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Die vierte Säule: Im Zeichen des Humors

Foto: stevanovicigor / envato.com

Der nachfolgende Beitrag wurde im Juli 2023 anlässlich eines Stiftungsfestes in St. Gallen gehalten und beschäftigt sich mit dem Humor, den der Autor als die vierte Säule der Freimaurerei ansehen möchte.

Von Manfred Schlapp

Wir feiern heute ein Geburtstagsfest. Bei solchen Festen darf und soll es lustig zu- und hergehen. Lustig zu- und hergehen wird es auch bei uns im Anschluss an die Tempelarbeit in geselliger Runde bei Speis und Trank.  

Wer oder was sollte uns davon abhalten, die Festlaune nicht erst bei Speis und Trank zu zelebrieren, sondern bereits im Tempel zu antizipieren? Zwar nicht bei Speis und Trank, aber auf der virtuellen Ebene. Wahre Festlaune stellt sich dann ein, wenn der Humor nicht zu kurz kommt. Ergo möchte ich dem Humor ein Kränzlein winden. 

Allein schon deshalb, weil Humor ein Ur-Humanum ist. Erst der Humor macht den Homo zum Homo sapiens. Im Lichte des Humors erscheinen Homines, die im tierischen Ernst befangen und gefangen sind, als lächerliche Gartenzwerge.  

Humor schafft heilsame Distanz. Er löst die Knoten der Seele und erlöst den Menschen von den Dämonen dumpfer Affekte. Humor klärt den Geist und befreit ihn von den Fesseln der Dummheit und Bosheit. Wo immer der Humor aufblitzt, triumphieren Herz und Kopf über den Ungeist der Engherzigkeit und Engstirnigkeit. 

In den Heiligen Schriften der Fundamentalisten und Dogmatiker funkelt kein Humor. In ihnen ist keine Philosophie des Lachens niedergeschrieben. Leidvolle Erfahrungen lehren uns, dass die Humorlosigkeit zu den größten Todsünden der Menschheit zählt. Wo immer der Eiswind der Humorlosigkeit weht, haben allemal Unmenschen das Sagen.  

Wer sich an die Eiszeit erinnert, die sich im letzten Jahrhundert über ganz Europa hinzog, wird Hitlers und Stalins Terrorregime als verpasste Chance des Lachens interpretieren. Hätten im richtigen Augenblick genügend viele Menschen lauthals gelacht, wären diese Tyrannen beizeiten entzaubert und ihrer lächerlichen Maskerade beraubt worden. Dann zu lachen, wenn einem das Lachen bereits vergangen ist, hilft aber keinem mehr. 

Die Frage, warum sich Machthaber das Lachen verbieten, ist unschwer zu beantworten: Sie können sich den Humor nicht leisten. Belächelt zu werden, bedeutet, in seinen Schwächen bloßgelegt und der Macht verlustig zu werden, die sich jemand auf fragwürdige Weise arrogiert hat. Wenn Leute über einen Popanz lachen, geben sie kund, dass sie sich der Fragwürdigkeit seines Gehabes bewusst geworden sind.  

Die Entbergung solcher Fragwürdigkeit erzeugt befreiendes Lachen, zumal dann, wenn die Demaskierten auf einem hohen Sockel stehen. Ausgelacht zu werden, ist allemal eine Demütigung. Was Wunder, dass Potentaten mit Spaßmachern selten freundlich umgehen, es sei, sie halten sich einen Hofnarren! 

Lachen, vornehmlich laut lachen, tun auch die Humorlosen. Wenn jedoch ein Humorloser lacht, entblößt sein Gelächter die Kehrseite des Humors. Es macht die sinistren Seelenräume sichtbar, in denen die Schadenfreude und die Heimtücke nisten. Unschwer erkennt man am Lachen, wes‘ Geistes Kind jemand ist: Sage mir, worüber du lachst, und ich sage dir, was für ein Mensch du bist!  

Die breite Palette des Lachens beginnt beim Gemecker der Niedertracht und reicht über schallendes Gelächter bis hin zur stillen Träne im Augenwinkel. Es fällt leicht, in dieser Vielfalt den Humor zu sichten: Er vermittelt in einer augenzwinkernden Geste eine herzerfrischende Erkenntnis. 

Die Einsicht, die im Humor steckt und aus der er sich nährt, erhellt unser Bewusstsein. Dieses aufklärende Element findet sich im Umkreis einer jeden guten Philosophie. Philosophen, bei denen es keinen Hintersinn und nichts zum Schmunzeln gibt, haben wenig zu sagen und dürfen vergessen werden.  

