und was hat Bildung mit Freimaurerei zu tun?
…auch zum Hören als Podcastfolge
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Der Podcast für Brüder, Schwester und alle, die sich für Freimaurerei interessieren. Ausgewählte „Zeichnungen“ (Impulsvorträge) von Freimaurern.
von Br. Andreas Jonda |
Der Freimaurer-Spaziergang erscheint im Medienverbund der Großloge der Alten Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland e.V. |
Skript und weitere Informationen zur Folge auf:
https://www.freimaurerei.de/was-ist-bildung/
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Sprecher der Podcastfolge: Bjoern Krass-Koenitz
von Br. Andreas Jonda

Für mich ist „Bildung“ im allerweitesten Sinn ein Kern-Aspekt der Königlichen Kunst. Nun hat die Freimauerei sehr unterschiedliche Aspekte, die für jeden Br. sicher anders angeordnet sind, wenn man nach den persönlichen Prioritäten fragt:
- geselliges Beisammensein mit den Brüdern
- kontemplative Versenkung während der Tempelarbeiten
- das Bearbeiten des eigenen rauen Steins
- karitative Taten
- vielleicht auch die Möglichkeit, sich innerhalb der Loge oder gar der Großloge, auf welcher Ebene auch immer, zu betätigen
- Bildung im hergebrachten Sinn, die am deutlichsten vielleicht in unseren Vorträgen und Zeichnungen zu Tage tritt
Dazu kommen vermutlich noch mehr Punkte, die ich nicht kenne und die ich nicht kennen muss, weil es mir überhaupt nicht zukommt, eine Reihenfolge nach „Wichtigkeit“ oder „wahrer Freimaurer-Haltung“ vorzunehmen.
Wenn ich vorhin von „Bildung im hergebrachten Sinn“ gesprochen habe, habe ich natürlich gleichzeitig angedeutet, dass es auch noch eine andere Bildung gibt. Und ich glaube, die Antwort, was Bildung für mich ist, steckt in dem Wort „Bildung“ selbst. Ich will mich bilden, und ich glaube nicht, dass dieser Prozess jemals abgeschlossen sein könnte. Dabei meine ich mit „Bildung“ eben nicht die Schulbildung, ob sie sich auf die grundlegenden Kulturtechniken beschränkt oder Fremdsprachen, höhere Mathematik und Wissen über die Geschichte Deutschlands von den Anfängen bis heute umspannt. Für mich ist Bildung vielmehr ein umfassender Vorgang, den ich in der eigentlichen Bedeutung des Wortes verstehe: ich „bilde“ mich, ich bilde etwas an mir, ich schaffe etwas, wobei natürlich nicht das Äußere gemeint ist, sondern etwas Geistiges. So wie wir auf der Ebene der Moral den rauen Stein bearbeiten, so sollten wir, jedenfalls verstehe ich es so, auf der geistigen Ebene ebenfalls an uns arbeiten. Und ich meine damit nicht das Schlagwort vom „Lifelong Learning“, was immer wieder in Diskussionen auftaucht. Da habe ich den starken Verdacht, dass es dabei nur darum geht, uns alle für die ständigen, immer schneller werdenden Veränderungen im Arbeitsleben kompatibel zu machen. Volkswirtschaftlich ein nachvollziehbares Ziel, aber ich komme mir dabei dann doch vor wie „Humankapital“, das vollkommen austauschbar ist. Wenn die Löhne in Deutschland zu hoch sind, dann verlege ich die Produktion eben nach Tschechien oder Vietnam. Hauptsache, ich finde dort die Infrastruktur und das „Humankapital“ vor, das ich benötige.
Nein, wenn ich Bildung sage und mich bilden will, dann möchte ich nicht Objekt sein, sondern handelndes Subjekt. Ich lege meine Ziele in Freiheit fest, suche mir unter den für mich verfügbaren Medien die geeignetsten aus, und schaue nicht auf irgendwelche Zeugnisse, Bescheinigungen oder Diplome. Die Ziele und Mittel sind allerdings nicht in alle Ewigkeit fest geschrieben, sondern verändern sich fortlaufend, alles was ich lerne, in mich aufnehme, wirft neue Fragen auf, vielleicht komme ich auch an Punkte, wo ich einsehen muss, dass ich an einer bestimmten Stelle nicht weiterkomme, dann suche ich mir eben etwas Neues. Aber alles, was ich lerne, nehme ich tatsächlich in mich auf, es wird mehr oder weniger deutlich ein Teil von mir, es verändert und formt mich. Und Lernen und Bilden sind keineswegs auf intellektuelle Fähigkeiten beschränkt. Es gibt auch andere Bereiche, in denen wir uns bilden können, und wenn wir uns noch einmal die Liste anschauen, die ich eingangs genannt habe, werden wir feststellen, dass uns die Freimaurerei in all ihren Facetten Bildungsmöglichkeiten zur Verfügung stellt, auch wenn nicht jeder von uns in jedem Bereich gleich „bedürftig“ ist.
