Großloge der Alten Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland (AFuAMvD)

Was wissen wir eigentlich?

Empfehlen
Illustration: alphaspirit / stock.adobe.com

Wissen ist zum wettbewerbsentscheidenden Produktionsfaktor geworden. Die Firma Skandia erstellt eine Wissensbilanz, McKinsey und Novartis beschäftigen hauptamtliche Wissensmanager. Arthur Anderson schafft für seine weltweit agierenden Berater ein elektronisches Wissensnetz. Ist Wissen Macht?

Von Richard Kruse

Ich darf Ihnen das Ergebnis einer demoskopischen Umfrage schildern. Es geht um Hintergründe in der deutschen Wohnungsversorgung: Zunächst wurde nach der persönlichen Wohnungsversorgung gefragt. 95 Prozent der Befragten beurteilten ihre persönliche Wohnsituation zwischen „sehr gut“ und ausreichend. 4 Prozent nannten sie „schlecht“ und 1 Prozent nannten sie „sehr schlecht“. Nun fragte das Institut dieselben Menschen danach, wie denn die allgemeine Wohnungsversorgung in der Bundesrepublik sei. Die Antwort verblüfft. Zwei Drittel nannten die Wohnungsversorgung in Deutschland miserabel! 

 Aus diesen gegensätzlichen Schilderungen wird vielleicht deutlich, dass Wissen nicht einfach Wahrheit bedeutet. Wissen erwirbt jeder von uns durch Informationen. Viel erhalten wir durch unsere Ausbildung, manches durch den Prozess des Reifens und Alterns und sehr viele durch die heutigen Informationsmedien Presse, Rundfunk und natürlich Bücher. Um richtiges Wissen zu erwerben und zu speichern, ist also jeweils zu prüfen, ob die Information wahr ist, ob sie wichtig ist oder ob sie nur glaubhaft ist oder völlig nebensächlich. Dieses Filtern von Informationen sollte schließlich zum Erkennen und zum Aussondern von Fehlinformationen führen. Nur auf diesem Wege bekommt das in unserem Gedächtnis gespeicherte Wissen eine angemessene Qualität. 

Ich halte normalerweise viel von Sprichwörtern, weil sie die Erfahrungen vieler Generationen wiedergeben. So ist mir das folgende Sprichwort begegnet: „Die Alten hatten Gewissen, ohne Wissen, wir heutzutage haben das Wissen, ohne Gewissen.“ Diese Verallgemeinerung lehne ich allerdings ab, da ich diese Aussage gegenüber den heutigen Generationen für ungerecht halte. Vielmehr gilt aus meiner Sicht, dass der Verstand des Menschen kein Behälter ist, der gefüllt, sondern ein Feuer, das entfacht werden muss. Und welche Feuerwerke können Menschen abbrennen, die über ein gescheites Wissen verfügen! 

Ursache 

Vor dem Wissen und der Gewissheit liegt die Arbeit und das Suchen. Wir Brüder in der Freimaurerei versuchen das intern, indem wir die Aussagekraft der Symbole zu deuten versuchen und für uns ganz subjektiv Anleitung und psychische Kraft zu gewinnen versuchen. 

In unserer Beziehung zu Gott, dem „Großen Baumeister“ oder dem Schicksal ist die ethisch vorgegebene Toleranz angemessen. Wir streiten nicht darüber, ob der Glaube an Christus oder Allah oder andere Propheten oder Götter richtig ist. Wir nennen den Schöpfer den großen Baumeister aller Welten und überlassen es jedem Bruder, diesen Begriff mit seiner eigenen Vorstellungskraft auszustatten. Doch nicht, weil wir es besser wissen, sondern weil wir es nicht wissen. 

Was ist dann aber ein Dogma? Besitzt derjenige, der sich im Besitz eines Dogmas befindet, ein Überwissen, das unangreifbar ist? Wird das Dogma durch Überlieferungen, durch den Glauben beispielsweise an Religion oder Umweltlösungen oder durch den Tiefgang der Forschung begründet? Ich habe so meine Probleme mit Dogmen! Weil ich den Eindruck gewonnen habe, dass immer dann, wenn eine Bevölkerungsgruppe glaubt, über die Weisheit zu verfügen, gegen dieses Dogma kein gutes Argument eine Chance hat. Mit dogmatischem Verhalten wird zu oft der Fortschritt des Denkens eingeengt und Lösungen für unsere Lebensqualität beschränkt.  

Um es figürlich oder plakativ auszudrücken: Das Schlimmste ist, wenn wir in uns selbst alle Türen und Fenster schließen und neuen Erkenntnissen gegenüber nicht mehr aufgeschlossen sind. 

