Menü

Zynismus

Macht Freimaurerei uns mit der Zeit zu Zynikern?

Eine „Zeichnung“ …zum Lesen und zum Hören als Podcastfolge

von einem anonymen Freimaurer-Bruder

Sprecher der Podcastfolge: Frank Schmalbach

Zynismus ist ein Begriff, der in unserem Sprachgebrauch deutlich negativ belegt ist: Zynismus in der heutigen Bedeutung meint eine „Haltung, oder Denk- und Handlungsweisen, die durch beißenden Spott geprägt sind und dabei oft und sogar bewusst die Gefühle anderer Personen, oder gesellschaftliche Konventionen missachten“. So sagt es der Philosoph Heinrich Niehues-Pröbsting. Der Duden erklärt das Wort ‚zynisch‘ als eine spöttische, grausame, den Anstand beleidigende Weise.  Das Große Wörterbuch der deutschen Sprache sagt, Zynismus ist eine gefühllose, mitleidlose, menschenverachtende Haltung, die besonders in bestimmten Angelegenheiten, Situationen als konträr, paradox und als Gefühle missachtend und gefühlsverletzend empfunden wird.

Eine durchweg negative Auslegung also. Wie sollte so etwas mit der Freimaurerei zusammengehen? Wir arbeiten schließlich an Selbsterkenntnis, wir wollen jeden Tag ein wenig besser sein, und wir versuchen unsere Aufgabe in der Familie und in der Gesellschaft zu finden und diese auch – so gut es geht – zu erfüllen. Wir sind uns bewusst, dass das Leben nicht ewig dauert und grübeln deshalb nach seinem Sinn, um uns klarzuwerden, wie wir die Zeit verbringen wollen, die uns hier vergönnt ist. Wie um alles in der Welt sollte also so etwas wie der eingangs genannte menschenverachtende Zynismus mit der Freimaurerei zusammengehen?

Der Zusammenhang, den ich hier herstellen möchte, wird klarer, wenn wir uns bewusstmachen, woher das Wort Zynismus stammt, und welche Geschichte es hat:

Der Begriff Zynismus lehnt sich an die philosophische Denkschule der Kyniker an, die im 4. und 5. Jahrhundert vor Christus im antiken Griechenland aufkam. Sie wurde etabliert durch den Philosophen Antisthenes, er war Schüler des Sokrates, und diese Denkschule wurde danach weitergetragen von Diogenes, der wiederum ein Schüler des Antisthenes war. Dieser Kynismus als philosophische Denkschule hatte, grob gesagt, folgenden Inhalt:

Der Weg zur Zufriedenheit im Leben führt über Bedürfnislosigkeit: Wer nicht ständig das Bedürfnis hat nach Neuem oder nach mehr, lebt glücklicher, ist eben zufrieden. Die einzige Richtschnur für das Handeln sei die Ethik, und zwar diejenige Ethik, die sich am Vorbild der Natur orientiert: Das heißt also Leben und leben lassen – außer es geht wirklich gar nicht anders, eben wie in der Natur.

Der Kynismus sah sich selbst als eine Bejahung der natürlichen Triebe und ein Lossagen von weltlichen, profanen Antrieben. Daraus ergab sich, dass die Kyniker in der Regel ein bescheidenes, manch einer würde sagen, verarmtes Leben führten, in welchem sie primär danach trachteten, ihre Grundbedürfnisse nach Essen, Trinken, Genuß und natürlich auch körperlicher Liebe zu befriedigen. Der Rest war für sie… Tand, Eitelkeit, weltliches Brimborium, was keiner wirklich brauchte, der geistig frei war. Einige Kyniker trieben diesen Lebensstil auf die Spitze, und obschon sie klug philosophierten und daherredeten, waren sie oft – man muss es vielleicht so sagen – arme Schlucker. Diogenes von Sinope z.B., einer der bekanntesten Kyniker, lebte in einem alten leeren Weinfass, trug selten vollständige Kleidung und redete vor seinem Fass zum Volke über die Vorteile seiner Philosophie und suchte dabei reiche Gönner, die ihn versorgten, ihm zuhörten und seine Gesellschaft genossen.

Er sprach aus, was er dachte: Dass Gewinnstreben und Profitorientierung den Menschen schadeten, dass man sich besinnen sollte auf das, was Mensch und Tier im Kern nötig hatten. Er tat dies oft mit dem eben genannten bissigen, oft gemeinen Wortwitz und verhöhnte auf diese Weise die aus seiner Sicht profane Lebensweise um ihn herum. Und weil er lebte wie ein Hund (griechisch kyon), ist das Wort Kyniker entstanden und die negative Behaftung des Wortes Zynismus blieb bis heute erhalten.

Jetzt, wo ich seit knapp 8 Jahren aktiver Freimaurer bin, beobachte ich hier und da an mir selbst zynische Wesenszüge und Haltungen; auch im Bruderkreise sind sie mir begegnet, und ich frage mich oft, ob sie vielleicht durch Freimaurerei entstanden sind.

