimlich irgendwo weg, und wenn meine Frau etwas davon hätte lesen wollen, wäre es für sie kein Problem gewesen.
Auf jeden Fall hat es mir schon bald nach der Aufnahme gezeigt, dass das „Schweigen“ etwas anderes bedeuten musste. Es gab kein Geheimnis, dass ich hätte bewahren können, alles war mehr oder weniger öffentlich zugänglich. Von daher war es nicht besonders schwer, zu erraten, dass das Schweigen nicht dazu gedacht war eine Sache geheim zu halten, sondern dass das Schweigen einen Wert an sich haben musste, den ich als Freimaurer vielleicht erst entdecken oder kennenlernen sollte. Und tatsächlich gibt es ja in vielen Traditionen, bei denen es um Einweihung geht, die Übung des Schweigens für Suchende oder neu Aufgenommene, für Proselyten. Egal, ob wir uns die Tradition der Schamanen anschauen, die esoterischen Schulen des Buddhismus, des Islam oder anderer Religionen, wir finden zahlreiche Schweigegebot. Zum Teil wird das Schweigen ja sogar zum Inhalt einer Ordenslehre gemacht, wie bei den Trappisten. Und steht nicht schon in der Bibel: „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“?
Wir sind natürlich keine religiöse Organisation, kein Orden, wir leben nicht in einem Kloster. Aber wenn in solchen Gemeinschaften ein so großer Wert auf das Schweigen gelegt wird, könnte es ja auch für uns etwas zu bedeuten haben. An der Stelle fiel mir eine Stelle aus dem Ritual ein, die darauf verweist, dass man mit verbundenen Augen besser in sich hineinschauen kann bei dem, was man vernimmt.
Vielleicht gilt das ja nicht nur für das Sehen, sondern analog auch für das Hören, das natürlich nur schweigend geschehen kann. Umso mehr, wenn ich nicht auf äußere Geräusche hören soll, sondern in mich selbst hinein. Wenn ich zu einem vorurteilsfreien Mann werden will, darf ich nur bis zu einem bestimmten Punkt auf andere hören. Ich muss mir eine eigene Meinung bilden, ein Urteil fällen, in dem ich vielleicht das verwerte, was ich zuvor gehört habe. Ich benötige aber auf jeden Fall eine Zeit der Stille, des Nachdenkens, um dann zu einem wirklich begründeten Urteil kommen zu können.
Das war für mich schon mal ganz einleuchtend. Und dann fiel mir noch etwas anderes ein: Erstens kann ich nichts verraten, weil alles bereits öffentlich ist, und zweitens: wie sollte ich denn reden, ohne mich lächerlich zu machen? Denn das Erlebnis eines Rituals, einer Tempelarbeit, könnte ich sowieso nicht in Worte fassen. Ich würde in irgendeiner Form herumstammeln und Unfug reden. Sollte das Schweigen mich vielleicht davor schützen, mich selbst zum Hampelmann zu machen? Dann wäre die Tugend des Schweigens und das Einüben dieser Tugend in der Loge ja ein absolut erstrebenswertes Ziel.
Und dann gibt es einen Aspekt, den ich noch gar nicht genannt habe. Was ist mit der Freundschaft? Immerhin betrachten wir uns als Freundschaftsbund. Kann ich Freund sein von einem Menschen über den ich spreche? Mit einem Menschen sprechen ist sicher richtig. Über einen Menschen sprechen, ist – vorsichtig ausgedrückt – höchst verdächtig. Wie sollte denn Vertrauen entstehen, wenn mein Gegenüber weiß oder zumindest vermutet, dass ich möglicherweise alles, was wir besprochen haben, in der einen oder anderen Form an Dritte weitergeben. Und Freundschaft ohne Vertrauen ist nicht möglich. Somit ist Freundschaft auch ohne Schweigen nicht möglich.
Und das geht weit über unser Ritual hinaus. Es betrifft tatsächlich alles, was wir hier in der Loge besprechen. Manchmal benutzen wir in der Freimaurerei das etwas geheimnisvolle Wort Arkanum. Das ist in jedem Wortsinne geheimnisvoll, denn es bedeutet nichts anderes als Geheimnis. Und so erscheint es mir äußerst einleuchtend, dass das Arkanum, das Geheimnis der Freimaurerei nichts ist, was man jemandem mitteilen könnte, sondern es ist vielmehr das Schweigen selbst. Dieser Gedanke ist nicht von mir, ich habe ihn irgendwo gelesen, kann aber leider nicht mehr sagen, wo. Vielleicht ist das der Kern der Freimaurerei. Das, was uns von allen anderen Service-Clubs, von Parteien, Kirchen und Verbänden unterscheidet. Nicht das, was wir sagen, sondern das, was wir nicht sagen, unser Schweigen eben. Charakterbildung und die Erforschung des eigenen Inneren gehen Hand in Hand, wenn wir lernen, zu schweigen.
Daher kann ich nur an alle appellieren, dass Schweigegebot sehr ernst zu nehmen. Reden im falschen Moment, mit dem falschen Gesprächspartner stört nicht nur, es kann auch zerstören. Auch das Reden über die falschen Dinge kann zerstören: Freundschaften, Vertrauen, alles, was wir hier aufgebaut haben oder noch aufbauen werden. Und wir wollen bauen, nämlich den Tempel der Humanität.
Nachdem ich schon das Ritual, Goethe, und die Bibel zitiert habe möchte ich noch eine weitere, weniger pathetische Quelle hinzufügen: die amerikanischen Dichterin Gertrude Stein hat gesagt: „Du kannst viel Gutes auf der Welt bewirken, indem du einfach den Mund hältst“.
Recht hat sie!
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