Mit der Frage des Wissens haben sich bereits Goethe und von Humboldt beschäftigt. Goethe führt in „Maximen und Reflexionen“ aus: „Mit dem Wissen wächst der Zweifel“. Ich kommentiere dieses: Gut so, dann hat die Bescheidenheit eher eine Chance. Und von Humboldt schreibt 1832 in einem Brief an seine Freundin gewissermaßen als eine Aufforderung an uns alle: „Denken und Wissen sollten immer gleichen Schritt halten. Das Wissen bleibt sonst tot und unfruchtbar“. 

Beispiel 

Wenn man sich die Kurve der Zunahme des Wissens anschaut, wird man feststellen, dass diese ab 1550 ganz flach verläuft und sich dann etwa ab 1910 ständig verdoppelt und steil in die Höhe geht. 95 Prozent unseres heutigen Wissens sind im 20. Jahrhundert entstanden und jedes Jahr kommen etwa 13 Prozent an Wissensmenge neu hinzu. Wir haben uns eindeutig vom Muskelzeitalter verabschiedet und sind in das Nervenzeitalter eingetreten. Die Halbwertszeit des Wissens eines Arztes beträgt heutzutage vier Jahre, d. h. nach vier Jahren hat er etwa die Hälfte des gelernten Wissens verloren, weil völlig neue Erkenntnisse und Anwendungen gelten. An dieser Stelle wird deutlich, was Fortbildung bedeutet. Früher galt man als gebildet, wenn man etwa die lateinische Sprache beherrschte, über Kenntnisse der Philosophie, der Musik, der Astronomie, der Arithmetik, der Rhetorik und der Dialektik verfügte. Heute benötigt der Mensch Computerkenntnisse, Sprachkenntnisse, Verhandlungskunst, Kenntnisse in Menschenführung. 

Aus heutiger Zeit stammt auch das folgende Beispiel eines neuen, noch unbekannten Umweltskandals. Es handelt sich um ein wahres Teufelszeug: Es enthält nämlich 34 Aldehyde und Ketone, 32 Alkohole, 20 Ester, 14 Säuren, 3 Kohlenwasserstoffe und 7 Verbindungen anderer Stoffklassen, darunter das gefährliche Kumarin, das Leberschäden verursacht. Diese hochwirksamen Stoffwechselgifte sind heute durch eine sehr moderne Analysetechnik nachweisbar – im Gegensatz zu früher. Alle diese teuflischen Stoffe sind in einer einzigen gemeinen deutschen Himbeere enthalten. Wenn Sie nun aber den Vorsatz haben sollten, sich unter Zuhilfenahme dieser Drogen umzubringen, werden Sie Probleme bekommen. Sie müssten nämlich an einem Tag 1,7 Tonnen Himbeeren verzehren, was selbst für Liebhaber von Himbeerkuchen ein schwieriges Unterfangen wäre. 

Hier stelle ich wieder die Frage, mit der ich meinen Aufsatz versehen habe: „Was wissen wir eigentlich?“, und eine Zusatzfrage: „… Und wie gehen wir mit diesem Wissen um?“ Meine persönliche Erfahrung ist, dass man mit zunehmender Verantwortung 80 Prozent von dem, was man gelernt hat, nicht braucht und 80 Prozent von dem, was man braucht, nicht gelernt hat. Dies soll auch ein deutlicher Hinweis auf Verbesserungsmöglichkeiten in unserem Bildungssystem sein, denn wer hat uns den Umgang mit Menschen gelehrt, mit unserem Bruder, auch mit unserem Partner oder in Kindererziehung klug gemacht? Wer hat uns für den Beruf vorbereitet in Verhandlungskunst, Menschenführung und Motivation? 

Vergessen oder vernachlässigen wir also nicht das Erfahrungswissen! Unser Suchen in der Freimaurerei nach Antworten, nach Zusammenhängen, unsere Arbeit am Menschen und die daraus zu gewinnenden Erkenntnisse spielen sich somit sehr stark im Bereich des Erfahrungswissens ab. Da diese Arbeit oft in einer strengen Ordnung abläuft, müsste diese uns Brüdern auch zu besseren individuellen Erkenntnissen verhelfen. 

Robert Oppenheimer schreibt in Wissenschaft und allgemeines Denken: „Im Grunde sind wir unwissend. Selbst der Klügste unter uns versteht sich nur auf sehr wenige Dinge wirklich gut; und von dem ganzen gesicherten Gut, sei es naturwissenschaftlich oder geschichtlich, ist nur jeweils ein kleiner Teil im Besitz eines einzelnen Menschen.“ Ich behaupte und möchte zum Nachdenken darüber anregen, dass der Organismus tot ist, wenn er nicht mehr lernt. Lassen Sie uns offen sein gegenüber allem Neuen. Das dürfte auch keine schlechte Voraussetzung sein für unsere Übungen in Toleranz. 

