Eine Zeichnung von Gerd Scherm
Der Podcast für Brüder, Schwester und alle, die sich für Freimaurerei interessieren. Ausgewählte „Zeichnungen“ (Impulsvorträge) von Freimaurern.
Ein Spaziergang mit Gerd Scherm
Der Freimaurer-Spaziergang erscheint im Medienverbund der Großloge der Alten Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland e.V.
Skript und weitere Informationen zur Folge auf
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Wir treffen uns zwischen den Jahren – wie oft hat man das schon gehört oder gar selbst gesagt? Doch wann soll das eigentlich sein – zwischen den Jahren? Jeder weiß doch aus eigener Erfahrung, dass zwischen das alte Jahr und das neue Jahr nicht einmal eine einzige Sekunde passt, geschweige denn ein paar Tage. Was also bedeutet die scheinbar unsinnige Formulierung „zwischen den Jahren“? Die Ursache liegt im Kalender, und zwar im Unterschied zwischen Mond- und Sonnenkalender. Während das Mondjahr 354 Tage hat, ist das Sonnenjahr mit 365 Tagen um 12 Tage, präziser um 12 Nächte länger. Da sich der Mond viel leichter beobachten lässt als der Jahreslauf der Erde um die Sonne, richteten sich die Menschen der Vergangenheit in der Zählweise nach dem Mond und glichen dann am Jahresende die Differenz aus. So entstand die Zeit „zwischen den Jahren“, die man bereits im alten Ägypten kannte. Allerdings war dort der besondere Zeitraum mit den zwölf zusätzlichen Tagen im Mai-Juni, nach der Nilschwemme, dem bedeutendsten Ereignis des Jahres. Bei uns reicht der Zeitraum „zwischen den Jahren“ je nach Region von der Wintersonnenwende bis zum 3. Januar oder vom Heiligabend bis zu Heiligdreikönig.
Diese Ausgleichs-Tage sind aber nicht nur ein kalendarisches Phänomen – die Zeit zwischen den Jahren ist eine Zeit „zwischen den Welten“. In dieser Zeit überlappen sich die Realitäten und ungeheure Dinge, magische Dinge können geschehen. Von solchen Tagen berichten uns die Mythen und Legenden, dass die Gesetze der Natur außer Kraft gesetzt sind und die Grenzen von Diesseits und Jenseits fallen. Die Kirchenväter wussten sehr wohl, warum sie das unbekannte Geburtsdatum Christi auf den 24. Dezember festlegten.
Der Grund dafür lag auch darin, dass man den heidnischen Bräuchen in den Rauhnächten etwas entgegensetzen wollte.
Die Rauhnächte haben ihren Namen nicht vom rauen Klima, auch nicht von den rauen Sitten oder dem Weihrauch, sondern vom alten Wort für Pelz. Im Kürschner-Wort Rauchwaren findet man es noch, auch im Märchen Allerleirauh, in dem eine Prinzessin in verschiedene Felle gekleidet ist.
All die Legenden und Bräuche der Rauhnächte „zwischen den Jahren“ zu erzählen, würde ein Buch füllen, deshalb nenne ich hier nur einige Bespiele.
Früher galten die Rauhnächte für unverheiratete Frauen als Gelegenheit, um Mitternacht an einem Kreuzweg ihren künftigen Bräutigam zu sehen. Er erschien dann im Mondlicht und ging schweigend vorüber und das Mädchen durfte ihn weder ansprechen noch ihm nachschauen, weil dies den Tod bedeutet hätte. Das führte mancherorts in den Rauhnächten zu geschäftigem Treiben an Kreuzwegen, wo sich die heiratswilligen Burschen den unverheirateten Mädchen zeigten.
Es wird auch erzählt, dass in den Rauhnächten die Tiere sprechen können und so mancher Bauer wurde von seinem Vieh angeklagt, weil er es übers Jahr schlecht behandelt hatte.
Besonders unheimlich wird es, wenn die Grenze zum Jenseits durchlässig wird und auf einmal der längst verstorbene Urgroßvater in der guten Stube sitzt und Essen begehrt.
Das größte, bedeutendste Ereignis der Rauhnächte aber ist die Wilde Jagd. Diese gibt es regional in unzähligen Varianten und mit unterschiedlichen Teilnehmern der Jagdgesellschaft. Einen Grundtypus der „Wilden Jagd“ möchte ich hier vorstellen:
Vor dem Geisterzug reitet ein Warner, der den Menschen zuruft: „Ho ho ho! Aus dem Weg, ab dem Weg, damit niemand geschändet wird!“ Oft wird berichtet, dass Menschen, die der „Wilden Jagd“ zu nahe kamen, von dieser mitgenommen wurden und erst Jahre später wieder auftauchten. In Norddeutschland heißt dieser Vorreiter Hackelnberg , das von Hakul-Berend kommt und Mantelträger bedeutet. Vielerorts ist es heute noch üblich, Laternen-Umzüge zu veranstalten, bei denen ein Reiter im Mantel den Kindern voranreitet, – aber kaum jemand weiß, dass die Lichtfünkchen der Laternen die Seelen der Verstorbenen darstellen und die Kinder selbst das Fortleben der Ahnenseelen garantieren. Heutzutage nennt man diesen Mantelreiter Sankt Martin. Da reitet also die „Wilde Jagd“ durch die Rauhnächte. Einige Namen der Beteiligten kennt man: Gewitterhexe, Habergeis, Moosweible, Saurüssel, Werwölfe, Bärentreiber, die dicke Hulda, Nachtgieger, Perchta und Frau Holle. Der Name des Anführers der „Wilden Jagd“ reicht von Odin im hohen Norden über Arawn in Wales bis zum Helljäger in Mitteleuropa. In Frankreich wird der Anführer Hellequin genannt, der herle king, der „Heerkönig“. Aus ihm ist auf Umwegen der Possenreißer Harlekin entstanden.
Regional interessant ist, dass auf die Reiter der „Wilden Jagd“ der Name für den Rothenburger Weihnachtsmarkt, den Reiterles-Markt, zurückgeht.
Als Friederike und ich Mitte der 90er Jahre auf die Frankenhöhe nach Binzwangen gezogen sind und es auf Weihnachten zuging, sagten uns die Einheimischen, dass am Heiligabend das Christkind und der Belzer in die Häuser kämen. Nun, das mit dem Christkind war uns bekannt, aber in Franken erwartet man den Belzermärdl gewiss nicht am 24. Dezember.
Wir waren am ersten Heiligabend in unserem kleinen Dorf gespannt, was uns erwarten würde und es war wahrhaft keine Stille Nacht! Schreie gellten, Schellen schepperten, ein Toben auf der Straße und dann – Stille. Wieder und wieder, den ganzen Abend. Ab und zu huschte eine weiße Gestalt, begleitet von jungen Frauen, fast lautlos durch den Schnee. Dann wieder tobte eine wilde Meute zwischen den Häusern, angeführt von einer schwarzgesichtigen, in Fellen gehüllten männlichen Gestalt. Wir erlebten den Kampf von „Dunkel und Licht“, ausgetragen in der Heiligen Nacht. Das sog. „Christkind“ mit seinen Beschützerinnen klingelte bei uns und wir luden sie in unsere Stube ein. Die jungen Frauen scherzten und lachten, nur die weiße Frau in einem alten Brautkleid mit dicht verschleiertem Gesicht schwieg. Die Frage, wer sie sei, beantwortete sie mit einem Kopfschütteln und auch ihre Begleiterinnen schwiegen. Anscheinend brachte es Unglück, den menschlichen Namen der Lichtgestalt zu nennen.
Man erzählte uns, dass die Dorfjugend zwischen Konfirmation und Heirat diesen archaischen Brauch immer noch pflegt, obwohl jeder Pfarrer in der Vergangenheit versucht hatte, das „heidnische Treiben“ zu unterbinden. So zog die Gruppe von Haus zu Haus, immer auf der Flucht vor der „Wilden Jagd“, dem schrecklichen Belzer, der sich als Verballhornung von Beelzebub herausstellte, und seiner schrecklichen Meute. Konnte der Rußgesichtige die Weiße Frau berühren und anschwärzen, so hatten die jungen Frauen verloren. Überstand das Christkind aber die Nacht weiß und rein, waren sie die Siegerinnen. Übrigens findet der Gottesdienst an Heiligabend in Binzwangen schon um 14 Uhr statt. So kommt man mit der „Wilden Jagd“ nicht ins Gehege…
Der Ausnahmezustand der Zwischenzeit endet am 6. Januar. In der Weihnachtsgeschichte des Matthäus-Evangeliums wird berichtet, dass Weise aus dem Morgenland an diesem Tag nach Bethlehem gezogen sind, an Epiphanias dem Jesuskind zu huldigen. Im griechischen Ausgangstext steht, dass es Magoi, wörtlich „Magier“ waren, die einem Stern gefolgt sind, weshalb man sie auch als Sterndeuter bezeichnet. Dass es drei gewesen sein sollen, steht nirgends in der Bibel. Die magische Dreizahl kam erst später durch die wachsende Legendenbildung ins Spiel. Dass die Magier drei Geschenke gebracht haben, steht schon im Matthäus-Text: Gold, Weihrauch und Myrrhe. Gold steht für den Herrscher, Weihrauch für den Priester und Myrrhe für den Heiler. Auf den Besuch der Magier ist es zurückzuführen, dass wir heutzutage zu Weihnachten Geschenke bekommen.
Und so enden diese merkwürdigen zwölf Tage bzw. Nächte und eines ist gewiss: Egal, ob aus heidnischer oder christlicher Sicht – die Zeit zwischen den Jahren ist eine ganz besondere, magische Zeit. Eine Zeit, in der unser Alltag in den Hintergrund tritt und wir unsere Welt anders betrachten können. Eine dunkle Zeit, in der wir Hoffnung und Zuversicht in uns zum Leuchten bringen können. Eine Zeit, in der manchmal sogar unsere Wünsche in Erfüllung gehen.
Nutzen wir die Zeit zwischen den Jahren!
Lieber Br∴ Gerd,
recht herzlichen Dank für die inspirierenden Gedanken, die du mit interessanten Fakten untermauert hast.
Ganz gleich, ob man der Mystik dieser Tage mehr oder weniger zugeneigt ist, so ist diese Zeit in jedem Falle eine Chance sich zu besinnen und dem teilweise hektischem Treiben der Weihnachtszeit eine gelassenere Perspektive hinzuzufügen.
Der Schlüssel liegt in jedem selbst, ob wir es einerseits zulassen einen Gang zurückzuschalten. Und sollten wir dies tun wollen, dann ist es andererseits auch sehr wichtig zu wissen, was einem persönlich „gut tut“.
Ist es die Stille, die zu dieser Jahreszeit mit wenig Tageslicht und langen Nächten passt? Oder schätzt man eher den Austausch mit Menschen, die einem angenehm und wichtig sind?
Nur wenn man sich den eigenen (echten) Wünschen und Zielen bewusst werden kann, ist die Voraussetzung eines noch viel größeren Schrittes geschaffen: Deren tatsächlicher Umsetzung.
Dazu wünsche ich uns allen viel Muse im neuen Jahr 2025!
Mit brdl∴ Gruß
Alexander L.
Ein wunderbarer Text, vielen Dank dafür. Das erklärt auch die Stimmung, die man selbst oft in dieser Zeit hat: eine fast geheimnisvolle, von der Welt abgeschnittene Atmosphäre, die zur Introspektion einlädt.
Vielen Dank für Ihren Beitrag zu den Rauhnaechten. Ich stamme aus der fränkischen Provinz und habe mich sofort in die Erzählwelt mit meiner Großmutter zurück versetzt gefühlt.
Ist doch seltsam und wunderbar zugleich!
Beste Grüße
Johannes W.