Humorlose weigern sich, mit der Elle der liebenden Vernunft Maß zu nehmen. Eine solche Weigerung kennzeichnet blindwütige Eiferer und rücksichtslose Weltverbesserer, kennzeichnet also Fanatiker, die vom Sinn ihres Unsinns verhext sind. 

Es ist ein müßiges Unterfangen, verblendete Menschen von der Verhexung des Verstandes zu befreien. An ihr zerbricht sogar die Waffe des Humors. Mit dieser Waffe setzen sich Unterlegene gegenüber der Übermacht zur Wehr, nicht selten mit heroischem Trotz. In diesem Trotz offenbart sich – bei allem Witz – das Tragische des Humors.  

Das tragische Element offenbart sich besonders deutlich im jüdischen Witz. Das Lachen, das sich an der Pointe entzündet, weicht mitunter der Schamesröte. Heroischer Trotz ist auch beim Galgenhumor im Spiel. Laut Sigmund Freud helfe ein solcher Humor bei aller Verzweiflung, „trotz der störenden Affekte Lust zu gewinnen.“ 

Derlei Lust sollten wir uns auch gönnen, und das heißt: Errichten wir die vierte Säule! Errichten wir zumindest eine virtuelle Säule des Humors! Wie soll das gehen? Wir könnten auf die sakral-depressiven Praktiken verzichten, die aus der kirchlichen Tradition in die Freimaurerei eingeflossen sind. Und: Erteilen wir dem tierischen Ernst eine Absage und kultivieren wir bei unserer Arbeit die hohe Kunst des Humors! 

Meine lieben Brüder, die real existierende Welt bietet wenig Anlass zu Heiterkeit und Frohsinn. Wird die Welt als bedrohlich empfunden, sucht man gerne Trost bei Weisheiten aus der Mottenkiste. Beliebt ist die Formel: Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos. Ein billiger Trost!  

Wie wäre es, wenn wir diese Formel umdrehen, nämlich: Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst. Solche Weisheiten sind inspirierend. Denn in ihnen blitzt der Humor auf und löst so manchen Knoten. Kurzum: Die masonische Kunst würde aufblühen, stünde in unserem Tempel die vierte Säule des Humors.  

Schließen möchte ich mit dem Gedicht «Gruß aus dem Jenseits», das wir Br⸫ Emil Büker, Altstuhlmeister der Loge Heinrich Heine Nr. 978 in Meerbusch verdanken. Heinrich Heine wurde im Jänner 1844 in Paris in den Grand Orient aufgenommen. Freimaurer war auch sein Vater Samson Heine. Samson Heine war Mitglied der Frankfurter Loge «Zur aufgehenden Morgenröte». Diese Loge war die erste deutsche Loge, die Juden aufgenommen hat. 

 Vor diesem Hintergrund bekommt das Gedicht «Gruß aus dem Jenseits» seine tiefere Bedeutung.  

 Und nun das Gedicht. Ich rezitiere: 

Schau ich aus transzendenten Sphären 
mal auf das Erdenreich herab 
und seh’ wie Maurer sich gebärden 
stieg ich am liebsten aus dem Grab.  

Gar mancher, der den Lorbeerkranz 
posthum mir auf das Grab gelegt, 
lässt fehlen es an Toleranz, 
die einst mein Dichterherz bewegt. 

Wenn man den «Großen Orient», 
dem ich in Frankreich angehört, 
abwertend atheistisch nennt, 
bin ich darüber sehr empört. 
Ich selbst war Jude und auch Christ 
und hab‘ den Großen Geist verehrt 
und war zugleich auch Atheist, 
wenn Köhlerglauben man gelehrt. 

Euch ist «der Maurer großes Licht» 
— an Mythen reich und Wundern voll —
als reguläre Loge Pflicht. 
Ihr hoher Wert liegt im Symbol.  

Lernt die Symbolik zu verstehen, 
die euch der Weisheit Licht erschließt. 
Dann mögt ihr mutig weitersehen, 
weil Weisheit ohne Grenzen ist. 

Die Bibel ist ein Schicksalsbuch 
und wird dadurch der Maurerei 
sowohl zum Segen als zum Fluch. 
Sie reisst den Maurerbund entzwei. 

Ihr werdet wissen, was ich meine.  
Gruß aus dem Jenseits, Heinrich Heine!

Meine lieben Brüder: Würde Heinrich Heine heute unseren Tempel besuchen, gälte sein erster Blick dem Altar. Wie würde sein Herz jubeln, wenn auf dem Altar nicht die Bibel läge, sondern die Deklaration der Menschenrechte! 

  

 

 

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