- Geselliges Beisammensein mit den Brüdern: hier übe ich soziale Fähigkeiten ein, zum Beispiel die Wahrnehmung des Anderen, Empathie, Kontrolle von Nähe und Distanz, kurz ein Verhalten, das wir alle sicher beherrschen, aber etwas Nachhilfeunterricht kann dem einen oder anderen vielleicht nicht schaden.
- Kontemplative Versenkung während der Tempelarbeiten: das ist ein Feld, das im Alltag sicher zu kurz kommt. Wer sich nicht regelmäßig zu Meditationsübungen oder Einkehrtagen im Kloster zurückzieht, hat in der heutigen Welt kaum die Chance, hier an sich zu arbeiten. Ohne Leistungsdruck es einfach einmal aushalten, dass eine Stunde lang nichts Spektakuläres geschieht, dass wir auf uns selbst verwiesen werden, dass wir einfach über Wahrheiten nachdenken, die uns normalerweise leicht entgleiten.
- Das Bearbeiten des eigenen rauen Steins: Wenn das nicht Bildung im eigentlichen Sinn ist, dann weiß ich es nicht. Hier stimmt sogar das Symbol des behauenen Steines mit meinem Begriff von Bildung überein, wie überhaupt die gesamte Bausymbolik eine geniale Übersetzung anbietet vom Bauen mit den Händen hin zum Bauen mit geistigen Mitteln.
- Karitative Taten: Auch wenn die karitativen Beiträge, die jeder einzelne von uns leistet, vielleicht nicht die gesamten Probleme der Gesellschaft lösen, so denke ich doch, dass auch in diesem Punkt eine „Bildung“ stattfinden kann, eine „Herzensbildung“, wenn mir dieser altmodische Begriff gestattet ist.
- Die Möglichkeit, sich innerhalb der Loge oder gar der Großloge zu betätigen: Was lerne ich hier, wie bilde ich mich hier? Neben sozialen Fähigkeiten erarbeite ich mir hier organisatorische Kenntnisse, vielleicht die Fähigkeit, vor einer größeren Gruppe Menschen zu reden oder Punkte in einer Diskussion angemessen vertreten zu können. Das sind Fähigkeiten, die mich durchaus bilden können im Sinne von „formen“. Vielleicht habe ich diese Fähigkeiten schon vorher besessen, aber auch wenn ich sie erst in der Loge erlernt habe, werde ich sie auf jeden Fall nicht beim Verlassen der Loge wieder ablegen. Ich nehme diese Eigenschaften, die dann zu mir gehören, mit, ich habe mich also verändert, mich „gebildet“.
Ich halte die Freimaurerei weder für eine Volkshochschule, in der ich nach Belieben Kurse belege, noch für eine Selbsterfahrungsgruppe, in der die Gruppenmitglieder mein Verhalten spiegeln, Feedback geben und so zu einer Verhaltensänderung beitragen. Auch ist die Freimaurerei keine Yoga- oder Meditationsgruppe, kein Stammtisch, an dem ich einmal in der Woche hemmungslos im Kreise von Gleichgesinnten schwadronieren könnte. Wir sind kein Ortsverein von Amnesty International oder Terre des Hommes, keine politische Partei und keine Kirche.
Wir sind viel mehr: Die Loge ist der Ort, an dem Bildung im Sinne von Selbsterziehung und Selbstgestaltung geschieht. Wenn ich aus dem Vortrag eines Bruders etwas mitnehmen kann, wenn mich die Stimmung einer Tempelarbeit zum Nachdenken anregt oder mich für eine kurze Zeit dem Alltag entrückt, wenn ich an die Not um mich her denke und meinen kleinen Beitrag leiste, dann habe ich an mir gearbeitet, mich gebildet. Es ist keine klassische Bildung, keine schulische oder akademische, sondern es ist eine umfassendere Bildung. Sie fordert mich als ganzen Menschen und gibt mir in meiner Gesamtheit etwas. Denken und Fühlen, der Blick nach innen wie der Blick auf die Welt werden geschult, selbst eine Ahnung einer Transzendenz, eines Höheren kann ich möglicherweise erlangen. Und das alles bedeutet für mich „Bildung“. Ich bilde meinen rauen Stein zu einem behauenen Stein, in den Grenzen, die mir gesetzt sind, aber auch in Freiheit. Ziel ist es nicht, aus allen Brüdern vollkommen gleichförmige Quader zu hauen, so etwas verlangt nur ein totalitäres Regime, eine totalitäre Ideologie. Ich bilde mich in Freiheit, nehme das an, was ich annehmen will, und wenn ein Bruder der Meinung ist, an mir sei noch eine ganz besonders unangenehme Ecke zu bearbeiten, dann kann er es mir sagen. Dann werde ich mich mit ihm auseinandersetzen und versuchen, zu einer für uns beide gangbaren Lösung zu kommen. Denn auch das gehört zur Bildung: Offen bleiben für Anregungen und Vorschläge von außen und dabei doch seinen eigenen Weg in Freiheit gehen.

Danke für diesen bereichernden Text, – und danke an Alle, die den „Meisterbrief“ gestalten.
Hut ab lieber Br.: Andreas, du hast den Begriff sehr lebendig mit Leben gefüllt und von manch schwurbligen Begriffen befreit. Dieser Vortrag sollte in allen Logen gehalten werden. Vielen Dank dafür!!!
Hallo zusammen eine sehr gute Zeichnung
Bildung ist für mich ein Werkzeug um die eigenen Grenzen zu erweitern. Über den eigenen Teller Rand zu schauen. Aus meinem Dessertteller nach Möglichkeit einen Suppenteller zu machen. In der Freimaurerei geht es um mich und das darf ich sagen ohne ein schlechtes Gewissen zu bekommen egoistisch zu sein.
Danke für diese Überlegungen! In der Hospizarbeit der Moderne zeigte mir Vanessa Machado de Oliveira noch weitere Perspektiven, was Bildung sein kann, Tiefenbildung:
• Ein Feld des Mit‑Werden‑s – nicht ein individueller Aufstieg. Lernen ist eingebettet in ein Netz von Beziehungen zwischen Menschen, der „restlichen“ Natur, Geschichte und den metabolischen Prozessen des Planeten.
• Ein Prozess der Ent- und Ver-Lernens – besonders vom kolonial‑modernen Drang nach Kontrolle, Sicherheit, Nützlichkeit und linearem Fortschritt.
• Ein Üben von Tiefe – Tiefenbildung meint, die Fähigkeit zu kultivieren, mit Komplexität, Paradox, Schmerz und Ungewissheit zu bleiben, ohne vorschnell auf einfache Lösungen oder moralische Selbstbestätigung auszuweichen.
• Eine Aktivierung „exilierter“ Sinne und Sensibilitäten – Fähigkeiten, die in modernen, extraktiven Bildungslogiken verdrängt werden (z. B. Demut, Resonanzfähigkeit, Erdverbundenheit).
• Ein Training für Reife, Nüchternheit, Unterscheidungsvermögen und Verantwortlichkeit – im Sinne von relationaler Rechenschaft gegenüber zukünftigen Generationen und der mehr‑als‑menschlichen Welt.
Danke Dir und gerne stimme ich Dir zu, es sind oft nur kleinste Teilchen, die bei der Arbeit am eigenen Stein plötzlich abspringen und etwas wird verständlicher besser oder man wird verständlicher. Die französische Bezeichnung für Bildung ist einwenig bildlicher – „Formation“.
Goethe hat die Idee der Morphologie ausgearbeitet, die Lehre der Gestaltwerdung – eine Idee, die gut zur FM passt.
Ein sehr schöner, wunderbarer und wahrer Text… Weiterhin alles Gute und weiter so…
Diesen Beitrag habe ich mit großem Interesse gelesen und für mich Anregungen zum Nachdenken daraus gezogen. Vielen dank.
Eine sehr schöne Zeichnung, lieber Br.! Danke dafür, auch für den kritischen Blick auf das Life long Learning. So habe das noch nicht betrachtet.
Hat mir gefallen