Ziel 

Die Neugier wird oft mit einem unangenehmen Beigeschmack versehen. Aber diese positive Neugier an allem, was im Leben interessant ist, sollte doch immer wieder gefördert werden. So lässt Goethe in Faust 1 den Wagner sagen: „Zwar weiß ich viel, doch möchte ich alles wissen.“ In der Politik wäre die gegensätzliche Situation schon gefährlich. Denn: Je weniger einer weiß, desto mehr glaubt er daran, was er weiß. Wissensvermittlung ist ein modernes Thema in unseren Berufen, ob in der Wirtschaft und der Politik schlechthin. 

Wie steht es denn mit der Wissensvermittlung in der Freimaurerei? Achten wir darauf, dass erfahrene Meister wiederkehrend die Brüder Lehrlinge und Gesellen an das freimaurerische Gedankengut heranführen? Nun existiert die hoffentlich nur schelmisch gemeinte Aussage: Freimaurer lesen nicht! Wirklich ein schöner Blödsinn. Freimaurer müssen lesen, müssen Aufgaben und Arbeit bekommen, um unser Gedankengut in der Tiefe kennenzulernen und nachzuempfinden. Die Theorie muss jedoch auch immer das Handeln nach sich ziehen. Sonst bleibt alle Arbeit des Lernens einseitig. 

Endzweck 

Der Umfang des Wissens kann uns auch in eine doppelte Problematik stürzen. Je mehr die Menschen wissen, desto mehr zweifeln sie. Je weniger sie wissen, desto mehr glauben sie, so Gabelli. Auf einer anderen Ebene ist sicher das folgende Wortspiel anzusiedeln: Die nichts wissen und wissen, dass sie nichts wissen, sind mir lieber als die, die nichts wissen und nicht wissen, dass sie nichts wissen. Eher ein unangenehmer Mensch ist für mich, der glaubt, alles zu wissen. Da gefällt mir die Aussage, die ich öfter in der Bruderschaft hörte, viel besser: „Ich weiß, dass ich nichts weiß!“ Dieses Bekenntnis ist ein idealer Ausgangspunkt für das Streben, täglich ein wenig dazuzulernen an Dingen, die das Leben interessant und den Geist demütig machen. Die Grundaufgaben des Menschen bleiben jedoch: die Suche nach Verständnis, der Umgang mit Gleichgesinnten, die Suche nach Wahrheiten. 

3 Antworten

  1. sehr geehrete Herren und Damen ;
    Ich bin dem Maurerbund noch nicht beigetreten. Ich weiß nicht genau, ob ich nicht das Glück oder den Mut und das Wissen hatte, der wertvollen Mason-Gruppe beizutreten. Auf jeden Fall war die schriftliche Rede sehr bemerkenswert und interessant. Aufgrund meines Interesses an der Meinung von Professor Yuvalnoh Harari denke ich, dass man sehen sollte, welche Art von Wissen dem System der Einzelpersonen und Freimaurerbrüder in den nächsten Jahren helfen wird. Wie im Text des Artikels auch zu sehen ist, brauchen wir wirklich früher oder später einen Arzt, während künstliche Intelligenz schneller aktualisiert werden kann und auf dem neuesten Stand ist und weniger Fehler macht und die Verarbeitung von Informationen beschleunigt, tatsächlich wie wir Patienten bevorzugen wir, an wen wir uns wenden und zu welchem wir gehen sollen, daher stellt sich die Frage, welche Art von Wissen soll ich mir aneignen, das Wissen über Kontrolle oder das Wissen über das gemeinsame Leben mit künstlicher Intelligenz …
    Vielleicht sollten wir, so die Theorie von Professor Yoval Noah Harari, die Bildung von Kindern im Hinblick darauf, welche Fähigkeiten sie wirklich entwickeln können, noch einmal überprüfen, dann müssen wir uns auch selbst mit dieser Methode und diesem Wissen auf den neuesten Stand bringen. Andererseits denke ich, dass es keinen Zweifel daran gibt, dass frühere Zivilisationen vor uns mit ähnlichen Auswirkungen konfrontiert waren, und es ist gut, ihre bisherigen Kenntnisse und Erfahrungen noch einmal Revue passieren zu lassen.
    Mite freundlichen Grüßen
    kambiz Bagheri Saken

  2. Dear Sir,

    This is a very good and insightful write-up.
    It captured yesterday, reflecting the mood of today, while flashing the light of direction to the future.

    “Learning is a continue process”.

    Thank you for the wisdom imparted.

  3. Für das Denken sind Dogmen wie Filter oder Siebe, denn sie lassen nur solche Gedanken passieren, die dem vorgegebenen Zweck entsprechen und dienlich sind. Andere Gedanken fallen entweder durch oder werden zurückgehalten

Schreibe einen Kommentar zu kambiz Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert