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Wir lassen sie nicht allein

Foto: amihay982 / envato.com

Gedanken vor unserer aktuell geplanten Reise zu Brüdern in Russland

Von Dr. Gerhard Mersmann

Großlogentage sind nicht nur ein Erlebnis an sich, das sich durch die zeremoniellen Teile wie das Gefühl der Gemeinsamkeit speist, sondern auch die Möglichkeit, immer wieder Brüder aus anderen Ländern kennenzulernen und mit ihnen in Kontakt zu treten. So erging es uns, als wir auf dem letzten Großlogentag in Belgrad waren. Vor allem haben wir uns über die Bekanntschaft mit russischen Brüdern gefreut. Das, was die Maurerei ausmacht, die gemeinsamen Werte und die hohen Anforderungen an die Arbeit an sich selbst, war ein zentrales Thema unserer Begegnung. Allein diese Tatsache vermittelte ein befreiendes Gefühl, ist doch die politische Situation, die durch die Konfrontation in einem Krieg gekennzeichnet ist und die unsere Länder so weit voneinander entfernt hat, ein Kreuz, das beide Seiten tragen.

Wir selbst erleben die Einschätzung, was den Krieg in der Ukraine anbetrifft, als einen mentalen Riss in unserer Gesellschaft, der uns in unserer eigenen Loge immer wieder beschäftigt. Was, so ging es uns sogleich durch den Kopf, müssen unsere russischen Brüder in einer solchen Situation durchmachen? Können sie frei agieren, diskutieren sie auch das Für und Wider, sind sie Gefahren ausgesetzt? Der Krieg, so wissen wir in der Freimaurerei, ändert alle Gesetze und errichtet Mauern, die demotivieren können und großes Leid hervorrufen. Wir erleben das in unserer eigenen Welt jeden Tag.

Umso mehr haben wir uns über eine Einladung der russischen Brüder gefreut, sie zu besuchen. Wir hatten signalisiert, und darüber dürfte es in der Freimaurerei keinen Zweifel geben, unseren Prinzipien der Brüderlichkeit und der Humanität verpflichtet zu sein, und dazu gehört, uns in schwierigen Zeiten nicht allein zu lassen. Wir lassen uns durch keine Mächte der Welt in feindliche Lager teilen. Und unsere positive Reaktion auf die Einladung hat gezeigt, dass die Freimaurerei, die sich sui generis aus einer universalistischen Haltung definiert, nicht frei von den Versuchen ist, sie von politischen Lagern und Interessen zu vereinnahmen.

Von unserem Selbstverständnis ist die Freimaurerei keine politische Organisation, die ihrerseits einen Kurs vorgibt, sondern das schützende Dach für freie Individuen von gutem Ruf, die sich ihrer eigenen Fehlbarkeit bewusst sind und an den Prinzipien der Humanität in brüderlicher Gemeinsamkeit arbeiten wollen. Deshalb folgen wir der Einladung unserer russischen Brüder. Wir lassen sie nicht allein, so wie sie uns nicht allein lassen. 

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