Als Mensch wird man ja völlig unvorbereitet aufs Leben losgelassen, man erlebt seine Kindheit, wird von seinen Eltern und Mitmenschen erzogen und lernt schnell, was in der Gesellschaft akzeptiert ist und als normal empfunden wird; man bewegt sich im Mainstream, würde man heute sagen. Ein zu starker Individualismus oder gar Eigensinnigkeit, wie Diogenes sie gelebt hat, lohnen sich nicht. Man wird von anderen nicht respektiert, sogar geächtet, und wenn man nicht auf sich aufpasst, wird man zu einer Geisel des Mainstreams.

Wer einen wachen Geist hat, erkennt diese Problematik in den vielen Widersprüchlichkeiten der Welt und begibt sich auf die Suche nach der eigenen Identität und dem Sinn in all dem. Und wer Glück hat, wird vielleicht Freimaurer. Man erkennt sich dabei selbst besser, vertieft sich in sich selbst, man teilt das Alltagserleben mit seinen Brüdern, fühlt sich gelegentlich bestätigt oder bekommt Futter für die Gedanken, die man sich über existenzielle Fragen macht. Man richtet sein Augenmerk auf das Mysterium von Leben und Tod, auf die Sinnsuche und das Sinnstiftende. Man hebt den Blick auf das Transzendente, Göttliche in der Welt…. und verliert dabei vielleicht das Interesse am Immanenten, Weltlichen und Profanen, das uns alle ständig umgibt.

Und man wendet sich dabei ein Stück weit ab vom Mainstream, von gesellschaftlichen Konventionen, von dem, was die Menschen dort draußen antreibt und bewegt. Vieles, was man vorher als ernst und wichtig hingenommen hat, verliert vielleicht an Wichtigkeit. Und ich merke, wie ich dieser gefühlten Unwichtigkeit oft mit ratlosem Schulterzucken und zunehmender Gleichgültigkeit begegne. Hier ein paar Beispiele:

Ich bin mittlerweile 42 Jahre alt, habe eine schöne Arbeit mit vernünftigem Gehalt, ein Haus und drei Kinder. Ich lebe inmitten meiner Brüder und bin damit ausgesprochen zufrieden. In der heutigen Zeit der globalen Mobilität, ist es aber für viele völlig normal, stets im Hamsterrad zu strampeln, immer in der Aussicht auf die nächste Stelle und den nächsten Job, der vielleicht weit weg liegt und einen dazu zwingen würde, in einem fremden Land – sozial gesehen – wieder bei null anzufangen. Ganz zu schweigen davon, dass man dabei Familien- und Privatleben möglicherweise hintenanstellt. Viele im Kollegium sagen Dinge wie „Du willst doch nicht immer an einem Ort bleiben?“ oder „Man muss sich doch weiterentwickeln!“. Dass ich gegenwärtig meine Weiterentwicklung nicht im beruflichen Erfolg suche, sondern in der Entwicklung meiner Persönlichkeit, meiner Seele… das können viele gar nicht verstehen. Viele verstehen nicht mal, warum sich überhaupt diese Frage stellt. Und – ich verstehe sie nicht mehr.

Das ist jetzt vielleicht ein bisschen polemisch, aber ein weiteres Beispiel sind die Diskussionen, die die Menschen über alles Mögliche führen. Es passiert ja oft, dass Menschen, die zusammenkommen, sich zunächst zwanglos über Dinge unterhalten und plötzlich feststellen, dass sie irgendwo gegensätzlicher Meinung sind. Dann kommt es seltsam häufig dazu, dass argumentiert wird. Mit einem für mich überraschendem Feuereifer und einer Vehemenz will man den anderen vom  ‚richtigen‘ Standpunkt gegenüber einer völligen Nebensache überzeugen: Es geht oft um die  banalsten Themengebiete: ‚PC oder Mac‘, ‚Teppich oder Laminat‘, ‚Nikon oder Canon‘. Ich war früher in einigen Bereichen selbst so, denke ich. Jeder hat irgendwo Leidenschaften und Neigungen, das ist ja normal. Ich habe durch die Freimaurerei gelernt, andere Meinungen gelten zu lassen und zu tolerieren. Ich höre sie mir durchaus auch interessiert an und denke darüber nach. Aber ich bin nicht länger bereit, viel Energie und Kraft in solche Diskussionen zu investieren, mich gar zu streiten über all diesen Quatsch, der vielen Menschen da draußen so unglaublich wichtig erscheint… mir aber nicht mehr. Ist das mein Harmoniebedürfnis? Oder ist hier meine Toleranz zu spöttischer Gleichgültigkeit geworden, wenn ich innerlich mit den Schultern zucke und innerlich denke: „Ist mir doch egal?!“

Und noch ein drittes Beispiel: Als Freimaurer akzeptiere ich das chaotische Treiben in der Welt, das Spiel der Mächte, den Dualismus von Gut und Böse, Licht und Schatten als die Ausprägungen und Daseinsformens des Lebens an sich, als das ewige Werk, das der große Baumeister einst angestoßen hat. Das ist Teil meiner Philosophie geworden. Das heißt nicht, dass ich vor dem Leid und der Ungerechtigkeit der Welt die Augen verschließe. Ich versuche, so gut und umweltverträglich zu leben, wie ich gerade kann (was natürlich heißt: Ja, es könnte noch besser sein…). Aber ich versuche so gut es eben geht, mich selbst und meine Familie durch diese wahnsinnig komplizierte Welt zu manövrieren, möglichst nicht auf Kosten anderer Menschen. Aber das klingt natürlich scheinheilig gegenüber denjenigen, die in Malaysia meine Turnschuhe genäht haben.

Ein Bruder nahm einst den Standpunkt ein, dass seine Aufgabe auf dieser Welt eine andere sei, als das Leid der Welt zu beseitigen. Er würde es sinnvoller finden, in seinem eigenen kleinen Wirkungskreis ein guter Mensch zu sein. Das ist sicher richtig, ich sehe das eigentlich genauso, aber ist nicht auch das eine zynische Haltung, die uns entbindet von der Pflicht, als Bürger dieser Welt zu versuchen, Einfluss auf unsere Zukunft zu nehmen?

Um es auf den Punkt zu bringen: Ich habe das Gefühl, die Freimaurerei kann ein zweischneidiges Schwert sein. Sie zwingt uns zur Auseinandersetzung mit uns selbst, mit unserem Umfeld, leitet unsere Gedanken hin zum Transzendenten und erfüllt unser Leben dadurch ein stückweit mit Sinn. Aber dabei kehrt sie uns ab vom Mainstream. Vieles von dem, was für die Menschen da draußen groß und wichtig ist, können und wollen wir gar nicht mitmachen geschweige denn nachvollziehen. Manchmal können wir es vielleicht gar nicht recht aushalten. Um einen Bruder zu zitieren: „Freimaurerei hat mich sicherlich zu einem besseren Menschen gemacht, aber nicht unbedingt zu einem besseren Arbeitnehmer, oder einem besseren Gesellschafter.“

Sind wir – BIN ICH – verwöhnt, von all unserem vermeintlich höherwertigen Gedankengut, sodass es schon schwerfällt, allzu profanes Gequatsche zu ertragen? Vielleicht ist das so. Man kann es Menschen ja nicht vorwerfen, lebenslang in den Mainstream integriert worden zu sein. Man darf es ihnen nicht vorwerfen, dass sie vielleicht nicht das Glück hatten, existenzielle Fragen gestellt zu haben und in der Freimaurerei Hilfe bei der Suche nach Antworten gefunden zu haben.

Wir sollten nicht – ICH SOLLTE NICHT – den Fehler der Kyniker wiederholen, die dem Irrsinn der Welt begegnet sind, indem sie den Menschen bissigen Spott und Hohn entgegenwarfen. Irgendwo habe ich mal gesehen, wie ein Freimaurer in einem Interview den Vorwurf des Elitären abzuwehren versuchte. Er sagte, Freimaurerei sehe er nicht als eine Geld- oder Machtelite, vielleicht aber als eine geistig-spirituelle Elite. Ich kann mir vorstellen, was er wohl gemeint haben mag. Aber wenn viele Menschen keinerlei Bezug zu oder Interesse an Spiritualität und existenziellen Fragen haben, sollten wir uns trotzdem nicht über sie stellen. Ein arrogantes ‚Sich-als-was-besseres-fühlen‘ steht dem Freimaurer sicher nicht gut an.

Ich hoffe, das hier umrissene Dilemma verständlich und nachvollziehbar umrissen zu haben.

Vielleicht liegt es in der Natur der Sache, dass eine philosophisch-spirituelle Denkschule wie die Freimaurerei ihre Mitglieder von den gesellschaftlichen Konventionen loslöst, sie aus dem Mainstream auskoppelt. Vielleicht gehört es dazu, dass das Leben auf der einen Seite sinnerfüllter, zielgerichteter, leichter zu ertragen und schöner zu leben wird, während es auf der anderen Seite gleichzeitig schwieriger wird, durch den Sinneswandel und die Erkenntnis, dass man jetzt doch irgendwie ein bisschen anders ist und nicht mehr ganz dazupasst. Als Freimaurer muss ich wohl in diesem Spannungsfeld zu leben lernen, und die einzige Möglichkeit, die ich für mich sehe, ist, mich in zwei wichtigen freimaurerischen Tugenden zu üben, die ich offenbar noch nicht so gut ausgebildet habe: In Duldsamkeit und Milde.

Sonst werde ich vielleicht letztlich vollends zu einem Zyniker.

    ***

    9 Kommentare

    Schreibe einen Kommentar

    Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert